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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Wie
stimmt werden. Was dem Hellen an Stärke feh-
let, kann durch die Nähe ersezt werden. Eine
mittelmäßig helle Stelle, nahe an einer dunkeln,
wie z. B. eine helle Stelle auf der Schulter, gegen
den Schatten am Halse, kann schon hinlängliche
Wiederscheine geben.

Der dritte Punkt muß ebenfalls zu Vermehrung
oder Vermindrung der Wiederscheine in Betrach-
tung gezogen werden. Wär die helle Stelle zu
stark, oder zu schwach, als zur Beleuchtung der
Schatten erfodert wird, und der Mahler könnte
sich nicht anders helfen, so müßte er die Schwächung
durch schieffern Einfallungswinkel der Wiederscheine
bewürken; die Verstärkung aber durch gerades Ein-
fallen derselben.

Also stehen dem Mahler allemal drey Mittel, seine
Schatten durch Wiederscheine zu beleben, zu Dienste;
und von seiner Beurtheilung hängt es ab, welches
davon er in jedem besondern Fall wählen soll. Es
giebt Fälle, wo genaue und mit mancherley Be-
trachtungen verbundene Ueberlegung nöthig ist, um
das beste zu wählen. Wer diese Theorie hinläng-
lich erläutern wollte, müßte die mannigfaltigen An-
wendungen dieser Mittel an würklich vorhandenen
Beyspiehlen erläutern; welches aber ohne große
Weitläuftigkeit nicht geschehen könnte. Wer sich
die Mühe giebt, die Werke der größten Coloristen
genau zu prüfen, wird fast allemal die Gründe ent-
deken, warum Licht und Schatten, Helles und
Dunkeles, nebst den eigenthümlichen Farben, so
wie er es sieht, und nicht anders von dem Mahler
gewählt worden.

Nach der Stärke des wiederscheinenden Lichtes
kommt sein Einflus auf die Farben in Betrachtung.
Jedes wiederscheinende Licht hat seine Farbe, die
sich mit der eigenthümlichen Farbe des von dem
Hauptlicht erleuchteten Körpers vermischt, folglich
in dieser eine Veränderung verursachet. Die durch
den Wiederschein verursachten Farben entstehen aus
Vermischung der eigenthümlichen Farbe des Gegen-
standes, auf den der Wiederschein fällt, und der
Farbe, die der Wiederschein gebende Körper hat,
so daß z. B. der von einem blauen Körper auf einen
gelben fallende Wiederschein, eine grünliche Farbe
verursachet, und so auch in andern Fällen. Be-
sonderer daher entstehender Erscheinungen haben wir
bereits an einem andern Ort erwähnet (*). Da
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Wie
man bey dem Mahler eine gute Kenntniß der durch
Mischung zweyer Farben entstehenden Veränderun-
gen voraussezet, so ist in der Theorie über diesen
Punkt wenig zu erinnern.

Verschiedene scharfsinnige Bemerkungen über die
Wiederscheine hat auch da Vinci gemacht (*), auf
die wir den Künstler verweisen.

Eine besondere Art des Wiederscheines ist die Ab-
bildung einiger Gegenstände im Wasser, die in Land-
schaften ofte so angenehme Würkung thut. Wenn
der Mahler blos nach der Natur arbeitet, so zeiget
thm diese, welche Sachen er im Wasser, als wie-
derscheinend zu mahlen hat. Arbeitet er aber aus
Erfindung, so muß er sich genau an Regeln binden,
die die mathematische Kenntniß des von Spiegeln
zurückgeworfenen Lichts, an die Hand giebt. Die
Lage des Auges kommt hier vor allen Dingen in
Betrachtung. Jst diese genau bestimmt, so kann
der Mahler allemal nach den Regeln der Catoptrick
leicht bestimmen, welche Gegenstände im Wasser
sichtbar werden müssen, und wo jeder Punkt des
wahren Gegenstandes im Wasser sich zeigen wird;
denn dieses läßt sich mathematisch bestimmen. Jn-
dessen wird diese Materie von den Lehrern der Per-
spectiv insgemein übergangen, ob sie gleich eine be-
sondere Ausführung verdiente. Lairesse giebt dem
Mahler, dem die Theorie dieser Sache fehlet, ein
mechanisches Mittel an, sich zu helfen. Nämlich
man setzet auf einen Tisch, der die Fläche der zu
mahlenden Landschaft vorstellt, ein Beken voll Was-
ser und hinter demselben in der verhältnismäßigen
Höhe und Entfernung, werden kleine Bilder von
Bäumen, Gebäuden u. dgl. die man zu mahlen
hat, hingesezt. Sieht alsdenn der Mahler von
dem eigentlichen Orte des Auges gegen das Wasser-
becken, so kann er erfahren, was und wie viel
von den Gegenständen durch den Wiederschein sicht-
bar wird.

