Einfalt und stille Größe, feine und nicht rauschende Schönheiten auszeichnen, zu einem scharfen Gefühl bilde. Wer früher den Seneka, als den Cicero, den Lucanus oder Silius, als den Virgil ließt, läuft Gefahr aus Mangel des feinern Gefühles, der Schwulst günstig zu werden. Ueberhaupt ist es sehr wol gethan, daß man in der Jugend die Schön- heiten der besten prosaischen Schriftsteller fühlen lehre, ehe man an die Dichter geht. Es ist mit dem Geschmak in den schönen Künsten, wie mit dem, der auf das Aeußerliche in den Manieren geht. Wer noch keinen Umgang mit Menschen von feinerer Art gehabt hat, wird an lebhaften, etwas wilden Ma- nieren, weit mehr Gefallen haben, als an dem fei- nern und stillern, obgleich höchst eleganten Betra- gen der Menschen von edler Erziehung.
Wenn die Schwulst ein würkliches Unvermögen groß zu denken und zu empfinden zum Grunde hat, so ist ihr nicht abzuhelfen. Denn schwachen Köpfen kann kein Unterricht und kein Studium das Vermö- gen geben, groß zu denken. Und da nach ihrem Urtheil das Große in äußerlichem Geräusch, Poltern, und hochtrabendem Wesen besteht; so lassen sie sich durch nichts abhalten, das einzige Mittel das sie ha- ben die Sinnen zu rühren, bey jeder Gelegenheit zu brauchen.
Die Schwulst ist unstreitig einer der ärgsten Feh- ler gegen den guten Geschmak und besonders Men- schen von etwas feiner Denkungsart höchst anstößig. Darum sollen junge Schriftsteller von etwas lebhaf- tem Genie sich für nichts mehr in Acht nehmen, als der Gefahr schwülstig zu werden. Wer irgend eine Anlage dazu in sich bemerkt, thut am besten, wenn er sich lange in der einfachesten Art zu schreiben übet, um dem unglüklichen Hang zu entgehen. Wir rathen solchen, daß sie mit der ernstlichsten Ueber- legung die Abhandlung des berühmten Werenfels de Meteoris orationis fleißig lesen.
Longin bedienet sich, wo er von der Schwulst spricht, verschiedener Ausdrüke, die einer genanen Ueberlegung wol werth sind, weil sie verschiedene Arten der Schwulst anzuzeigen scheinen. Wir müs- sen uns begnügen, sie anzuzeigen, und hoffen, daß sich etwa ein Kenner finden werde, der diese Ma- terie, wie sie es verdienet, in einer besondern Ab- handlung gründlich ausführe. Die sehr bedeuten- den Ausdrüke des erwähnten Kunstrichters, sind folgende: 1. das falsche Tragische; paratragoon. [Spaltenumbruch]
Sec
2. Das Falschenthusiastische; parenthurson. 3. Das Hochtrabende; kakos ogkos. 4. Das Hochtö- nende; somphon. Und endlich 5. das Blendende; meteoron, das nur den Schein der Würklichkeit hat.
Secunde. (Musik.)
Jn der diatonischen Tonleiter ist jeder höhere Ton die Secunde des nächst unter ihm liegenden Tones. Sie ist entweder klein, oder groß; die übermäßi- ge (*) liegt, wie wir hernach zeigen werden, außer der diatonischen Tonleiter. Die kleine hat ihren Siz in der Durtonleiter von der Terz zur Quarte und von der Septime zur Octave. Jhr reines Ver- hältniß ist . Alle übrigen Secunden der Ton- leiter sind groß, und ihr Jntervall ist ein ganzer Ton, oder (*). Die übermäßige Secunde entsieht, wenn die große Secunde aus besondern Absichten, davon anderswo gesprochen wird (*), durch ein Versezungszeichen noch um einen halben Ton erhöhet wird.
Die Secunde ist die erste Dissonanz in der Har- monie. Denn wenn man auf die natürliche Entste- hung der Jntervallen Acht giebt, so sind die Octave 1/2, Quinte 2/3 , Quarte 3/4, große und kleine Terz 4/5 und 5/6 consonirend. Hiezu würde noch die vermin- derte Terz gerechnet werden können: das Jnter- vall 7/8 wäre alsdenn die Gränzscheidung zwischen den Consonanzen und Dissonanzen. Da aber beyde Jntervalle in unserm heutigen System noch nicht eingeführet sind, so bleibt die kleine Terz die lezte Consonanz, und mit der Secunde fangen die Disso- nanzen an. Wir haben schon anderswo erwiesen (*), daß überhaupt alle Dissonanzen ihren Grund in der Secunde haben. Die Septime z. B. dissonirt nicht gegen den Grundton, sondern gegen dessen Octave, mit der sie eine Secunde ausmacht. Desgleichen dissoniren alle zufällige Dissonanzen, wenn sie auch noch so weit von dem Grundton entfernt liegen, hauptsächlich gegen den Ton, dessen Vorhälte sie sind, und der entweder ihre Ober- oder Untersecunde ist. Da nun unter diesen Bedingungen zwey Töne, die um weniger als eine kleine Terz auseinander liegen, nothwendig dissoniren, und je mehr, je näher sie sich liegen, so folgt, daß die kleine Secunde die al- lerschärfste Dissonanz sey.
