haben die wenigsten Tonsezer bey Verfertigung der Sonaten solche Absichten, und am wenigsten die Jtaliäner, und die, die sich nach ihnen bilden: ein Geräusch von willkührlich auf einander folgenden Tönen, ohne weitere Absicht, als das Ohr unempfind- samer Liebhaber zu vergnügen, phantastische plözli- che Uebergänge vom Fröhlichen zum Klagenden, vom Pathetischen zum Tändelnden, ohne daß man begreift, was der Tonsezer damit haben will, cha- rakterisiren die Sonaten der heutigen Jtaliäner, und wenn die Ausführung derselben die Einbildung eini- ger hizigen Köpfe beschäftiget, so bleibt doch das Herz und die Empfindungen jedes Zuhörers von Geschmak oder Kenntnis dabey in völliger Ruhe.
Die Möglichkeit, Charakter und Ausdruk in Sonaten zu bringen, beweisen eine Menge leichter und schweerer Claviersonaten unsers Hamburger Bachs. Die mehresten derselben sind so sprechend, daß man nicht Töne, sondern eine verständliche Sprache zu vernehmen glaubt, die unsere Einbil- dung und Empfindungen in Bewegung sezt, und unterhält. Es gehört unstreitig viel Genie, Wis- senschaft, und eine besonders leicht fängliche und harrende Empfindbarkeit dazu, solche Sonaten zu machen. Sie verlangen aber auch einen gefühl- vollen Vortrag, den kein Deutsch-Jtaliäner zu tref- fen im Stande ist, der aber oft von Kindern getrof- fen wird, die bey Zeiten an solche Sonaten gewöhnt werden. Die Sonaten eben dieses Verfassers von zwey concertirenden Hauptstimmen, die von einem Baß begleitet werden, sind wahrhafte leidenschaft- liche Tongespräche; wer dieses darin nicht zu fühlen oder zu vernehmen glaubt, der bedenke, daß sie nicht allezeit so vorgetragen werden, wie sie sollten. Unter diesen zeichnet sich eine, die ein solches Ge- spräch zwischen einem Melancholicus und Sangui- neus unterhält, und in Nürnberg gestochen ist, so vorzüglich aus, und ist so voller Erfindung und Charakter, daß man sie für ein Meisterstük der gu- ten Jnstrumentalmusik halten kann. Angehende Tonsezer, die in Sonaten glüklich seyn wollen, müs- sen sich die Bachischen und andre ihnen ähnlichen zu Mustern nehmen.
Für Jnstrumentspieler sind Sonaten die gewöhn- lichsten und besten Uebungen; auch giebt es deren eine Menge leichter und schweerer für alle Jnstrumente. Sie haben in der Cammermusik den ersten Rang nach den Singstüken, und können, weil sie nur ein- [Spaltenumbruch]
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fach besezt sind, auch in der kleinesten musikalischen Gesellschaft ohne viele Umstände vorgetragen werden. Ein einziger Tonkünstler kann mit einer Claviersonate eine ganze Gesellschaft oft besser und würksamer un- terhalten, als das größte Concert.
Von Sonaten von zwey Hauptstimmen, mit ei- nem blos begleitenden oder concertirenden Baß, wird im Artikel Trio umständlicher gesprochen werden.
Sonnet. (Dichtkunst.)
Ein kleines lyrisches Reimgedicht, das sich vorzüg- lich durch seine äußere Form von andern unterschei- det. Es besteht aus vier Strophen, davon die zwey ersten von vier, die beyden andern von drey Ver- sen sind, so daß das Ganze vierzehen Verse hat. Die Reimen der ersten Strophe müssen eben so seyn, wie in der zweyten, und der erste Vers muß nicht nur mit dem vierten, sondern auch mit dem fünf- ten; der zweyte mit dem dritten und auch mit dem sechsten; der dritte mit dem zweyten und siebenden, und der vierte wieder mit dem achten reimen. Jn der dritten Strophe reimen die beyden ersten Verse; hernach kann der Dichter die vier übrigen Reime ordnen, wie er will.
Dieses hat so ziemlich das Ansehen einer poeti- schen Tändeley. Bodmer vergleicht es scherzend mit dem Bett des Prokrusts; denn der Dichter muß seine Gedanken in die Form des Sonnets hinein- zwingen, und sie also bald in die Länge streken, bald abkürzen.
