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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Zur
des Reichthums, und der äußerlichen Schönheit
dienen. Ein Werk, dem es an Zierrathen fehlet,
ist deswegen nicht unvollkommen, nicht fehlerhaft,
aber es kann zu nakend seyn. Also sind sie einiger-
maaßen Anhängsel, die man wegnehmen könnte,
ohne das Werk fehlerhaft zu machen. Aber sie
sind desto schäzbarer, je genauer sie mit dem Wesent-
lichen verbunden sind, und das Ansehen wesentlicher
Theile haben. Jn den redenden Künsten sind Figu-
ren und Tropen, die nicht zum bestimmteren, oder
kräftigern Ausdruk, sondern blos zur Vermehrung
der Annehmlichkeit dienen; und in gleicher Absicht
eingeschaltete Gedanken, und Episoden, Zierrathen.
Jn der Mahlerey, das, was man insgemein Ne-
bensachen nennt; in der Musik die Manieren, in
der Baukunst alles Schnizwerk, und alles, was
den wesentlichen Theilen zu Vermehrung der Pracht,
oder des Reichthums beygefügt ist.

Durch Anbringung der Zierrathen wird ein Werk
verziehret, und reich, oder prächtig, aber nicht ei-
gentlich zierlich. Da wir über die Verziehrungen
bereits in einem besondern Artikel gesprochen haben,
so begnügen wir uns hier den Begriff der Zierrathen
bestimmt zu haben.

Zurükweichen.
(Mahlerey.)

Es geschieht ofte, daß in einem Gemählde die ent-
fernten Gegenstände sich nicht hinlänglich entfernen,
oder nicht genug zurükweichen, ob gleich der Mah-
ler in Zeichnung und Farben der entfernten Gegen-
stände alles gethan zu haben glaubet, was die Re-
geln hierüber fodern. (*) Der Fehler liegt insge-
mein in den Farben und in Licht und Schatten der
nächsten Gegenstände, oder des Vorgrundes, und
dessen, was darauf steht. Jn diesem Falle muß
das Zurükweichen der entfernten Gegenstände durch
nähere Bearbeitung der vorliegenden erhalten wer-
den. Denn, wenn man machen kann, daß das
vodere dem Auge näher zu kommen scheinet, so
wird auch das hintere blos dadurch zurükweichen.
Dieses Hervortreten, oder Herannäheren der vo-
dersten Gegenstände, wodurch das Zurükweichen
der hinteren erhalten wird, muß durch dreyerley
Mittel bewürkt werden, durch ausführlichere Zeich-
nung, durch bestimtere Farben und durch stär-
keres Licht und Schatten. Dann je näher uns ein
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Zwi
Gegenstand ist, je genauer unterscheiden wir jede
Kleinigkeit in seiner Zeichnung, je lebhafter und
bestimmter unterscheiden wir die Farbe jeder Stelle
und jeden Wiederschein und eben so viel heller scheint
jedes Licht und dunkeler jeder Schatten.

Diese drey Mittel muß der Mahler versuchen,
um das Zurükweichen der entfernten Gegenstände
zu erhalten. Findet er aber, daß die genaueste Be-
folgung der Regeln in Absicht auf diese Punkte die
gesuchte Würkung noch nicht hervorbringen; so
kann er daraus abnehmen, daß der Fehler in den
eigenthümlichen Farben der nähern Gegenstände
liege. Es giebt Farben, die ohne Rüksicht auf ihre
Stärke und Schwäche, von andern daneben liegen-
den, weit mehr abstechen, als andere. Da-Vinei
hat sehr richtig angemerkt, daß zwey hintereinan-
der liegende Gegenstände, deren eigenthümliche
Farben von einerley Art sind, sich weit weniger von
einander entfernen, als wenn ihre Farben ver-
schiedenem Ton haben. So ist es z. B. weit schwee-
rer, wo grün gegen grün steht, das Zurükweichen
zu erhalten, als wo die Farben verschiedener Art
sind, wie wenn roth gegen gelb gesezt wird.