Bey der Resolution tritt der untere Ton einen Grad unter sich; denn eigentlich ist es nicht die Se-
cunde,
(*) S. Jn- tervall.
(*) S. Ton.
(*) S. Auswei- chung; Ue- bermäßig.
(*) Jn den Artikeln Consonanz und Disso- nanz.
[Spaltenumbruch]
Schw
Einfalt und ſtille Groͤße, feine und nicht rauſchende Schoͤnheiten auszeichnen, zu einem ſcharfen Gefuͤhl bilde. Wer fruͤher den Seneka, als den Cicero, den Lucanus oder Silius, als den Virgil ließt, laͤuft Gefahr aus Mangel des feinern Gefuͤhles, der Schwulſt guͤnſtig zu werden. Ueberhaupt iſt es ſehr wol gethan, daß man in der Jugend die Schoͤn- heiten der beſten proſaiſchen Schriftſteller fuͤhlen lehre, ehe man an die Dichter geht. Es iſt mit dem Geſchmak in den ſchoͤnen Kuͤnſten, wie mit dem, der auf das Aeußerliche in den Manieren geht. Wer noch keinen Umgang mit Menſchen von feinerer Art gehabt hat, wird an lebhaften, etwas wilden Ma- nieren, weit mehr Gefallen haben, als an dem fei- nern und ſtillern, obgleich hoͤchſt eleganten Betra- gen der Menſchen von edler Erziehung.
Wenn die Schwulſt ein wuͤrkliches Unvermoͤgen groß zu denken und zu empfinden zum Grunde hat, ſo iſt ihr nicht abzuhelfen. Denn ſchwachen Koͤpfen kann kein Unterricht und kein Studium das Vermoͤ- gen geben, groß zu denken. Und da nach ihrem Urtheil das Große in aͤußerlichem Geraͤuſch, Poltern, und hochtrabendem Weſen beſteht; ſo laſſen ſie ſich durch nichts abhalten, das einzige Mittel das ſie ha- ben die Sinnen zu ruͤhren, bey jeder Gelegenheit zu brauchen.
Die Schwulſt iſt unſtreitig einer der aͤrgſten Feh- ler gegen den guten Geſchmak und beſonders Men- ſchen von etwas feiner Denkungsart hoͤchſt anſtoͤßig. Darum ſollen junge Schriftſteller von etwas lebhaf- tem Genie ſich fuͤr nichts mehr in Acht nehmen, als der Gefahr ſchwuͤlſtig zu werden. Wer irgend eine Anlage dazu in ſich bemerkt, thut am beſten, wenn er ſich lange in der einfacheſten Art zu ſchreiben uͤbet, um dem ungluͤklichen Hang zu entgehen. Wir rathen ſolchen, daß ſie mit der ernſtlichſten Ueber- legung die Abhandlung des beruͤhmten Werenfels de Meteoris orationis fleißig leſen.
Longin bedienet ſich, wo er von der Schwulſt ſpricht, verſchiedener Ausdruͤke, die einer genanen Ueberlegung wol werth ſind, weil ſie verſchiedene Arten der Schwulſt anzuzeigen ſcheinen. Wir muͤſ- ſen uns begnuͤgen, ſie anzuzeigen, und hoffen, daß ſich etwa ein Kenner finden werde, der dieſe Ma- terie, wie ſie es verdienet, in einer beſondern Ab- handlung gruͤndlich ausfuͤhre. Die ſehr bedeuten- den Ausdruͤke des erwaͤhnten Kunſtrichters, ſind folgende: 1. das falſche Tragiſche; παρατραγῳον. [Spaltenumbruch]
Sec
2. Das Falſchenthuſiaſtiſche; παρενθυρσον. 3. Das Hochtrabende; κακος ὀγκος. 4. Das Hochtoͤ- nende; ςομφον. Und endlich 5. das Blendende; μετεωρον, das nur den Schein der Wuͤrklichkeit hat.
Secunde. (Muſik.)