Man hat heroische und verliebte Sonnete, auch einige moralischen Jnhalts. Bey uns ist es völlig in Abgang gekommen; aber in Jtalien scheinet man noch darein verliebt zu seyn. Ohne Zweifel hat der unnachahmliche Petrarcha dieses Gedicht seinen Landsleuten so schäzbar gemacht.
Sophokles.
Ein bekannter griechischer Trauerspiehldichter, von welchem sieben Tragödien bis auf unsre Zeiten ganz er- halten worden. Dem Alter nach fällt er zwischen den Aeschylus und den Euripides, den er noch überlebt haben soll. Die historischen Nachrichten von ihm lassen sich kurz zusammen ziehen. Er war ein ge- bohrner Athenienser von geringer Herkunst. Von den besondern Veranlassungen, die ihn zum Trauer- spiehldichter gemacht haben, wissen wir nichts. Die
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haben die wenigſten Tonſezer bey Verfertigung der Sonaten ſolche Abſichten, und am wenigſten die Jtaliaͤner, und die, die ſich nach ihnen bilden: ein Geraͤuſch von willkuͤhrlich auf einander folgenden Toͤnen, ohne weitere Abſicht, als das Ohr unempfind- ſamer Liebhaber zu vergnuͤgen, phantaſtiſche ploͤzli- che Uebergaͤnge vom Froͤhlichen zum Klagenden, vom Pathetiſchen zum Taͤndelnden, ohne daß man begreift, was der Tonſezer damit haben will, cha- rakteriſiren die Sonaten der heutigen Jtaliaͤner, und wenn die Ausfuͤhrung derſelben die Einbildung eini- ger hizigen Koͤpfe beſchaͤftiget, ſo bleibt doch das Herz und die Empfindungen jedes Zuhoͤrers von Geſchmak oder Kenntnis dabey in voͤlliger Ruhe.
Die Moͤglichkeit, Charakter und Ausdruk in Sonaten zu bringen, beweiſen eine Menge leichter und ſchweerer Clavierſonaten unſers Hamburger Bachs. Die mehreſten derſelben ſind ſo ſprechend, daß man nicht Toͤne, ſondern eine verſtaͤndliche Sprache zu vernehmen glaubt, die unſere Einbil- dung und Empfindungen in Bewegung ſezt, und unterhaͤlt. Es gehoͤrt unſtreitig viel Genie, Wiſ- ſenſchaft, und eine beſonders leicht faͤngliche und harrende Empfindbarkeit dazu, ſolche Sonaten zu machen. Sie verlangen aber auch einen gefuͤhl- vollen Vortrag, den kein Deutſch-Jtaliaͤner zu tref- fen im Stande iſt, der aber oft von Kindern getrof- fen wird, die bey Zeiten an ſolche Sonaten gewoͤhnt werden. Die Sonaten eben dieſes Verfaſſers von zwey concertirenden Hauptſtimmen, die von einem Baß begleitet werden, ſind wahrhafte leidenſchaft- liche Tongeſpraͤche; wer dieſes darin nicht zu fuͤhlen oder zu vernehmen glaubt, der bedenke, daß ſie nicht allezeit ſo vorgetragen werden, wie ſie ſollten. Unter dieſen zeichnet ſich eine, die ein ſolches Ge- ſpraͤch zwiſchen einem Melancholicus und Sangui- neus unterhaͤlt, und in Nuͤrnberg geſtochen iſt, ſo vorzuͤglich aus, und iſt ſo voller Erfindung und Charakter, daß man ſie fuͤr ein Meiſterſtuͤk der gu- ten Jnſtrumentalmuſik halten kann. Angehende Tonſezer, die in Sonaten gluͤklich ſeyn wollen, muͤſ- ſen ſich die Bachiſchen und andre ihnen aͤhnlichen zu Muſtern nehmen.
Fuͤr Jnſtrumentſpieler ſind Sonaten die gewoͤhn- lichſten und beſten Uebungen; auch giebt es deren eine Menge leichter und ſchweerer fuͤr alle Jnſtrumente. Sie haben in der Cammermuſik den erſten Rang nach den Singſtuͤken, und koͤnnen, weil ſie nur ein- [Spaltenumbruch]
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fach beſezt ſind, auch in der kleineſten muſikaliſchen Geſellſchaft ohne viele Umſtaͤnde vorgetragen werden. Ein einziger Tonkuͤnſtler kann mit einer Clavierſonate eine ganze Geſellſchaft oft beſſer und wuͤrkſamer un- terhalten, als das groͤßte Concert.