Das wiederscheinende Bild ist um so viel heller,
je weniger Licht auf das Wasser fällt, und um so
viel dunkler, je heller das Wasser erleuchtet wird.
Auf Wasser, das ganz im dunkeln steht, sind die
wiederscheinenden Bilder beynahe so hell, als die
Urbilder selbst.

Aber diese ganze Materie verdiente genauer und
umständlicher abgehandelt zu werden, als es hier
geschehen kann.

Wiz.
(*) S.
Schatten
gegen das
Ende des
Artikels.
(*) Traite
de pein-
ture
im
LXXV u.
den felaen-
den Cap.

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Wie
ſtimmt werden. Was dem Hellen an Staͤrke feh-
let, kann durch die Naͤhe erſezt werden. Eine
mittelmaͤßig helle Stelle, nahe an einer dunkeln,
wie z. B. eine helle Stelle auf der Schulter, gegen
den Schatten am Halſe, kann ſchon hinlaͤngliche
Wiederſcheine geben.

Der dritte Punkt muß ebenfalls zu Vermehrung
oder Vermindrung der Wiederſcheine in Betrach-
tung gezogen werden. Waͤr die helle Stelle zu
ſtark, oder zu ſchwach, als zur Beleuchtung der
Schatten erfodert wird, und der Mahler koͤnnte
ſich nicht anders helfen, ſo muͤßte er die Schwaͤchung
durch ſchieffern Einfallungswinkel der Wiederſcheine
bewuͤrken; die Verſtaͤrkung aber durch gerades Ein-
fallen derſelben.

Alſo ſtehen dem Mahler allemal drey Mittel, ſeine
Schatten durch Wiederſcheine zu beleben, zu Dienſte;
und von ſeiner Beurtheilung haͤngt es ab, welches
davon er in jedem beſondern Fall waͤhlen ſoll. Es
giebt Faͤlle, wo genaue und mit mancherley Be-
trachtungen verbundene Ueberlegung noͤthig iſt, um
das beſte zu waͤhlen. Wer dieſe Theorie hinlaͤng-
lich erlaͤutern wollte, muͤßte die mannigfaltigen An-
wendungen dieſer Mittel an wuͤrklich vorhandenen
Beyſpiehlen erlaͤutern; welches aber ohne große
Weitlaͤuftigkeit nicht geſchehen koͤnnte. Wer ſich
die Muͤhe giebt, die Werke der groͤßten Coloriſten
genau zu pruͤfen, wird faſt allemal die Gruͤnde ent-
deken, warum Licht und Schatten, Helles und
Dunkeles, nebſt den eigenthuͤmlichen Farben, ſo
wie er es ſieht, und nicht anders von dem Mahler
gewaͤhlt worden.

Nach der Staͤrke des wiederſcheinenden Lichtes
kommt ſein Einflus auf die Farben in Betrachtung.
Jedes wiederſcheinende Licht hat ſeine Farbe, die
ſich mit der eigenthuͤmlichen Farbe des von dem
Hauptlicht erleuchteten Koͤrpers vermiſcht, folglich
in dieſer eine Veraͤnderung verurſachet. Die durch
den Wiederſchein verurſachten Farben entſtehen aus
Vermiſchung der eigenthuͤmlichen Farbe des Gegen-
ſtandes, auf den der Wiederſchein faͤllt, und der
Farbe, die der Wiederſchein gebende Koͤrper hat,
ſo daß z. B. der von einem blauen Koͤrper auf einen
gelben fallende Wiederſchein, eine gruͤnliche Farbe
verurſachet, und ſo auch in andern Faͤllen. Be-
ſonderer daher entſtehender Erſcheinungen haben wir
bereits an einem andern Ort erwaͤhnet (*). Da
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Wie
man bey dem Mahler eine gute Kenntniß der durch
Miſchung zweyer Farben entſtehenden Veraͤnderun-
gen vorausſezet, ſo iſt in der Theorie uͤber dieſen
Punkt wenig zu erinnern.

Verſchiedene ſcharfſinnige Bemerkungen uͤber die
Wiederſcheine hat auch da Vinci gemacht (*), auf
die wir den Kuͤnſtler verweiſen.

