Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.Laut erscholl des Priesters zornig Wüthen, Gleich dem Donner durch den öden Thurm, Und die sonst so bleichen Wangen glühten Wie der Abendhimmel vor dem Sturm. "Folget mir hinaus!" rief er, und Alle Thaten schweigend, wie sein Wort gebot. "Eh' ich diesen Frevel dulde, falle Diese Burg und gebe mir den Tod!" Hundert Schritte aufwärts in dem Haine Steht er still und winkt der Mädchen Schaar. "Hier," ruft er, auf diesem breiten Steine "Wird die Schuldige uns offenbar." "Nackten Fußes tretet auf die Mitte Dieses Steines nach einander hin; An dem deutlich eingeprägten Tritte Kennen wir die freche Sünderin." Sprach's, und Alle schritten kühn hinüber; Wunna blieb zuletzt. Noch keine Spur. Ach da wurden ihre Augen trüber Und sie wankte, bleich und zitternd, nur. Trat hinauf. Doch wehe! schallt's im Haine Aus des Priesters und der Jungfrau'n Mund. In dem wunderhaften Göttersteine Thaten sich zwei Spuren deutlich kund. Von dem eig'nen Fuße war die eine Und die and're zart wie Kindestritt. Deutlich war die Schuld, als sie vom Steine Bleich und überrascht herniederschritt. Was sie selbst sich nicht gestehen wollte, Ja, was ihr vielleicht noch Räthsel war, Laut erscholl des Priesters zornig Wüthen, Gleich dem Donner durch den öden Thurm, Und die sonst so bleichen Wangen glühten Wie der Abendhimmel vor dem Sturm. „Folget mir hinaus!“ rief er, und Alle Thaten schweigend, wie sein Wort gebot. „Eh’ ich diesen Frevel dulde, falle Diese Burg und gebe mir den Tod!“ Hundert Schritte aufwärts in dem Haine Steht er still und winkt der Mädchen Schaar. „Hier,“ ruft er, auf diesem breiten Steine „Wird die Schuldige uns offenbar.“ „Nackten Fußes tretet auf die Mitte Dieses Steines nach einander hin; An dem deutlich eingeprägten Tritte Kennen wir die freche Sünderin.“ Sprach’s, und Alle schritten kühn hinüber; Wunna blieb zuletzt. Noch keine Spur. Ach da wurden ihre Augen trüber Und sie wankte, bleich und zitternd, nur. Trat hinauf. Doch wehe! schallt’s im Haine Aus des Priesters und der Jungfrau’n Mund. In dem wunderhaften Göttersteine Thaten sich zwei Spuren deutlich kund. Von dem eig’nen Fuße war die eine Und die and’re zart wie Kindestritt. Deutlich war die Schuld, als sie vom Steine Bleich und überrascht herniederschritt. Was sie selbst sich nicht gestehen wollte, Ja, was ihr vielleicht noch Räthsel war, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="poem"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0358" n="326"/> <lg n="12"> <l> <hi rendition="#et">Laut erscholl des Priesters zornig Wüthen,</hi> </l><lb/> <l>Gleich dem Donner durch den öden Thurm,</l><lb/> <l>Und die sonst so bleichen Wangen glühten</l><lb/> <l>Wie der Abendhimmel vor dem Sturm.</l><lb/> </lg> <lg n="13"> <l> <hi rendition="#et">„Folget mir hinaus!“ rief er, und Alle</hi> </l><lb/> <l>Thaten schweigend, wie sein Wort gebot.</l><lb/> <l>„Eh’ ich diesen Frevel dulde, falle</l><lb/> <l>Diese Burg und gebe mir den Tod!“</l><lb/> </lg> <lg n="14"> <l> <hi rendition="#et">Hundert Schritte aufwärts in dem Haine</hi> </l><lb/> <l>Steht er still und winkt der Mädchen Schaar.</l><lb/> <l>„Hier,“ ruft er, auf diesem breiten Steine</l><lb/> <l>„Wird die Schuldige uns offenbar.“</l><lb/> </lg> <lg n="15"> <l> <hi rendition="#et">„Nackten Fußes tretet auf die Mitte</hi> </l><lb/> <l>Dieses Steines nach einander hin;</l><lb/> <l>An dem deutlich eingeprägten Tritte</l><lb/> <l>Kennen wir die freche Sünderin.“</l><lb/> </lg> <lg n="16"> <l> <hi rendition="#et">Sprach’s, und Alle schritten kühn hinüber;</hi> </l><lb/> <l><hi rendition="#g">Wunna</hi> blieb zuletzt. Noch keine Spur.</l><lb/> <l>Ach da wurden ihre Augen trüber</l><lb/> <l>Und sie wankte, bleich und zitternd, nur.</l><lb/> </lg> <lg n="17"> <l> <hi rendition="#et">Trat hinauf. Doch wehe! schallt’s im Haine</hi> </l><lb/> <l>Aus des Priesters und der Jungfrau’n Mund.</l><lb/> <l>In dem wunderhaften Göttersteine</l><lb/> <l>Thaten sich zwei Spuren deutlich kund.</l><lb/> </lg> <lg n="18"> <l> <hi rendition="#et">Von dem eig’nen Fuße war die eine</hi> </l><lb/> <l>Und die and’re zart wie Kindestritt.</l><lb/> <l>Deutlich war die Schuld, als sie vom Steine</l><lb/> <l>Bleich und überrascht herniederschritt.</l><lb/> </lg> <lg n="19"> <l> <hi rendition="#et">Was sie selbst sich nicht gestehen wollte,</hi> </l><lb/> <l>Ja, was ihr vielleicht noch Räthsel war,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [326/0358]
Laut erscholl des Priesters zornig Wüthen,
Gleich dem Donner durch den öden Thurm,
Und die sonst so bleichen Wangen glühten
Wie der Abendhimmel vor dem Sturm.
„Folget mir hinaus!“ rief er, und Alle
Thaten schweigend, wie sein Wort gebot.
„Eh’ ich diesen Frevel dulde, falle
Diese Burg und gebe mir den Tod!“
Hundert Schritte aufwärts in dem Haine
Steht er still und winkt der Mädchen Schaar.
„Hier,“ ruft er, auf diesem breiten Steine
„Wird die Schuldige uns offenbar.“
„Nackten Fußes tretet auf die Mitte
Dieses Steines nach einander hin;
An dem deutlich eingeprägten Tritte
Kennen wir die freche Sünderin.“
Sprach’s, und Alle schritten kühn hinüber;
Wunna blieb zuletzt. Noch keine Spur.
Ach da wurden ihre Augen trüber
Und sie wankte, bleich und zitternd, nur.
Trat hinauf. Doch wehe! schallt’s im Haine
Aus des Priesters und der Jungfrau’n Mund.
In dem wunderhaften Göttersteine
Thaten sich zwei Spuren deutlich kund.
Von dem eig’nen Fuße war die eine
Und die and’re zart wie Kindestritt.
Deutlich war die Schuld, als sie vom Steine
Bleich und überrascht herniederschritt.
Was sie selbst sich nicht gestehen wollte,
Ja, was ihr vielleicht noch Räthsel war,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/358 |
Zitationshilfe: | Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/358>, abgerufen am 16.02.2025. |