Von Sonaten von zwey Hauptſtimmen, mit ei- nem blos begleitenden oder concertirenden Baß, wird im Artikel Trio umſtaͤndlicher geſprochen werden.
Sonnet. (Dichtkunſt.)
Ein kleines lyriſches Reimgedicht, das ſich vorzuͤg- lich durch ſeine aͤußere Form von andern unterſchei- det. Es beſteht aus vier Strophen, davon die zwey erſten von vier, die beyden andern von drey Ver- ſen ſind, ſo daß das Ganze vierzehen Verſe hat. Die Reimen der erſten Strophe muͤſſen eben ſo ſeyn, wie in der zweyten, und der erſte Vers muß nicht nur mit dem vierten, ſondern auch mit dem fuͤnf- ten; der zweyte mit dem dritten und auch mit dem ſechsten; der dritte mit dem zweyten und ſiebenden, und der vierte wieder mit dem achten reimen. Jn der dritten Strophe reimen die beyden erſten Verſe; hernach kann der Dichter die vier uͤbrigen Reime ordnen, wie er will.
Dieſes hat ſo ziemlich das Anſehen einer poeti- ſchen Taͤndeley. Bodmer vergleicht es ſcherzend mit dem Bett des Prokruſts; denn der Dichter muß ſeine Gedanken in die Form des Sonnets hinein- zwingen, und ſie alſo bald in die Laͤnge ſtreken, bald abkuͤrzen.
Man hat heroiſche und verliebte Sonnete, auch einige moraliſchen Jnhalts. Bey uns iſt es voͤllig in Abgang gekommen; aber in Jtalien ſcheinet man noch darein verliebt zu ſeyn. Ohne Zweifel hat der unnachahmliche Petrarcha dieſes Gedicht ſeinen Landsleuten ſo ſchaͤzbar gemacht.
Sophokles.
Ein bekannter griechiſcher Trauerſpiehldichter, von welchem ſieben Tragoͤdien bis auf unſre Zeiten ganz er- halten worden. Dem Alter nach faͤllt er zwiſchen den Aeſchylus und den Euripides, den er noch uͤberlebt haben ſoll. Die hiſtoriſchen Nachrichten von ihm laſſen ſich kurz zuſammen ziehen. Er war ein ge- bohrner Athenienſer von geringer Herkunſt. Von den beſondern Veranlaſſungen, die ihn zum Trauer- ſpiehldichter gemacht haben, wiſſen wir nichts. Die
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haben die wenigſten Tonſezer bey Verfertigung der
Sonaten ſolche Abſichten, und am wenigſten die
Jtaliaͤner, und die, die ſich nach ihnen bilden: ein
Geraͤuſch von willkuͤhrlich auf einander folgenden
Toͤnen, ohne weitere Abſicht, als das Ohr unempfind-
ſamer Liebhaber zu vergnuͤgen, phantaſtiſche ploͤzli-
che Uebergaͤnge vom Froͤhlichen zum Klagenden,
vom Pathetiſchen zum Taͤndelnden, ohne daß man
begreift, was der Tonſezer damit haben will, cha-
rakteriſiren die Sonaten der heutigen Jtaliaͤner, und
wenn die Ausfuͤhrung derſelben die Einbildung eini-
ger hizigen Koͤpfe beſchaͤftiget, ſo bleibt doch das
Herz und die Empfindungen jedes Zuhoͤrers von
Geſchmak oder Kenntnis dabey in voͤlliger Ruhe.
Die Moͤglichkeit, Charakter und Ausdruk in
Sonaten zu bringen, beweiſen eine Menge leichter
und ſchweerer Clavierſonaten unſers Hamburger
Bachs. Die mehreſten derſelben ſind ſo ſprechend,
daß man nicht Toͤne, ſondern eine verſtaͤndliche
Sprache zu vernehmen glaubt, die unſere Einbil-
dung und Empfindungen in Bewegung ſezt, und
unterhaͤlt. Es gehoͤrt unſtreitig viel Genie, Wiſ-
ſenſchaft, und eine beſonders leicht faͤngliche und
harrende Empfindbarkeit dazu, ſolche Sonaten zu
machen. Sie verlangen aber auch einen gefuͤhl-
vollen Vortrag, den kein Deutſch-Jtaliaͤner zu tref-
fen im Stande iſt, der aber oft von Kindern getrof-
fen wird, die bey Zeiten an ſolche Sonaten gewoͤhnt
werden. Die Sonaten eben dieſes Verfaſſers von
zwey concertirenden Hauptſtimmen, die von einem
Baß begleitet werden, ſind wahrhafte leidenſchaft-
liche Tongeſpraͤche; wer dieſes darin nicht zu fuͤhlen
oder zu vernehmen glaubt, der bedenke, daß ſie
nicht allezeit ſo vorgetragen werden, wie ſie ſollten.