Jn der diatoniſchen Tonleiter iſt jeder hoͤhere Ton die Secunde des naͤchſt unter ihm liegenden Tones. Sie iſt entweder klein, oder groß; die uͤbermaͤßi- ge (*) liegt, wie wir hernach zeigen werden, außer der diatoniſchen Tonleiter. Die kleine hat ihren Siz in der Durtonleiter von der Terz zur Quarte und von der Septime zur Octave. Jhr reines Ver- haͤltniß iſt . Alle uͤbrigen Secunden der Ton- leiter ſind groß, und ihr Jntervall iſt ein ganzer Ton, oder (*). Die uͤbermaͤßige Secunde entſieht, wenn die große Secunde aus beſondern Abſichten, davon anderswo geſprochen wird (*), durch ein Verſezungszeichen noch um einen halben Ton erhoͤhet wird.
Die Secunde iſt die erſte Diſſonanz in der Har- monie. Denn wenn man auf die natuͤrliche Entſte- hung der Jntervallen Acht giebt, ſo ſind die Octave ½, Quinte ⅔, Quarte ¾, große und kleine Terz ⅘ und ⅚ conſonirend. Hiezu wuͤrde noch die vermin- derte Terz gerechnet werden koͤnnen: das Jnter- vall ⅞ waͤre alsdenn die Graͤnzſcheidung zwiſchen den Conſonanzen und Diſſonanzen. Da aber beyde Jntervalle in unſerm heutigen Syſtem noch nicht eingefuͤhret ſind, ſo bleibt die kleine Terz die lezte Conſonanz, und mit der Secunde fangen die Diſſo- nanzen an. Wir haben ſchon anderswo erwieſen (*), daß uͤberhaupt alle Diſſonanzen ihren Grund in der Secunde haben. Die Septime z. B. diſſonirt nicht gegen den Grundton, ſondern gegen deſſen Octave, mit der ſie eine Secunde ausmacht. Desgleichen diſſoniren alle zufaͤllige Diſſonanzen, wenn ſie auch noch ſo weit von dem Grundton entfernt liegen, hauptſaͤchlich gegen den Ton, deſſen Vorhaͤlte ſie ſind, und der entweder ihre Ober- oder Unterſecunde iſt. Da nun unter dieſen Bedingungen zwey Toͤne, die um weniger als eine kleine Terz auseinander liegen, nothwendig diſſoniren, und je mehr, je naͤher ſie ſich liegen, ſo folgt, daß die kleine Secunde die al- lerſchaͤrfſte Diſſonanz ſey.
Bey der Reſolution tritt der untere Ton einen Grad unter ſich; denn eigentlich iſt es nicht die Se-
cunde,
(*) S. Jn- tervall.
(*) S. Ton.
(*) S. Auswei- chung; Ue- bermaͤßig.
(*) Jn den Artikeln Conſonanz und Diſſo- nanz.
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[1060[1042]/0489]
Schw
Sec
Einfalt und ſtille Groͤße, feine und nicht rauſchende
Schoͤnheiten auszeichnen, zu einem ſcharfen Gefuͤhl
bilde. Wer fruͤher den Seneka, als den Cicero,
den Lucanus oder Silius, als den Virgil ließt,
laͤuft Gefahr aus Mangel des feinern Gefuͤhles,
der Schwulſt guͤnſtig zu werden. Ueberhaupt iſt es
ſehr wol gethan, daß man in der Jugend die Schoͤn-
heiten der beſten proſaiſchen Schriftſteller fuͤhlen
lehre, ehe man an die Dichter geht. Es iſt mit
dem Geſchmak in den ſchoͤnen Kuͤnſten, wie mit dem,
der auf das Aeußerliche in den Manieren geht. Wer
noch keinen Umgang mit Menſchen von feinerer Art
gehabt hat, wird an lebhaften, etwas wilden Ma-
nieren, weit mehr Gefallen haben, als an dem fei-
nern und ſtillern, obgleich hoͤchſt eleganten Betra-
gen der Menſchen von edler Erziehung.
Wenn die Schwulſt ein wuͤrkliches Unvermoͤgen
groß zu denken und zu empfinden zum Grunde hat,
ſo iſt ihr nicht abzuhelfen. Denn ſchwachen Koͤpfen
kann kein Unterricht und kein Studium das Vermoͤ-
gen geben, groß zu denken. Und da nach ihrem
Urtheil das Große in aͤußerlichem Geraͤuſch, Poltern,
und hochtrabendem Weſen beſteht; ſo laſſen ſie ſich
durch nichts abhalten, das einzige Mittel das ſie ha-
ben die Sinnen zu ruͤhren, bey jeder Gelegenheit
zu brauchen.
Die Schwulſt iſt unſtreitig einer der aͤrgſten Feh-
ler gegen den guten Geſchmak und beſonders Men-
ſchen von etwas feiner Denkungsart hoͤchſt anſtoͤßig.