Darum muß der Mahler sich befleißigen, die
Würkung der Farben besonders in Absicht auf das
zurükweichen, genau zu beobachten. Alles andre,
was zur Haltung gehört, kann durch Theorie ge-
lernt werden; aber dieser Punkt hängt allein von
der Erfahrung ab. Man kann dem Künstler hier-
über nichts nüzlicheres sagen, als daß man ihm ein
fleißiges und überlegtes Lesen der fürtreflichen Beob-
achtungen empfiehlt, die da Vinci nach sich gelassen
hat. Dadurch wird er nicht nur überhaupt von
dem Nuzen, den dergleichen Beobachtungen haben,
überzeugt werden, sondern zugleich lernen, sein Aug
unaufhörlich darin zu üben, daß ihm von allem,
was die Erfahrung in Beobachtung der Natur an
die Hand geben kann, nichts entgehe.

Zweystimmig.
(Musik.)

Sind die Tonstüke von zwey Stimmen. Sie sind
von zweyerley Art. Die vornehmsten und schweer-
sten sind die von zwey concertirenden Stimmen, und
werden Duette genennt. Von diesen haben wir in
einem besondern Artikel gesprochen. Wir merken
hier nur noch an, daß über die Lehre vom Saz des

für
(*) S.
[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]tung.

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Zur
des Reichthums, und der aͤußerlichen Schoͤnheit
dienen. Ein Werk, dem es an Zierrathen fehlet,
iſt deswegen nicht unvollkommen, nicht fehlerhaft,
aber es kann zu nakend ſeyn. Alſo ſind ſie einiger-
maaßen Anhaͤngſel, die man wegnehmen koͤnnte,
ohne das Werk fehlerhaft zu machen. Aber ſie
ſind deſto ſchaͤzbarer, je genauer ſie mit dem Weſent-
lichen verbunden ſind, und das Anſehen weſentlicher
Theile haben. Jn den redenden Kuͤnſten ſind Figu-
ren und Tropen, die nicht zum beſtimmteren, oder
kraͤftigern Ausdruk, ſondern blos zur Vermehrung
der Annehmlichkeit dienen; und in gleicher Abſicht
eingeſchaltete Gedanken, und Epiſoden, Zierrathen.
Jn der Mahlerey, das, was man insgemein Ne-
benſachen nennt; in der Muſik die Manieren, in
der Baukunſt alles Schnizwerk, und alles, was
den weſentlichen Theilen zu Vermehrung der Pracht,
oder des Reichthums beygefuͤgt iſt.

Durch Anbringung der Zierrathen wird ein Werk
verziehret, und reich, oder praͤchtig, aber nicht ei-
gentlich zierlich. Da wir uͤber die Verziehrungen
bereits in einem beſondern Artikel geſprochen haben,
ſo begnuͤgen wir uns hier den Begriff der Zierrathen
beſtimmt zu haben.

Zuruͤkweichen.
(Mahlerey.)

Es geſchieht ofte, daß in einem Gemaͤhlde die ent-
fernten Gegenſtaͤnde ſich nicht hinlaͤnglich entfernen,
oder nicht genug zuruͤkweichen, ob gleich der Mah-
ler in Zeichnung und Farben der entfernten Gegen-
ſtaͤnde alles gethan zu haben glaubet, was die Re-
geln hieruͤber fodern. (*) Der Fehler liegt insge-
mein in den Farben und in Licht und Schatten der
naͤchſten Gegenſtaͤnde, oder des Vorgrundes, und
deſſen, was darauf ſteht. Jn dieſem Falle muß
das Zuruͤkweichen der entfernten Gegenſtaͤnde durch
naͤhere Bearbeitung der vorliegenden erhalten wer-
den. Denn, wenn man machen kann, daß das
vodere dem Auge naͤher zu kommen ſcheinet, ſo
wird auch das hintere blos dadurch zuruͤkweichen.
Dieſes Hervortreten, oder Herannaͤheren der vo-
derſten Gegenſtaͤnde, wodurch das Zuruͤkweichen
der hinteren erhalten wird, muß durch dreyerley
Mittel bewuͤrkt werden, durch ausfuͤhrlichere Zeich-
nung, durch beſtimtere Farben und durch ſtaͤr-
keres Licht und Schatten. Dann je naͤher uns ein
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Zwi
Gegenſtand iſt, je genauer unterſcheiden wir jede
Kleinigkeit in ſeiner Zeichnung, je lebhafter und
beſtimmter unterſcheiden wir die Farbe jeder Stelle
und jeden Wiederſchein und eben ſo viel heller ſcheint
jedes Licht und dunkeler jeder Schatten.

