Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.alter fremder Mann kam, der sah hungrig und zerlumpt aus wie ein Bettler, und war von Frost und Regen beinahe erstarrt. Einige sagen, es sey einer von den Corveier Mönchen gewesen, denen damals die Insel Rügen gehörte. Der bat die Frau, sie möge ihm ein Nachtquartier geben in ihrem Hause, und ein Stücklein Brod, damit er sich wieder trocknen könne und nicht verhungern müsse. Das geizige Weib aber wollte nichts von dem Bettler wissen, schalt ihn, und jagte ihn mit bösen Worten wieder in das Unwetter hinaus. Darauf kam der alte fremde Mann zu der frommen Frau, und als er bei dieser seine Bitte anbrachte, da nahm sie ihn gleich mildthätig auf und pflegte sein, und theilte mit ihm ihren letzten Bissen Brod, denn sie war arm und hatte selbst nicht viel. Daran erlabte sich der Mann, und wurde wieder stark und rüstig, und man sah, daß er seine rechte Freude hatte. Als nun der alte Mann am anderen Morgen wieder von dannen zog, so dankte er ihr vielmals für die Wohlthat, die sie ihm erzeigt, und sprach zu ihr, sie solle das auch nicht umsonst gethan haben, denn das Erste, was sie nun unternehmen werde, das solle ihr den ganzen Tag gelingen. Damit schied er. Die Frau aber freute sich, daß sie ein gutes Werk gethan habe, und dachte der Worte des alten Mannes nicht weiter nach, denn sie hielt ihn für einen schlichten Bettler. Desselbigen Morgens hatte sie für Eines ihrer Kinder ein Hemde zu machen. Sie ging deshalb an ihren Koffer, in welchem sie noch ein kleines Röllchen Leinewand liegen hatte, und nahm eine Elle mit, um zu messen, ob es auch noch drei Ellen wären, denn so viel hatte sie zu dem Hemde nöthig. Wie sie nun aber anfing zu messen, so fand sie, daß es mehr war; denn sie hatte schon die drei Ellen abgemessen, alter fremder Mann kam, der sah hungrig und zerlumpt aus wie ein Bettler, und war von Frost und Regen beinahe erstarrt. Einige sagen, es sey einer von den Corveier Mönchen gewesen, denen damals die Insel Rügen gehörte. Der bat die Frau, sie möge ihm ein Nachtquartier geben in ihrem Hause, und ein Stücklein Brod, damit er sich wieder trocknen könne und nicht verhungern müsse. Das geizige Weib aber wollte nichts von dem Bettler wissen, schalt ihn, und jagte ihn mit bösen Worten wieder in das Unwetter hinaus. Darauf kam der alte fremde Mann zu der frommen Frau, und als er bei dieser seine Bitte anbrachte, da nahm sie ihn gleich mildthätig auf und pflegte sein, und theilte mit ihm ihren letzten Bissen Brod, denn sie war arm und hatte selbst nicht viel. Daran erlabte sich der Mann, und wurde wieder stark und rüstig, und man sah, daß er seine rechte Freude hatte. Als nun der alte Mann am anderen Morgen wieder von dannen zog, so dankte er ihr vielmals für die Wohlthat, die sie ihm erzeigt, und sprach zu ihr, sie solle das auch nicht umsonst gethan haben, denn das Erste, was sie nun unternehmen werde, das solle ihr den ganzen Tag gelingen. Damit schied er. Die Frau aber freute sich, daß sie ein gutes Werk gethan habe, und dachte der Worte des alten Mannes nicht weiter nach, denn sie hielt ihn für einen schlichten Bettler. Desselbigen Morgens hatte sie für Eines ihrer Kinder ein Hemde zu machen. Sie ging deshalb an ihren Koffer, in welchem sie noch ein kleines Röllchen Leinewand liegen hatte, und nahm eine Elle mit, um zu messen, ob es auch noch drei Ellen wären, denn so viel hatte sie zu dem Hemde nöthig. 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Daran erlabte sich der Mann, und wurde wieder stark und rüstig, und man sah, daß er seine rechte Freude hatte.</p> <p>Als nun der alte Mann am anderen Morgen wieder von dannen zog, so dankte er ihr vielmals für die Wohlthat, die sie ihm erzeigt, und sprach zu ihr, sie solle das auch nicht umsonst gethan haben, denn das Erste, was sie nun unternehmen werde, das solle ihr den ganzen Tag gelingen. Damit schied er. Die Frau aber freute sich, daß sie ein gutes Werk gethan habe, und dachte der Worte des alten Mannes nicht weiter nach, denn sie hielt ihn für einen schlichten Bettler.</p> <p>Desselbigen Morgens hatte sie für Eines ihrer Kinder ein Hemde zu machen. Sie ging deshalb an ihren Koffer, in welchem sie noch ein kleines Röllchen Leinewand liegen hatte, und nahm eine Elle mit, um zu messen, ob es auch noch drei Ellen wären, denn so viel hatte sie zu dem Hemde nöthig. Wie sie nun aber anfing zu messen, so fand sie, daß es mehr war; denn sie hatte schon die drei Ellen abgemessen, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [167/0199]
alter fremder Mann kam, der sah hungrig und zerlumpt aus wie ein Bettler, und war von Frost und Regen beinahe erstarrt. Einige sagen, es sey einer von den Corveier Mönchen gewesen, denen damals die Insel Rügen gehörte. Der bat die Frau, sie möge ihm ein Nachtquartier geben in ihrem Hause, und ein Stücklein Brod, damit er sich wieder trocknen könne und nicht verhungern müsse. Das geizige Weib aber wollte nichts von dem Bettler wissen, schalt ihn, und jagte ihn mit bösen Worten wieder in das Unwetter hinaus.
Darauf kam der alte fremde Mann zu der frommen Frau, und als er bei dieser seine Bitte anbrachte, da nahm sie ihn gleich mildthätig auf und pflegte sein, und theilte mit ihm ihren letzten Bissen Brod, denn sie war arm und hatte selbst nicht viel. Daran erlabte sich der Mann, und wurde wieder stark und rüstig, und man sah, daß er seine rechte Freude hatte.
Als nun der alte Mann am anderen Morgen wieder von dannen zog, so dankte er ihr vielmals für die Wohlthat, die sie ihm erzeigt, und sprach zu ihr, sie solle das auch nicht umsonst gethan haben, denn das Erste, was sie nun unternehmen werde, das solle ihr den ganzen Tag gelingen. Damit schied er. Die Frau aber freute sich, daß sie ein gutes Werk gethan habe, und dachte der Worte des alten Mannes nicht weiter nach, denn sie hielt ihn für einen schlichten Bettler.
Desselbigen Morgens hatte sie für Eines ihrer Kinder ein Hemde zu machen. Sie ging deshalb an ihren Koffer, in welchem sie noch ein kleines Röllchen Leinewand liegen hatte, und nahm eine Elle mit, um zu messen, ob es auch noch drei Ellen wären, denn so viel hatte sie zu dem Hemde nöthig. Wie sie nun aber anfing zu messen, so fand sie, daß es mehr war; denn sie hatte schon die drei Ellen abgemessen,
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Zitationshilfe: | Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/199>, abgerufen am 16.07.2024. |