Darum ſollen junge Schriftſteller von etwas lebhaf-
tem Genie ſich fuͤr nichts mehr in Acht nehmen, als
der Gefahr ſchwuͤlſtig zu werden. Wer irgend eine
Anlage dazu in ſich bemerkt, thut am beſten, wenn
er ſich lange in der einfacheſten Art zu ſchreiben
uͤbet, um dem ungluͤklichen Hang zu entgehen. Wir
rathen ſolchen, daß ſie mit der ernſtlichſten Ueber-
legung die Abhandlung des beruͤhmten Werenfels
de Meteoris orationis fleißig leſen.
Longin bedienet ſich, wo er von der Schwulſt
ſpricht, verſchiedener Ausdruͤke, die einer genanen
Ueberlegung wol werth ſind, weil ſie verſchiedene
Arten der Schwulſt anzuzeigen ſcheinen. Wir muͤſ-
ſen uns begnuͤgen, ſie anzuzeigen, und hoffen, daß
ſich etwa ein Kenner finden werde, der dieſe Ma-
terie, wie ſie es verdienet, in einer beſondern Ab-
handlung gruͤndlich ausfuͤhre. Die ſehr bedeuten-
den Ausdruͤke des erwaͤhnten Kunſtrichters, ſind
folgende: 1. das falſche Tragiſche; παρατραγῳον.
2. Das Falſchenthuſiaſtiſche; παρενθυρσον. 3. Das
Hochtrabende; κακος ὀγκος. 4. Das Hochtoͤ-
nende; ςομφον. Und endlich 5. das Blendende;
μετεωρον, das nur den Schein der Wuͤrklichkeit hat.
Secunde.
(Muſik.)
Jn der diatoniſchen Tonleiter iſt jeder hoͤhere Ton
die Secunde des naͤchſt unter ihm liegenden Tones.
Sie iſt entweder klein, oder groß; die uͤbermaͤßi-
ge (*) liegt, wie wir hernach zeigen werden, außer
der diatoniſchen Tonleiter. Die kleine hat ihren
Siz in der Durtonleiter von der Terz zur Quarte
und von der Septime zur Octave. Jhr reines Ver-
haͤltniß iſt [FORMEL]. Alle uͤbrigen Secunden der Ton-
leiter ſind groß, und ihr Jntervall iſt ein ganzer
Ton, [FORMEL] oder [FORMEL] (*). Die uͤbermaͤßige Secunde
entſieht, wenn die große Secunde aus beſondern
Abſichten, davon anderswo geſprochen wird (*),
durch ein Verſezungszeichen noch um einen halben
Ton erhoͤhet wird.
Die Secunde iſt die erſte Diſſonanz in der Har-
monie. Denn wenn man auf die natuͤrliche Entſte-
hung der Jntervallen Acht giebt, ſo ſind die Octave ½,
Quinte ⅔, Quarte ¾, große und kleine Terz ⅘
und ⅚ conſonirend. Hiezu wuͤrde noch die vermin-
derte Terz [FORMEL] gerechnet werden koͤnnen: das Jnter-
vall ⅞ waͤre alsdenn die Graͤnzſcheidung zwiſchen
den Conſonanzen und Diſſonanzen. Da aber beyde
Jntervalle in unſerm heutigen Syſtem noch nicht
eingefuͤhret ſind, ſo bleibt die kleine Terz die lezte
Conſonanz, und mit der Secunde fangen die Diſſo-
nanzen an. Wir haben ſchon anderswo erwieſen (*),
daß uͤberhaupt alle Diſſonanzen ihren Grund in der
Secunde haben. Die Septime z. B. diſſonirt nicht
gegen den Grundton, ſondern gegen deſſen Octave,
mit der ſie eine Secunde ausmacht. Desgleichen
diſſoniren alle zufaͤllige Diſſonanzen, wenn ſie auch
noch ſo weit von dem Grundton entfernt liegen,
hauptſaͤchlich gegen den Ton, deſſen Vorhaͤlte ſie ſind,
und der entweder ihre Ober- oder Unterſecunde iſt.
Da nun unter dieſen Bedingungen zwey Toͤne, die
um weniger als eine kleine Terz auseinander liegen,
nothwendig diſſoniren, und je mehr, je naͤher ſie
ſich liegen, ſo folgt, daß die kleine Secunde die al-
lerſchaͤrfſte Diſſonanz ſey.
Bey der Reſolution tritt der untere Ton einen
Grad unter ſich; denn eigentlich iſt es nicht die Se-
cunde,
(*) S. Jn-
tervall.
(*) S. Ton.
(*) S.
Auswei-
chung; Ue-
bermaͤßig.
(*) Jn den
Artikeln
Conſonanz
und Diſſo-
nanz.
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1060[1042]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/489>, abgerufen am 24.11.2024.
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