Dieſe drey Mittel muß der Mahler verſuchen,
um das Zuruͤkweichen der entfernten Gegenſtaͤnde
zu erhalten. Findet er aber, daß die genaueſte Be-
folgung der Regeln in Abſicht auf dieſe Punkte die
geſuchte Wuͤrkung noch nicht hervorbringen; ſo
kann er daraus abnehmen, daß der Fehler in den
eigenthuͤmlichen Farben der naͤhern Gegenſtaͤnde
liege. Es giebt Farben, die ohne Ruͤkſicht auf ihre
Staͤrke und Schwaͤche, von andern daneben liegen-
den, weit mehr abſtechen, als andere. Da-Vinei
hat ſehr richtig angemerkt, daß zwey hintereinan-
der liegende Gegenſtaͤnde, deren eigenthuͤmliche
Farben von einerley Art ſind, ſich weit weniger von
einander entfernen, als wenn ihre Farben ver-
ſchiedenem Ton haben. So iſt es z. B. weit ſchwee-
rer, wo gruͤn gegen gruͤn ſteht, das Zuruͤkweichen
zu erhalten, als wo die Farben verſchiedener Art
ſind, wie wenn roth gegen gelb geſezt wird.

Darum muß der Mahler ſich befleißigen, die
Wuͤrkung der Farben beſonders in Abſicht auf das
zuruͤkweichen, genau zu beobachten. Alles andre,
was zur Haltung gehoͤrt, kann durch Theorie ge-
lernt werden; aber dieſer Punkt haͤngt allein von
der Erfahrung ab. Man kann dem Kuͤnſtler hier-
uͤber nichts nuͤzlicheres ſagen, als daß man ihm ein
fleißiges und uͤberlegtes Leſen der fuͤrtreflichen Beob-
achtungen empfiehlt, die da Vinci nach ſich gelaſſen
hat. Dadurch wird er nicht nur uͤberhaupt von
dem Nuzen, den dergleichen Beobachtungen haben,
uͤberzeugt werden, ſondern zugleich lernen, ſein Aug
unaufhoͤrlich darin zu uͤben, daß ihm von allem,
was die Erfahrung in Beobachtung der Natur an
die Hand geben kann, nichts entgehe.

Zweyſtimmig.
(Muſik.)

Sind die Tonſtuͤke von zwey Stimmen. Sie ſind
von zweyerley Art. Die vornehmſten und ſchweer-
ſten ſind die von zwey concertirenden Stimmen, und
werden Duette genennt. Von dieſen haben wir in
einem beſondern Artikel geſprochen. Wir merken
hier nur noch an, daß uͤber die Lehre vom Saz des