Eine beſondere Art des Wiederſcheines iſt die Ab-
bildung einiger Gegenſtaͤnde im Waſſer, die in Land-
ſchaften ofte ſo angenehme Wuͤrkung thut. Wenn
der Mahler blos nach der Natur arbeitet, ſo zeiget
thm dieſe, welche Sachen er im Waſſer, als wie-
derſcheinend zu mahlen hat. Arbeitet er aber aus
Erfindung, ſo muß er ſich genau an Regeln binden,
die die mathematiſche Kenntniß des von Spiegeln
zuruͤckgeworfenen Lichts, an die Hand giebt. Die
Lage des Auges kommt hier vor allen Dingen in
Betrachtung. Jſt dieſe genau beſtimmt, ſo kann
der Mahler allemal nach den Regeln der Catoptrick
leicht beſtimmen, welche Gegenſtaͤnde im Waſſer
ſichtbar werden muͤſſen, und wo jeder Punkt des
wahren Gegenſtandes im Waſſer ſich zeigen wird;
denn dieſes laͤßt ſich mathematiſch beſtimmen. Jn-
deſſen wird dieſe Materie von den Lehrern der Per-
ſpectiv insgemein uͤbergangen, ob ſie gleich eine be-
ſondere Ausfuͤhrung verdiente. Laireſſe giebt dem
Mahler, dem die Theorie dieſer Sache fehlet, ein
mechaniſches Mittel an, ſich zu helfen. Naͤmlich
man ſetzet auf einen Tiſch, der die Flaͤche der zu
mahlenden Landſchaft vorſtellt, ein Beken voll Waſ-
ſer und hinter demſelben in der verhaͤltnismaͤßigen
Hoͤhe und Entfernung, werden kleine Bilder von
Baͤumen, Gebaͤuden u. dgl. die man zu mahlen
hat, hingeſezt. Sieht alsdenn der Mahler von
dem eigentlichen Orte des Auges gegen das Waſſer-
becken, ſo kann er erfahren, was und wie viel
von den Gegenſtaͤnden durch den Wiederſchein ſicht-
bar wird.

Das wiederſcheinende Bild iſt um ſo viel heller,
je weniger Licht auf das Waſſer faͤllt, und um ſo
viel dunkler, je heller das Waſſer erleuchtet wird.
Auf Waſſer, das ganz im dunkeln ſteht, ſind die
wiederſcheinenden Bilder beynahe ſo hell, als die
Urbilder ſelbſt.

Aber dieſe ganze Materie verdiente genauer und
umſtaͤndlicher abgehandelt zu werden, als es hier
geſchehen kann.