Unter dieſen zeichnet ſich eine, die ein ſolches Ge-
ſpraͤch zwiſchen einem Melancholicus und Sangui-
neus unterhaͤlt, und in Nuͤrnberg geſtochen iſt, ſo
vorzuͤglich aus, und iſt ſo voller Erfindung und
Charakter, daß man ſie fuͤr ein Meiſterſtuͤk der gu-
ten Jnſtrumentalmuſik halten kann. Angehende
Tonſezer, die in Sonaten gluͤklich ſeyn wollen, muͤſ-
ſen ſich die Bachiſchen und andre ihnen aͤhnlichen
zu Muſtern nehmen.
Fuͤr Jnſtrumentſpieler ſind Sonaten die gewoͤhn-
lichſten und beſten Uebungen; auch giebt es deren eine
Menge leichter und ſchweerer fuͤr alle Jnſtrumente.
Sie haben in der Cammermuſik den erſten Rang
nach den Singſtuͤken, und koͤnnen, weil ſie nur ein-
fach beſezt ſind, auch in der kleineſten muſikaliſchen
Geſellſchaft ohne viele Umſtaͤnde vorgetragen werden.
Ein einziger Tonkuͤnſtler kann mit einer Clavierſonate
eine ganze Geſellſchaft oft beſſer und wuͤrkſamer un-
terhalten, als das groͤßte Concert.
Von Sonaten von zwey Hauptſtimmen, mit ei-
nem blos begleitenden oder concertirenden Baß, wird
im Artikel Trio umſtaͤndlicher geſprochen werden.
Sonnet.
(Dichtkunſt.)
Ein kleines lyriſches Reimgedicht, das ſich vorzuͤg-
lich durch ſeine aͤußere Form von andern unterſchei-
det. Es beſteht aus vier Strophen, davon die zwey
erſten von vier, die beyden andern von drey Ver-
ſen ſind, ſo daß das Ganze vierzehen Verſe hat.
Die Reimen der erſten Strophe muͤſſen eben ſo ſeyn,
wie in der zweyten, und der erſte Vers muß nicht
nur mit dem vierten, ſondern auch mit dem fuͤnf-
ten; der zweyte mit dem dritten und auch mit dem
ſechsten; der dritte mit dem zweyten und ſiebenden,
und der vierte wieder mit dem achten reimen. Jn
der dritten Strophe reimen die beyden erſten Verſe;
hernach kann der Dichter die vier uͤbrigen Reime
ordnen, wie er will.
Dieſes hat ſo ziemlich das Anſehen einer poeti-
ſchen Taͤndeley. Bodmer vergleicht es ſcherzend mit
dem Bett des Prokruſts; denn der Dichter muß
ſeine Gedanken in die Form des Sonnets hinein-
zwingen, und ſie alſo bald in die Laͤnge ſtreken,
bald abkuͤrzen.
Man hat heroiſche und verliebte Sonnete, auch
einige moraliſchen Jnhalts. Bey uns iſt es voͤllig
in Abgang gekommen; aber in Jtalien ſcheinet man
noch darein verliebt zu ſeyn. Ohne Zweifel hat der
unnachahmliche Petrarcha dieſes Gedicht ſeinen
Landsleuten ſo ſchaͤzbar gemacht.
Sophokles.
Ein bekannter griechiſcher Trauerſpiehldichter, von
welchem ſieben Tragoͤdien bis auf unſre Zeiten ganz er-
halten worden. Dem Alter nach faͤllt er zwiſchen den
Aeſchylus und den Euripides, den er noch uͤberlebt
haben ſoll. Die hiſtoriſchen Nachrichten von ihm
laſſen ſich kurz zuſammen ziehen. Er war ein ge-
bohrner Athenienſer von geringer Herkunſt. Von
den beſondern Veranlaſſungen, die ihn zum Trauer-
ſpiehldichter gemacht haben, wiſſen wir nichts. Die
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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1095[1077]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/524>, abgerufen am 24.11.2024.
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