Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.[Spaltenumbruch] Spr sten taugt kein Wort, das nicht so gleich, als manes vernihmt, einen sehr klaren und faßlichen Be- griff erwekt; denn die Sprache der Künste muß völ- lig klar und faßlich seyn, da die Begriffe nur in so fern würken, als man sie klar faßt. Eben dieses gilt auch von ganzen Säzen. Eine noch unausge- bildete Sprache kann gar wol einen Vorrath an Wörtern von klarer Bedeutung haben; aber daß ganze Säze klar werden, dazu wird schon mehr er- fodert. Die Sprach muß schon Beugsamkeit, das ist, Mannigfaltigkeit der Wortfügung, mancherley Endigungen der Haupt- und Zeitwörter, auch vie- lerley Verbindung, Trennung und andre Verhält- nisse bedeutende Wörter, dazu haben. Weil in den redenden Künsten die Begriffe vor- Auch in der Bedeutung können Wörter und Re- Spr einen ihnen allen gebräuchlichen Ton des Ausdruks.Jn der Sprach der schönen Künste aber muß man sich in sehr vielerley Charakter auszudrüken wissen; bald sehr einfach und gerade zu; ein andermal geistreich; izt sehr gelassen, ein andermal feurig; einmal edel und mit hohem Anstand, ein andermal in dem bescheidensten gemeinen Ton, u. s. f. Diese verschiedenen Charaktere hat nur die Sprach ei- nes schon großen, und am vorzüglichsten eines großen und zugleich freydenkenden Volks, da sich keiner schenhen därf sich in seinem eigenen Charak- ter zu zeigen, und nach seiner eigenen Weise zu handeln. Denn wo die Menge sich schon nach wenigen, die den Ton geben, richten, da verschwin- det auch die Mannigfaltigkeit des Charakteristischen in der Sprach. Dieses erfahren die französischen Dichter genug, die in gar viel Fällen den Ton, der der schiklichste wäre, nicht zu treffen vermögend sind. Jndem wir hier die Eigenschaften einer guten Sprache. Wird auch ofte in einer Bedeutung genommen, Sibi sua habeant regna reges, sibi divitias diuites so würde man ohne nähern Bericht sehen, daß hier schwazt. (*) Plaut.
Curcul. Act l. Sc. 3. [Spaltenumbruch] Spr ſten taugt kein Wort, das nicht ſo gleich, als manes vernihmt, einen ſehr klaren und faßlichen Be- griff erwekt; denn die Sprache der Kuͤnſte muß voͤl- lig klar und faßlich ſeyn, da die Begriffe nur in ſo fern wuͤrken, als man ſie klar faßt. Eben dieſes gilt auch von ganzen Saͤzen. Eine noch unausge- bildete Sprache kann gar wol einen Vorrath an Woͤrtern von klarer Bedeutung haben; aber daß ganze Saͤze klar werden, dazu wird ſchon mehr er- fodert. Die Sprach muß ſchon Beugſamkeit, das iſt, Mannigfaltigkeit der Wortfuͤgung, mancherley Endigungen der Haupt- und Zeitwoͤrter, auch vie- lerley Verbindung, Trennung und andre Verhaͤlt- niſſe bedeutende Woͤrter, dazu haben. Weil in den redenden Kuͤnſten die Begriffe vor- Auch in der Bedeutung koͤnnen Woͤrter und Re- Spr einen ihnen allen gebraͤuchlichen Ton des Ausdruks.Jn der Sprach der ſchoͤnen Kuͤnſte aber muß man ſich in ſehr vielerley Charakter auszudruͤken wiſſen; bald ſehr einfach und gerade zu; ein andermal geiſtreich; izt ſehr gelaſſen, ein andermal feurig; einmal edel und mit hohem Anſtand, ein andermal in dem beſcheidenſten gemeinen Ton, u. ſ. f. Dieſe verſchiedenen Charaktere hat nur die Sprach ei- nes ſchon großen, und am vorzuͤglichſten eines großen und zugleich freydenkenden Volks, da ſich keiner ſchenhen daͤrf ſich in ſeinem eigenen Charak- ter zu zeigen, und nach ſeiner eigenen Weiſe zu handeln. Denn wo die Menge ſich ſchon nach wenigen, die den Ton geben, richten, da verſchwin- det auch die Mannigfaltigkeit des Charakteriſtiſchen in der Sprach. Dieſes erfahren die franzoͤſiſchen Dichter genug, die in gar viel Faͤllen den Ton, der der ſchiklichſte waͤre, nicht zu treffen vermoͤgend ſind. Jndem wir hier die Eigenſchaften einer guten Sprache. Wird auch ofte in einer Bedeutung genommen, Sibi ſua habeant regna reges, ſibi divitias diuites ſo wuͤrde man ohne naͤhern Bericht ſehen, daß hier ſchwazt. (*) Plaut.
