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Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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genau die Stelle im Auge behaltend, wo der Vogel ins Röhricht gefallen, stieß er sein Boot durch das dichte Schilfrohr dorthin. Plötzlich schrie neben ihm eine rauhe, grollende Stimme:

Halt da! -- Oder du nichtsnutziger Stöber hast zum Letztenmal stillen Leuten das Tagwerk verdorben!

Piet! rief der Jüngling, verwundert um sich blickend; aber erst nach einigem Suchen entdeckte er die auf einem Schilfneste hockende Gestalt des scheltenden Mannes. Ah, da sitzt er! Wahrhaftig, wie der Schilfmann! -- Gut, daß ich dich finde, Piet, das spart mir die Fahrt zu deiner alten Mutter Lora.

Er hatte während dieser Rede sein Boot mühsam bis zu dem Nesthocker vorgeschoben; die Beiden befanden sich jetzt in dem Rohrdickicht neben einander. Piet saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Wasser unbeweglich in seinem trockenen Schilfneste; seine kleinen, runden Augen funkelten grimmig unter einem strohgelben Haarwulst, der wie ein Türkenbund den unbedeckten Kopf umgab. Eine grasgrüne, wetterverschossene Jacke war die einzige Bekleidung des gedrungenen Oberkörpers; sie ließ die rauh behaarte, breite Brust unbedeckt. Er stützte sein rothes, sonnenverbranntes Gesicht mit hohen Backenknochen und mächtigen Kinnladen auf ein Paar gewalt'ge Fäuste, die mit dem Ellbogen auf dem unterschlagenen Knie ruhten. -- Wer diese zusammengeklappte Gestalt aus einiger Entfernung betrachtete, konnte sie leicht für einen Stubben halten, wie man

genau die Stelle im Auge behaltend, wo der Vogel ins Röhricht gefallen, stieß er sein Boot durch das dichte Schilfrohr dorthin. Plötzlich schrie neben ihm eine rauhe, grollende Stimme:

Halt da! — Oder du nichtsnutziger Stöber hast zum Letztenmal stillen Leuten das Tagwerk verdorben!

Piet! rief der Jüngling, verwundert um sich blickend; aber erst nach einigem Suchen entdeckte er die auf einem Schilfneste hockende Gestalt des scheltenden Mannes. Ah, da sitzt er! Wahrhaftig, wie der Schilfmann! — Gut, daß ich dich finde, Piet, das spart mir die Fahrt zu deiner alten Mutter Lora.

Er hatte während dieser Rede sein Boot mühsam bis zu dem Nesthocker vorgeschoben; die Beiden befanden sich jetzt in dem Rohrdickicht neben einander. Piet saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Wasser unbeweglich in seinem trockenen Schilfneste; seine kleinen, runden Augen funkelten grimmig unter einem strohgelben Haarwulst, der wie ein Türkenbund den unbedeckten Kopf umgab. Eine grasgrüne, wetterverschossene Jacke war die einzige Bekleidung des gedrungenen Oberkörpers; sie ließ die rauh behaarte, breite Brust unbedeckt. Er stützte sein rothes, sonnenverbranntes Gesicht mit hohen Backenknochen und mächtigen Kinnladen auf ein Paar gewalt'ge Fäuste, die mit dem Ellbogen auf dem unterschlagenen Knie ruhten. — Wer diese zusammengeklappte Gestalt aus einiger Entfernung betrachtete, konnte sie leicht für einen Stubben halten, wie man

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:22:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Tesche, Walter: Der Enten-Piet. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 121–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tesche_piet_1910/9>, abgerufen am 28.04.2024.