re Ursache in der Seele wiedererwecket, bey der Gele- genheit, da eine andere damit verbundene Jdee vorhan- den ist. Jenes ist aber keine wiederkommende Empfin- dung von außen her. Das Bild wird erneuert, weil eine Leichtigkeit, oder eine Disposition dazu, aus der vor- hergegangenen Empfindung zurückgeblieben war, welche die Eigenmacht der Seele wieder hervorziehen, entwi- ckeln, und als Abbildung des vorigen Zustandes bemerk- bar machen kann.
Wenn das lebhafte Vergnügen und die warme Zu- neigung gegen eine Person in mir wiederhervorkommt, da ich ihr Bild vor mir habe, ohne sie selbst zu sehen; ist diese wiederkommende Gemüthsbewegung, oder die wiederaufsteigende Neigung eine ähnliche Wie- dererweckung einer aus der Empfindung zurückgelas- senen Spur? Kann sie nicht vielleicht eine neue jetzo her- vorgebrachte Wirkung seyn, welche die Vorstellung des Objekts zur Ursache hat? kann diese wiederholte Em- pfindung in Verhältniß mit der Lebhaftigkeit der Ein- bildung, wodurch sie hervorgebracht wird, nicht selbst lebhaft oder matt seyn, ohne Bezug darauf, daß sie vorhero in uns gegenwärtig gewesen ist? Wenn ein Ver- gnügen über eine Sache das erstemal durch das Anschaun entstanden ist, muß nicht auch die Einbildung, als ein heruntergesetztes Anschaun, aus einem ähnlichen Grun- de die Ursache von einer schwachen Gemüthsbewegung seyn, welche sich zu dem Vergnügen aus der Empfin- dung auf dieselbige Art verhält, wie die Einbildung selbst zu der Empfindung? Und dann ist es unnöthig, eine aufbehaltene Spur des ehemaligen Gemüthszustan- des anzunehmen.
Die Vorstellung von einem äußern Gegenstande kann wieder erwecket werden vermittelst einer andern Vorstellung, die mit ihr verbunden ist und von der man es weiß, daß sie die physische Ursache von derjenigen
nicht
I. Verſuch. Ueber die Natur
re Urſache in der Seele wiedererwecket, bey der Gele- genheit, da eine andere damit verbundene Jdee vorhan- den iſt. Jenes iſt aber keine wiederkommende Empfin- dung von außen her. Das Bild wird erneuert, weil eine Leichtigkeit, oder eine Dispoſition dazu, aus der vor- hergegangenen Empfindung zuruͤckgeblieben war, welche die Eigenmacht der Seele wieder hervorziehen, entwi- ckeln, und als Abbildung des vorigen Zuſtandes bemerk- bar machen kann.
Wenn das lebhafte Vergnuͤgen und die warme Zu- neigung gegen eine Perſon in mir wiederhervorkommt, da ich ihr Bild vor mir habe, ohne ſie ſelbſt zu ſehen; iſt dieſe wiederkommende Gemuͤthsbewegung, oder die wiederaufſteigende Neigung eine aͤhnliche Wie- dererweckung einer aus der Empfindung zuruͤckgelaſ- ſenen Spur? Kann ſie nicht vielleicht eine neue jetzo her- vorgebrachte Wirkung ſeyn, welche die Vorſtellung des Objekts zur Urſache hat? kann dieſe wiederholte Em- pfindung in Verhaͤltniß mit der Lebhaftigkeit der Ein- bildung, wodurch ſie hervorgebracht wird, nicht ſelbſt lebhaft oder matt ſeyn, ohne Bezug darauf, daß ſie vorhero in uns gegenwaͤrtig geweſen iſt? Wenn ein Ver- gnuͤgen uͤber eine Sache das erſtemal durch das Anſchaun entſtanden iſt, muß nicht auch die Einbildung, als ein heruntergeſetztes Anſchaun, aus einem aͤhnlichen Grun- de die Urſache von einer ſchwachen Gemuͤthsbewegung ſeyn, welche ſich zu dem Vergnuͤgen aus der Empfin- dung auf dieſelbige Art verhaͤlt, wie die Einbildung ſelbſt zu der Empfindung? Und dann iſt es unnoͤthig, eine aufbehaltene Spur des ehemaligen Gemuͤthszuſtan- des anzunehmen.
Die Vorſtellung von einem aͤußern Gegenſtande kann wieder erwecket werden vermittelſt einer andern Vorſtellung, die mit ihr verbunden iſt und von der man es weiß, daß ſie die phyſiſche Urſache von derjenigen
nicht
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I. Verſuch. Ueber die Natur
re Urſache in der Seele wiedererwecket, bey der Gele-
genheit, da eine andere damit verbundene Jdee vorhan-
den iſt. Jenes iſt aber keine wiederkommende Empfin-
dung von außen her. Das Bild wird erneuert, weil eine
Leichtigkeit, oder eine Dispoſition dazu, aus der vor-
hergegangenen Empfindung zuruͤckgeblieben war, welche
die Eigenmacht der Seele wieder hervorziehen, entwi-
ckeln, und als Abbildung des vorigen Zuſtandes bemerk-
bar machen kann.
Wenn das lebhafte Vergnuͤgen und die warme Zu-
neigung gegen eine Perſon in mir wiederhervorkommt,
da ich ihr Bild vor mir habe, ohne ſie ſelbſt zu ſehen;
iſt dieſe wiederkommende Gemuͤthsbewegung,
oder die wiederaufſteigende Neigung eine aͤhnliche Wie-
dererweckung einer aus der Empfindung zuruͤckgelaſ-
ſenen Spur? Kann ſie nicht vielleicht eine neue jetzo her-
vorgebrachte Wirkung ſeyn, welche die Vorſtellung des
Objekts zur Urſache hat? kann dieſe wiederholte Em-
pfindung in Verhaͤltniß mit der Lebhaftigkeit der Ein-
bildung, wodurch ſie hervorgebracht wird, nicht ſelbſt
lebhaft oder matt ſeyn, ohne Bezug darauf, daß ſie
vorhero in uns gegenwaͤrtig geweſen iſt? Wenn ein Ver-
gnuͤgen uͤber eine Sache das erſtemal durch das Anſchaun
entſtanden iſt, muß nicht auch die Einbildung, als ein
heruntergeſetztes Anſchaun, aus einem aͤhnlichen Grun-
de die Urſache von einer ſchwachen Gemuͤthsbewegung
ſeyn, welche ſich zu dem Vergnuͤgen aus der Empfin-
dung auf dieſelbige Art verhaͤlt, wie die Einbildung
ſelbſt zu der Empfindung? Und dann iſt es unnoͤthig,
eine aufbehaltene Spur des ehemaligen Gemuͤthszuſtan-
des anzunehmen.
Die Vorſtellung von einem aͤußern Gegenſtande
kann wieder erwecket werden vermittelſt einer andern
Vorſtellung, die mit ihr verbunden iſt und von der man
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/120>, abgerufen am 22.12.2024.
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