fuͤr
(*) S.
[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]tung.
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[1286[1268]/0715] Zur Zwi des Reichthums, und der aͤußerlichen Schoͤnheit dienen. Ein Werk, dem es an Zierrathen fehlet, iſt deswegen nicht unvollkommen, nicht fehlerhaft, aber es kann zu nakend ſeyn. Alſo ſind ſie einiger- maaßen Anhaͤngſel, die man wegnehmen koͤnnte, ohne das Werk fehlerhaft zu machen. Aber ſie ſind deſto ſchaͤzbarer, je genauer ſie mit dem Weſent- lichen verbunden ſind, und das Anſehen weſentlicher Theile haben. Jn den redenden Kuͤnſten ſind Figu- ren und Tropen, die nicht zum beſtimmteren, oder kraͤftigern Ausdruk, ſondern blos zur Vermehrung der Annehmlichkeit dienen; und in gleicher Abſicht eingeſchaltete Gedanken, und Epiſoden, Zierrathen. Jn der Mahlerey, das, was man insgemein Ne- benſachen nennt; in der Muſik die Manieren, in der Baukunſt alles Schnizwerk, und alles, was den weſentlichen Theilen zu Vermehrung der Pracht, oder des Reichthums beygefuͤgt iſt. Durch Anbringung der Zierrathen wird ein Werk verziehret, und reich, oder praͤchtig, aber nicht ei- gentlich zierlich. Da wir uͤber die Verziehrungen bereits in einem beſondern Artikel geſprochen haben, ſo begnuͤgen wir uns hier den Begriff der Zierrathen beſtimmt zu haben. Zuruͤkweichen. (Mahlerey.) Es geſchieht ofte, daß in einem Gemaͤhlde die ent- fernten Gegenſtaͤnde ſich nicht hinlaͤnglich entfernen, oder nicht genug zuruͤkweichen, ob gleich der Mah- ler in Zeichnung und Farben der entfernten Gegen- ſtaͤnde alles gethan zu haben glaubet, was die Re- geln hieruͤber fodern. (*) Der Fehler liegt insge- mein in den Farben und in Licht und Schatten der naͤchſten Gegenſtaͤnde, oder des Vorgrundes, und deſſen, was darauf ſteht. Jn dieſem Falle muß das Zuruͤkweichen der entfernten Gegenſtaͤnde durch naͤhere Bearbeitung der vorliegenden erhalten wer- den. Denn, wenn man machen kann, daß das vodere dem Auge naͤher zu kommen ſcheinet, ſo wird auch das hintere blos dadurch zuruͤkweichen. Dieſes Hervortreten, oder Herannaͤheren der vo- derſten Gegenſtaͤnde, wodurch das Zuruͤkweichen der hinteren erhalten wird, muß durch dreyerley Mittel bewuͤrkt werden, durch ausfuͤhrlichere Zeich- nung, durch beſtimtere Farben und durch ſtaͤr- keres Licht und Schatten. Dann je naͤher uns ein Gegenſtand iſt, je genauer unterſcheiden wir jede Kleinigkeit in ſeiner Zeichnung, je lebhafter und beſtimmter unterſcheiden wir die Farbe jeder Stelle und jeden Wiederſchein und eben ſo viel heller ſcheint jedes Licht und dunkeler jeder Schatten. Dieſe drey Mittel muß der Mahler verſuchen, um das Zuruͤkweichen der entfernten Gegenſtaͤnde zu erhalten. Findet er aber, daß die genaueſte Be- folgung der Regeln in Abſicht auf dieſe Punkte die geſuchte Wuͤrkung noch nicht hervorbringen; ſo kann er daraus abnehmen, daß der Fehler in den eigenthuͤmlichen Farben der naͤhern Gegenſtaͤnde liege. Es giebt Farben, die ohne Ruͤkſicht auf ihre Staͤrke und Schwaͤche, von andern daneben liegen- den, weit mehr abſtechen, als andere. Da-Vinei hat ſehr richtig angemerkt, daß zwey hintereinan- der liegende Gegenſtaͤnde, deren eigenthuͤmliche Farben von einerley Art ſind, ſich weit weniger von einander entfernen, als wenn ihre Farben ver- ſchiedenem Ton haben. So iſt es z. B. weit ſchwee- rer, wo gruͤn gegen gruͤn ſteht, das Zuruͤkweichen zu erhalten, als wo die Farben verſchiedener Art ſind, wie wenn roth gegen gelb geſezt wird. Darum muß der Mahler ſich befleißigen, die Wuͤrkung der Farben beſonders in Abſicht auf das zuruͤkweichen, genau zu beobachten. Alles andre, was zur Haltung gehoͤrt, kann durch Theorie ge- lernt werden; aber dieſer Punkt haͤngt allein von der Erfahrung ab. Man kann dem Kuͤnſtler hier- uͤber nichts nuͤzlicheres ſagen, als daß man ihm ein fleißiges und uͤberlegtes Leſen der fuͤrtreflichen Beob- achtungen empfiehlt, die da Vinci nach ſich gelaſſen hat. Dadurch wird er nicht nur uͤberhaupt von dem Nuzen, den dergleichen Beobachtungen haben, uͤberzeugt werden, ſondern zugleich lernen, ſein Aug unaufhoͤrlich darin zu uͤben, daß ihm von allem, was die Erfahrung in Beobachtung der Natur an die Hand geben kann, nichts entgehe. Zweyſtimmig. (Muſik.) Sind die Tonſtuͤke von zwey Stimmen. Sie ſind von zweyerley Art. Die vornehmſten und ſchweer- ſten ſind die von zwey concertirenden Stimmen, und werden Duette genennt. Von dieſen haben wir in einem beſondern Artikel geſprochen. Wir merken hier nur noch an, daß uͤber die Lehre vom Saz des fuͤr (*) S. _tung.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1286[1268]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/715>, abgerufen am 26.11.2024.