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Denn ſonſt moͤchten bey viel<lb/> Metaphern die Aehnlichkeiten nur ſchwach ſeyn, oder<lb/> nur auf Nebenſachen, als auf das Weſentliche der<lb/> Begriffe gehen. Die Sprach eines etwas dummen<lb/> Volkes moͤchte ſo reich an Worten ſeyn, als man<lb/> wollte; ſo wuͤrde ſie doch ſehr viel ſchwache, den Be-<lb/> griffen wenig Lebhaftigkeit gebende Metaphern enthal-<lb/> ten. Hingegen muß ſie auch nicht von gar zu ſub-<lb/> tilen und zu ſpeculativen Koͤpfen bereichert worden<lb/> ſeyn; weil ſie durch dieſe einen großen Theil ihrer<lb/> Sinnlichkeit verliehren koͤnnte. 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Spr
Spr
ſten taugt kein Wort, das nicht ſo gleich, als man
es vernihmt, einen ſehr klaren und faßlichen Be-
griff erwekt; denn die Sprache der Kuͤnſte muß voͤl-
lig klar und faßlich ſeyn, da die Begriffe nur in ſo
fern wuͤrken, als man ſie klar faßt. Eben dieſes
gilt auch von ganzen Saͤzen. Eine noch unausge-
bildete Sprache kann gar wol einen Vorrath an
Woͤrtern von klarer Bedeutung haben; aber daß
ganze Saͤze klar werden, dazu wird ſchon mehr er-
fodert. Die Sprach muß ſchon Beugſamkeit, das
iſt, Mannigfaltigkeit der Wortfuͤgung, mancherley
Endigungen der Haupt- und Zeitwoͤrter, auch vie-
lerley Verbindung, Trennung und andre Verhaͤlt-
niſſe bedeutende Woͤrter, dazu haben.
Weil in den redenden Kuͤnſten die Begriffe vor-
zuͤgliche Sinnlichkeit haben muͤſſen, ſo muß die da-
zu ſchikliche Sprache reich an Metaphern und Bildern
ſeyn. Je mehr Woͤrter ſie hat, klare ſinnliche Em-
pfindungen der aͤußern Sinnen auszudruͤken, je
mehr in der Natur vorhandene, leicht faßliche Ge-
genſtaͤnde ſie mit beſondern Woͤrtern neunen kann,
je reicher kann ſie an Metaphern werden. Wenn
aber dieſe klar, lebhaft und richtig beſtimmt ſeyn
ſollen; ſo muß die Sprache ſchon lange in dem Mun-
de genau und richtig faßender, ſcharfſinniger Men-
ſchen geweſen ſeyn. Denn ſonſt moͤchten bey viel
Metaphern die Aehnlichkeiten nur ſchwach ſeyn, oder
nur auf Nebenſachen, als auf das Weſentliche der
Begriffe gehen. Die Sprach eines etwas dummen
Volkes moͤchte ſo reich an Worten ſeyn, als man
wollte; ſo wuͤrde ſie doch ſehr viel ſchwache, den Be-
griffen wenig Lebhaftigkeit gebende Metaphern enthal-
ten. Hingegen muß ſie auch nicht von gar zu ſub-
tilen und zu ſpeculativen Koͤpfen bereichert worden
ſeyn; weil ſie durch dieſe einen großen Theil ihrer
Sinnlichkeit verliehren koͤnnte. Die hoͤhern Wiſſen-
ſchaften tragen viel weniger zur Bereicherung einer
aͤſthetiſchen Sprache bey, als gemeinere Kuͤnſte und
Mannigfaltigkeit ſinnlicher Beſchaͤftigungen.