Wiz.
(*) S.
Schatten
gegen das
Ende des
Artikels.
(*) Traité
de pein-
ture
im
LXXV u.
den felaen-
den Cap.
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[1273[1257]/0720] Wie Wie ſtimmt werden. Was dem Hellen an Staͤrke feh- let, kann durch die Naͤhe erſezt werden. Eine mittelmaͤßig helle Stelle, nahe an einer dunkeln, wie z. B. eine helle Stelle auf der Schulter, gegen den Schatten am Halſe, kann ſchon hinlaͤngliche Wiederſcheine geben. Der dritte Punkt muß ebenfalls zu Vermehrung oder Vermindrung der Wiederſcheine in Betrach- tung gezogen werden. Waͤr die helle Stelle zu ſtark, oder zu ſchwach, als zur Beleuchtung der Schatten erfodert wird, und der Mahler koͤnnte ſich nicht anders helfen, ſo muͤßte er die Schwaͤchung durch ſchieffern Einfallungswinkel der Wiederſcheine bewuͤrken; die Verſtaͤrkung aber durch gerades Ein- fallen derſelben. Alſo ſtehen dem Mahler allemal drey Mittel, ſeine Schatten durch Wiederſcheine zu beleben, zu Dienſte; und von ſeiner Beurtheilung haͤngt es ab, welches davon er in jedem beſondern Fall waͤhlen ſoll. Es giebt Faͤlle, wo genaue und mit mancherley Be- trachtungen verbundene Ueberlegung noͤthig iſt, um das beſte zu waͤhlen. Wer dieſe Theorie hinlaͤng- lich erlaͤutern wollte, muͤßte die mannigfaltigen An- wendungen dieſer Mittel an wuͤrklich vorhandenen Beyſpiehlen erlaͤutern; welches aber ohne große Weitlaͤuftigkeit nicht geſchehen koͤnnte. Wer ſich die Muͤhe giebt, die Werke der groͤßten Coloriſten genau zu pruͤfen, wird faſt allemal die Gruͤnde ent- deken, warum Licht und Schatten, Helles und Dunkeles, nebſt den eigenthuͤmlichen Farben, ſo wie er es ſieht, und nicht anders von dem Mahler gewaͤhlt worden. Nach der Staͤrke des wiederſcheinenden Lichtes kommt ſein Einflus auf die Farben in Betrachtung. Jedes wiederſcheinende Licht hat ſeine Farbe, die ſich mit der eigenthuͤmlichen Farbe des von dem Hauptlicht erleuchteten Koͤrpers vermiſcht, folglich in dieſer eine Veraͤnderung verurſachet. Die durch den Wiederſchein verurſachten Farben entſtehen aus Vermiſchung der eigenthuͤmlichen Farbe des Gegen- ſtandes, auf den der Wiederſchein faͤllt, und der Farbe, die der Wiederſchein gebende Koͤrper hat, ſo daß z. B. der von einem blauen Koͤrper auf einen gelben fallende Wiederſchein, eine gruͤnliche Farbe verurſachet, und ſo auch in andern Faͤllen. Be- ſonderer daher entſtehender Erſcheinungen haben wir bereits an einem andern Ort erwaͤhnet (*). Da man bey dem Mahler eine gute Kenntniß der durch Miſchung zweyer Farben entſtehenden Veraͤnderun- gen vorausſezet, ſo iſt in der Theorie uͤber dieſen Punkt wenig zu erinnern. Verſchiedene ſcharfſinnige Bemerkungen uͤber die Wiederſcheine hat auch da Vinci gemacht (*), auf die wir den Kuͤnſtler verweiſen. Eine beſondere Art des Wiederſcheines iſt die Ab- bildung einiger Gegenſtaͤnde im Waſſer, die in Land- ſchaften ofte ſo angenehme Wuͤrkung thut. Wenn der Mahler blos nach der Natur arbeitet, ſo zeiget thm dieſe, welche Sachen er im Waſſer, als wie- derſcheinend zu mahlen hat. Arbeitet er aber aus Erfindung, ſo muß er ſich genau an Regeln binden, die die mathematiſche Kenntniß des von Spiegeln zuruͤckgeworfenen Lichts, an die Hand giebt. Die Lage des Auges kommt hier vor allen Dingen in Betrachtung. Jſt dieſe genau beſtimmt, ſo kann der Mahler allemal nach den Regeln der Catoptrick leicht beſtimmen, welche Gegenſtaͤnde im Waſſer ſichtbar werden muͤſſen, und wo jeder Punkt des wahren Gegenſtandes im Waſſer ſich zeigen wird; denn dieſes laͤßt ſich mathematiſch beſtimmen. Jn- deſſen wird dieſe Materie von den Lehrern der Per- ſpectiv insgemein uͤbergangen, ob ſie gleich eine be- ſondere Ausfuͤhrung verdiente. Laireſſe giebt dem Mahler, dem die Theorie dieſer Sache fehlet, ein mechaniſches Mittel an, ſich zu helfen. Naͤmlich man ſetzet auf einen Tiſch, der die Flaͤche der zu mahlenden Landſchaft vorſtellt, ein Beken voll Waſ- ſer und hinter demſelben in der verhaͤltnismaͤßigen Hoͤhe und Entfernung, werden kleine Bilder von Baͤumen, Gebaͤuden u. dgl. die man zu mahlen hat, hingeſezt. Sieht alsdenn der Mahler von dem eigentlichen Orte des Auges gegen das Waſſer- becken, ſo kann er erfahren, was und wie viel von den Gegenſtaͤnden durch den Wiederſchein ſicht- bar wird. Das wiederſcheinende Bild iſt um ſo viel heller, je weniger Licht auf das Waſſer faͤllt, und um ſo viel dunkler, je heller das Waſſer erleuchtet wird. Auf Waſſer, das ganz im dunkeln ſteht, ſind die wiederſcheinenden Bilder beynahe ſo hell, als die Urbilder ſelbſt. Aber dieſe ganze Materie verdiente genauer und umſtaͤndlicher abgehandelt zu werden, als es hier geſchehen kann. Wiz. (*) S. Schatten gegen das Ende des Artikels. (*) Traité de pein- ture im LXXV u. den felaen- den Cap.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1273[1257]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/720>, abgerufen am 26.11.2024.