Suppius, Christoph Eusebius: Oden und Lieder. Gotha, 1749.Moralische Oden. Hier soll der Griffel der Natur Nach seiner Art in manchen Bildern Bald eine schöne Schäferfluhr, Mit einer Aussicht, die entzücket, schildern; Zum Vorwurf meiner Poesie Verlang ich da auch Heerden Vieh, Und daß mich Hirtenlieder stören, Auch Hütten, ohne Kunst gemacht, Wo Tugend liebt, wo Unschuld lacht, Soll mir von allen gleich kein Zickelchen gehören. O! wie so sanfte dächt ich da Die Lebens-Tage zu verbringen! Jch wäre mir denn erst recht nah, Und könnte mich beherrschen und bezwingen, Denn würd ich mit mir selbst bekannt, Und fragte mich erst mit Verstand: Mit wem ich bis daher gelebet? Ob Jch, und denn der andre Jch, Wie wir gesollt, fein brüderlich Und ohne Zwiespalt stets der Tugend nachgestrebet? Wir würden uns, wie mich bedünkt, Einander derb die Wahrheit sagen, Jndem wir Götzen nachgehinkt, Die mit der Tugend sich niemahls vertragen, Jn der natürlichen Gestalt Würd uns die Wohllust runzlicht, alt, Wir selbst uns klein und niedrig scheinen, Wenn Selbsterkenntniß ließ geschehn, Daß wir in ihren Spiegel sehn, Da den Cothurnus wir noch anzuhaben meynen. Hätt
Moraliſche Oden. Hier ſoll der Griffel der Natur Nach ſeiner Art in manchen Bildern Bald eine ſchoͤne Schaͤferfluhr, Mit einer Ausſicht, die entzuͤcket, ſchildern; Zum Vorwurf meiner Poeſie Verlang ich da auch Heerden Vieh, Und daß mich Hirtenlieder ſtoͤren, Auch Huͤtten, ohne Kunſt gemacht, Wo Tugend liebt, wo Unſchuld lacht, Soll mir von allen gleich kein Zickelchen gehoͤren. O! wie ſo ſanfte daͤcht ich da Die Lebens-Tage zu verbringen! Jch waͤre mir denn erſt recht nah, Und koͤnnte mich beherrſchen und bezwingen, Denn wuͤrd ich mit mir ſelbſt bekannt, Und fragte mich erſt mit Verſtand: Mit wem ich bis daher gelebet? Ob Jch, und denn der andre Jch, Wie wir geſollt, fein bruͤderlich Und ohne Zwieſpalt ſtets der Tugend nachgeſtrebet? Wir wuͤrden uns, wie mich beduͤnkt, Einander derb die Wahrheit ſagen, Jndem wir Goͤtzen nachgehinkt, Die mit der Tugend ſich niemahls vertragen, Jn der natuͤrlichen Geſtalt Wuͤrd uns die Wohlluſt runzlicht, alt, Wir ſelbſt uns klein und niedrig ſcheinen, Wenn Selbſterkenntniß ließ geſchehn, Daß wir in ihren Spiegel ſehn, Da den Cothurnus wir noch anzuhaben meynen. Haͤtt
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Moraliſche Oden.
Hier ſoll der Griffel der Natur
Nach ſeiner Art in manchen Bildern
Bald eine ſchoͤne Schaͤferfluhr,
Mit einer Ausſicht, die entzuͤcket, ſchildern;
Zum Vorwurf meiner Poeſie
Verlang ich da auch Heerden Vieh,
Und daß mich Hirtenlieder ſtoͤren,
Auch Huͤtten, ohne Kunſt gemacht,
Wo Tugend liebt, wo Unſchuld lacht,
Soll mir von allen gleich kein Zickelchen gehoͤren.
O! wie ſo ſanfte daͤcht ich da
Die Lebens-Tage zu verbringen!
Jch waͤre mir denn erſt recht nah,
Und koͤnnte mich beherrſchen und bezwingen,
Denn wuͤrd ich mit mir ſelbſt bekannt,
Und fragte mich erſt mit Verſtand:
Mit wem ich bis daher gelebet?
Ob Jch, und denn der andre Jch,
Wie wir geſollt, fein bruͤderlich
Und ohne Zwieſpalt ſtets der Tugend nachgeſtrebet?
Wir wuͤrden uns, wie mich beduͤnkt,
Einander derb die Wahrheit ſagen,
Jndem wir Goͤtzen nachgehinkt,
Die mit der Tugend ſich niemahls vertragen,
Jn der natuͤrlichen Geſtalt
Wuͤrd uns die Wohlluſt runzlicht, alt,
Wir ſelbſt uns klein und niedrig ſcheinen,
Wenn Selbſterkenntniß ließ geſchehn,
Daß wir in ihren Spiegel ſehn,
Da den Cothurnus wir noch anzuhaben meynen.
Haͤtt
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