Auch in der Bedeutung koͤnnen Woͤrter und Re-
densarten mancherley ſittlichen und leidenſchaftlichen
Charakter annehmen; und je mannigfaltiger dieſer
iſt, je vorzuͤglicher iſt die Sprache fuͤr die redenden
Kuͤnſte. Dieſe Verſchiedenheit des Charakters aber
bekommt ſie nur durch die Mannigfaltigkeit der Cha-
raktere, Lebensarten und Staͤnde der Menſchen ſelbſt.
Perſonen von einerley Familie, die etwas einge-
ſchraͤnkt nur unter ſich leben, haben auch insgemein
einen ihnen allen gebraͤuchlichen Ton des Ausdruks.
Jn der Sprach der ſchoͤnen Kuͤnſte aber muß man
ſich in ſehr vielerley Charakter auszudruͤken wiſſen;
bald ſehr einfach und gerade zu; ein andermal
geiſtreich; izt ſehr gelaſſen, ein andermal feurig;
einmal edel und mit hohem Anſtand, ein andermal
in dem beſcheidenſten gemeinen Ton, u. ſ. f. Dieſe
verſchiedenen Charaktere hat nur die Sprach ei-
nes ſchon großen, und am vorzuͤglichſten eines
großen und zugleich freydenkenden Volks, da ſich
keiner ſchenhen daͤrf ſich in ſeinem eigenen Charak-
ter zu zeigen, und nach ſeiner eigenen Weiſe zu
handeln. Denn wo die Menge ſich ſchon nach
wenigen, die den Ton geben, richten, da verſchwin-
det auch die Mannigfaltigkeit des Charakteriſtiſchen
in der Sprach. Dieſes erfahren die franzoͤſiſchen
Dichter genug, die in gar viel Faͤllen den Ton, der
der ſchiklichſte waͤre, nicht zu treffen vermoͤgend ſind.
Jndem wir hier die Eigenſchaften einer guten
aͤſthetiſchen Sprach anzeigen, geben wir zugleich
angehenden Rednern und Dichtern Winke, wie ſie
ihre Sprache zu ſtudiren haben und worauf ſie da-
bey vorzuͤglich Acht haben ſollen. Es waͤr aber un-
endlich viel beſonderes hieruͤber zu ſagen; und da
wir uns in keinem Stuͤk in dieſes beſondere einlaſ-
ſen koͤnnen, ſo mag es an dem Allgemeinen, was
hieruͤber angemerkt worden iſt, fuͤr dieſen Ort ge-
nug ſeyn.
Sprache.
Wird auch ofte in einer Bedeutung genommen,
die faſt ganz mit der uͤbereinkommt, die man durch
Schreibart ausdruͤkt. So ſagt man, die Sprache
des Herzens; die Sprache der Natur; der Leiden-
ſchaft. Naͤmlich ſowol die Leidenſchaften, als die
Sitten haben einen eigenen Charakter, im Ton,
und Ausdruk; ein eigenes Gepraͤge, das ſich den
Reden eindruͤkt. Wenn man irgendwo folgende
Verſe faͤnde:
Sibi ſua habeant regna reges, ſibi divitias diuites
Sibi honores, ſibi virtutes, ſibi pugnas, ſibi prælia.
Dum mihi abſtineant invidere, ſibi quisque
Habeant quod ſuum eſt. (*)
ſo wuͤrde man ohne naͤhern Bericht ſehen, daß hier
ein vor Freude halb wahnwiziger Menſch ſpricht,
und es waͤr allenfalls zu errathen, daß ein junger
Verliebter, in der erſten Hize einer erhoͤrten Liebe
ſchwazt.
(*) Plaut.
Curcul.
Act l. Sc. 3.
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