viduelle Empfindung, die sie durchs Gehör und Gesicht verursachen, nur wenig, und nur, wenn sie etwas eige- nes an sich hat, beachtet und bemerket wird.
Die Reflexion nimmt die Aehnlichkeit zwischen dem Bilde und der Sache, die Analogie der Zeichen auf die bezeichneten Gegenstände gewahr. So gleich verbindet sie nicht allein diese beyden Vorstellungen mit einander, sondern sie vereiniget solche gewissermaßen zu Einer Vorstellung. Alsdenn muß diejenige von ihnen, welche die schwächere, die mattere, unvollständigere, entwe- der im Anfang schon war, oder bey der öftern Wie- derholung von beiden es darum wird, weil sie weniger interessant ist, und also die Aufmerksamkeit weniger be- schäftiget, von der stärkeren, völligern und lebhaftern überwältiget, und auf diese mehr, als diese auf jene be- zogen werden. Daher wird von beiden ähnlichen und vereinigten Vorstellungen diejenige, welche die mehre- sten Empfindungen erreget, von mehreren Seiten be- trachtet, und also lebhafter und stärker vorgestellet wird, zu einer Vorstellung von dem Hauptgegenstande gemacht; die andere hingegen, welche uns minder beschäftiget, und bey der wir auf nichts mehr aufmerksam sind, als auf solche Beschaffenheiten, die ihre Aehnlichkeit mit dem ersten ausmachen, wird für uns zum Zeichen, bey dessen Gegenwart die erstere, als das vornehmste Ob- jekt der Aufmerksamkeit, diese auf sich hinziehet. Der gedachte Blinde glaubte anfangs in den Gemählden die wahren Personen zu sehen; aber als er sie befühlte, und die Empfindungen nicht antraf, welche er von Personen zu empfangen gewohnt war, so entdeckte er ihr Leeres, und ihren nur einseitigen Schein, und fieng an, sie für dasjenige zu halten, was sie waren, nemlich für Bil- der.
Diese Beobachtungen führen auf das allgemeine Ge- setz der Reflexion. "Wenn zwey Vorstellungen zu
"Einer
I. Verſuch. Ueber die Natur
viduelle Empfindung, die ſie durchs Gehoͤr und Geſicht verurſachen, nur wenig, und nur, wenn ſie etwas eige- nes an ſich hat, beachtet und bemerket wird.
Die Reflexion nimmt die Aehnlichkeit zwiſchen dem Bilde und der Sache, die Analogie der Zeichen auf die bezeichneten Gegenſtaͤnde gewahr. So gleich verbindet ſie nicht allein dieſe beyden Vorſtellungen mit einander, ſondern ſie vereiniget ſolche gewiſſermaßen zu Einer Vorſtellung. Alsdenn muß diejenige von ihnen, welche die ſchwaͤchere, die mattere, unvollſtaͤndigere, entwe- der im Anfang ſchon war, oder bey der oͤftern Wie- derholung von beiden es darum wird, weil ſie weniger intereſſant iſt, und alſo die Aufmerkſamkeit weniger be- ſchaͤftiget, von der ſtaͤrkeren, voͤlligern und lebhaftern uͤberwaͤltiget, und auf dieſe mehr, als dieſe auf jene be- zogen werden. Daher wird von beiden aͤhnlichen und vereinigten Vorſtellungen diejenige, welche die mehre- ſten Empfindungen erreget, von mehreren Seiten be- trachtet, und alſo lebhafter und ſtaͤrker vorgeſtellet wird, zu einer Vorſtellung von dem Hauptgegenſtande gemacht; die andere hingegen, welche uns minder beſchaͤftiget, und bey der wir auf nichts mehr aufmerkſam ſind, als auf ſolche Beſchaffenheiten, die ihre Aehnlichkeit mit dem erſten ausmachen, wird fuͤr uns zum Zeichen, bey deſſen Gegenwart die erſtere, als das vornehmſte Ob- jekt der Aufmerkſamkeit, dieſe auf ſich hinziehet. Der gedachte Blinde glaubte anfangs in den Gemaͤhlden die wahren Perſonen zu ſehen; aber als er ſie befuͤhlte, und die Empfindungen nicht antraf, welche er von Perſonen zu empfangen gewohnt war, ſo entdeckte er ihr Leeres, und ihren nur einſeitigen Schein, und fieng an, ſie fuͤr dasjenige zu halten, was ſie waren, nemlich fuͤr Bil- der.
Dieſe Beobachtungen fuͤhren auf das allgemeine Ge- ſetz der Reflexion. „Wenn zwey Vorſtellungen zu
„Einer
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I. Verſuch. Ueber die Natur
viduelle Empfindung, die ſie durchs Gehoͤr und Geſicht
verurſachen, nur wenig, und nur, wenn ſie etwas eige-
nes an ſich hat, beachtet und bemerket wird.
Die Reflexion nimmt die Aehnlichkeit zwiſchen dem
Bilde und der Sache, die Analogie der Zeichen auf die
bezeichneten Gegenſtaͤnde gewahr. So gleich verbindet
ſie nicht allein dieſe beyden Vorſtellungen mit einander,
ſondern ſie vereiniget ſolche gewiſſermaßen zu Einer
Vorſtellung. Alsdenn muß diejenige von ihnen, welche
die ſchwaͤchere, die mattere, unvollſtaͤndigere, entwe-
der im Anfang ſchon war, oder bey der oͤftern Wie-
derholung von beiden es darum wird, weil ſie weniger
intereſſant iſt, und alſo die Aufmerkſamkeit weniger be-
ſchaͤftiget, von der ſtaͤrkeren, voͤlligern und lebhaftern
uͤberwaͤltiget, und auf dieſe mehr, als dieſe auf jene be-
zogen werden. Daher wird von beiden aͤhnlichen und
vereinigten Vorſtellungen diejenige, welche die mehre-
ſten Empfindungen erreget, von mehreren Seiten be-
trachtet, und alſo lebhafter und ſtaͤrker vorgeſtellet wird,
zu einer Vorſtellung von dem Hauptgegenſtande gemacht;
die andere hingegen, welche uns minder beſchaͤftiget,
und bey der wir auf nichts mehr aufmerkſam ſind, als
auf ſolche Beſchaffenheiten, die ihre Aehnlichkeit mit
dem erſten ausmachen, wird fuͤr uns zum Zeichen, bey
deſſen Gegenwart die erſtere, als das vornehmſte Ob-
jekt der Aufmerkſamkeit, dieſe auf ſich hinziehet. Der
gedachte Blinde glaubte anfangs in den Gemaͤhlden die
wahren Perſonen zu ſehen; aber als er ſie befuͤhlte, und
die Empfindungen nicht antraf, welche er von Perſonen
zu empfangen gewohnt war, ſo entdeckte er ihr Leeres,
und ihren nur einſeitigen Schein, und fieng an, ſie fuͤr
dasjenige zu halten, was ſie waren, nemlich fuͤr Bil-
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Dieſe Beobachtungen fuͤhren auf das allgemeine Ge-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/144>, abgerufen am 22.12.2024.
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