Menschen lassen die beyden Gegenstände in so manchen Hinsichten an der Größe, Farbe, Gestalt, Lage der Thei- le, Stellung, Mienen bis auf kleine Beschaffenheiten mit einander vergleichen. Da ist in den sinnlichen Vor- stellungen alles Bild und Zeichen. Wenn sich hingegen ein blinder Mathematiker die verschiedenen preismati- schen Farben nach ihrer Analogie mit den Tönen, unter Tönen vorstellet, so sind seine Vorstellungen des Gehörs nur Vorstellungen von den Farben in einer sehr einge- schränkten Hinsicht. Jene sind Gemählde auch in Hin- sicht des Kolorits; diese nur in Hinsicht der Zeichnung. Und dieß ist auch der Grund, warum man so leicht über die Gränze der Aehnlichkeit hinaus gehen, und falsche Anwendungen von analogischen Jdeen machen kann. Jener Blinde stellte sich das Licht wie den Zucker vor, der ihm einen angenehmen Geschmack gab. Jn so weit konnte der Geschmack eine Analogische Vorstellung von der Gesichtsempfindung des Lichts abgeben. Aber wenn er nun daraus gefolgert hätte, das Licht lasse sich durch die Nässe zerschmelzen, oder mit den Zähnen zermalmen, so würde dieß so ein Versehen gewesen seyn, als aus der Ueberschreitung der Analogie entspringen muß.
Die vornehmste Schwierigkeit bey unsern analogi- schen Kenntnissen bestehet gemeiniglich darinn, daß die Gründe aufgesucht und deutlich bestimmet werden, wor- auf die Analogie unsrer Jdeen mit ihrem Objekte beru- het. Diese Gründe der Analogie müssen zugleich auch ihre Ausdehnung und ihre Grenzen anweisen. Wie und auf welche Art wird es uns möglich, die Analogie unem- pfindbarer Gegenstände mit empfindbaren, oder mit den Vorstellungen dieser letztern zu erkennen, und durch wel- che Wirkungsart des Verstandes können wir darüber unterrichtet werden? Auf diese Frage antworte ich durch eine neue Frage: Wie ist es möglich, zu wissen, daß die äußern Gegenstände und ihre sinnlichen Bilder in uns
einander
der Vorſtellungen.
Menſchen laſſen die beyden Gegenſtaͤnde in ſo manchen Hinſichten an der Groͤße, Farbe, Geſtalt, Lage der Thei- le, Stellung, Mienen bis auf kleine Beſchaffenheiten mit einander vergleichen. Da iſt in den ſinnlichen Vor- ſtellungen alles Bild und Zeichen. Wenn ſich hingegen ein blinder Mathematiker die verſchiedenen preismati- ſchen Farben nach ihrer Analogie mit den Toͤnen, unter Toͤnen vorſtellet, ſo ſind ſeine Vorſtellungen des Gehoͤrs nur Vorſtellungen von den Farben in einer ſehr einge- ſchraͤnkten Hinſicht. Jene ſind Gemaͤhlde auch in Hin- ſicht des Kolorits; dieſe nur in Hinſicht der Zeichnung. Und dieß iſt auch der Grund, warum man ſo leicht uͤber die Graͤnze der Aehnlichkeit hinaus gehen, und falſche Anwendungen von analogiſchen Jdeen machen kann. Jener Blinde ſtellte ſich das Licht wie den Zucker vor, der ihm einen angenehmen Geſchmack gab. Jn ſo weit konnte der Geſchmack eine Analogiſche Vorſtellung von der Geſichtsempfindung des Lichts abgeben. Aber wenn er nun daraus gefolgert haͤtte, das Licht laſſe ſich durch die Naͤſſe zerſchmelzen, oder mit den Zaͤhnen zermalmen, ſo wuͤrde dieß ſo ein Verſehen geweſen ſeyn, als aus der Ueberſchreitung der Analogie entſpringen muß.
Die vornehmſte Schwierigkeit bey unſern analogi- ſchen Kenntniſſen beſtehet gemeiniglich darinn, daß die Gruͤnde aufgeſucht und deutlich beſtimmet werden, wor- auf die Analogie unſrer Jdeen mit ihrem Objekte beru- het. Dieſe Gruͤnde der Analogie muͤſſen zugleich auch ihre Ausdehnung und ihre Grenzen anweiſen. Wie und auf welche Art wird es uns moͤglich, die Analogie unem- pfindbarer Gegenſtaͤnde mit empfindbaren, oder mit den Vorſtellungen dieſer letztern zu erkennen, und durch wel- che Wirkungsart des Verſtandes koͤnnen wir daruͤber unterrichtet werden? Auf dieſe Frage antworte ich durch eine neue Frage: Wie iſt es moͤglich, zu wiſſen, daß die aͤußern Gegenſtaͤnde und ihre ſinnlichen Bilder in uns
einander
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der Vorſtellungen.
Menſchen laſſen die beyden Gegenſtaͤnde in ſo manchen
Hinſichten an der Groͤße, Farbe, Geſtalt, Lage der Thei-
le, Stellung, Mienen bis auf kleine Beſchaffenheiten
mit einander vergleichen. Da iſt in den ſinnlichen Vor-
ſtellungen alles Bild und Zeichen. Wenn ſich hingegen
ein blinder Mathematiker die verſchiedenen preismati-
ſchen Farben nach ihrer Analogie mit den Toͤnen, unter
Toͤnen vorſtellet, ſo ſind ſeine Vorſtellungen des Gehoͤrs
nur Vorſtellungen von den Farben in einer ſehr einge-
ſchraͤnkten Hinſicht. Jene ſind Gemaͤhlde auch in Hin-
ſicht des Kolorits; dieſe nur in Hinſicht der Zeichnung.
Und dieß iſt auch der Grund, warum man ſo leicht uͤber
die Graͤnze der Aehnlichkeit hinaus gehen, und falſche
Anwendungen von analogiſchen Jdeen machen kann.
Jener Blinde ſtellte ſich das Licht wie den Zucker vor,
der ihm einen angenehmen Geſchmack gab. Jn ſo weit
konnte der Geſchmack eine Analogiſche Vorſtellung von
der Geſichtsempfindung des Lichts abgeben. Aber wenn
er nun daraus gefolgert haͤtte, das Licht laſſe ſich durch
die Naͤſſe zerſchmelzen, oder mit den Zaͤhnen zermalmen,
ſo wuͤrde dieß ſo ein Verſehen geweſen ſeyn, als aus der
Ueberſchreitung der Analogie entſpringen muß.
Die vornehmſte Schwierigkeit bey unſern analogi-
ſchen Kenntniſſen beſtehet gemeiniglich darinn, daß die
Gruͤnde aufgeſucht und deutlich beſtimmet werden, wor-
auf die Analogie unſrer Jdeen mit ihrem Objekte beru-
het. Dieſe Gruͤnde der Analogie muͤſſen zugleich auch
ihre Ausdehnung und ihre Grenzen anweiſen. Wie und
auf welche Art wird es uns moͤglich, die Analogie unem-
pfindbarer Gegenſtaͤnde mit empfindbaren, oder mit den
Vorſtellungen dieſer letztern zu erkennen, und durch wel-
che Wirkungsart des Verſtandes koͤnnen wir daruͤber
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/153>, abgerufen am 22.12.2024.
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