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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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Vorrede.
neue Hypothese in Gang zu bringen, da wir ihrer
ohne dieß schon genug haben, ob ich gleich glaube,
daß man dieser letztern eben so viel Ansehen aus
der Analogie geben könne, als jeder andern. Jch
führe diese noch mögliche Erklärungsart nur an,
um zu zeigen, daß man noch jetzo alle Möglichkei-
ten, die hierbey Statt finden können, nicht durch-
gerathen habe. Jch wage es nicht, etwas zu be-
stimmen, so lange die innere Einrichtung des Ge-
hirns, die Natur seiner organischen Kräfte, und
deren Wirkungsarten und Gesetze in so dicker
Finsterniß gehüllet sind, als sie es zur Zeit noch
sind.

Jst diese Anmerkung gegründet, so läßt es
sich leicht übersehen, wohin man am Ende mit al-
len Bemühungen, den Mechanismus der Seelen-
veränderungen darzustellen, kommen werde. Kei-
nen Schritt weiter, als daß man etwan mehrere
Fakta aufsammlet, die das Daseyn gewisser blei-
bender Spuren in dem innern Seelenkörper be-
stätigen, deren Natur wir aber nicht erkennen.
Unsere Einsicht von der Beschaffenheit dieses Me-
chanismus ist durch die neuern Auslösungen um
nichts verbessert, und noch weniger gewinnt sie da-
durch, daß man die Ausdrücke ändert, und Fiber-
schwingungen nennet, was man sonsten Vorstel-
lungen oder Jdeen genennet hat.

Allein die zwote Folge, die ich aus dem Ge-
sagten hier vornehmlich ziehen will, ist auffallen-
der. Wenn auch diese metaphysischen Analysen
etwas reelleres lehrten, als sie wirklich nicht leh-
ren, so darf man doch die Untersuchung der Seele

mit

Vorrede.
neue Hypotheſe in Gang zu bringen, da wir ihrer
ohne dieß ſchon genug haben, ob ich gleich glaube,
daß man dieſer letztern eben ſo viel Anſehen aus
der Analogie geben koͤnne, als jeder andern. Jch
fuͤhre dieſe noch moͤgliche Erklaͤrungsart nur an,
um zu zeigen, daß man noch jetzo alle Moͤglichkei-
ten, die hierbey Statt finden koͤnnen, nicht durch-
gerathen habe. Jch wage es nicht, etwas zu be-
ſtimmen, ſo lange die innere Einrichtung des Ge-
hirns, die Natur ſeiner organiſchen Kraͤfte, und
deren Wirkungsarten und Geſetze in ſo dicker
Finſterniß gehuͤllet ſind, als ſie es zur Zeit noch
ſind.

Jſt dieſe Anmerkung gegruͤndet, ſo laͤßt es
ſich leicht uͤberſehen, wohin man am Ende mit al-
len Bemuͤhungen, den Mechanismus der Seelen-
veraͤnderungen darzuſtellen, kommen werde. Kei-
nen Schritt weiter, als daß man etwan mehrere
Fakta aufſammlet, die das Daſeyn gewiſſer blei-
bender Spuren in dem innern Seelenkoͤrper be-
ſtaͤtigen, deren Natur wir aber nicht erkennen.
Unſere Einſicht von der Beſchaffenheit dieſes Me-
chanismus iſt durch die neuern Auſloͤſungen um
nichts verbeſſert, und noch weniger gewinnt ſie da-
durch, daß man die Ausdruͤcke aͤndert, und Fiber-
ſchwingungen nennet, was man ſonſten Vorſtel-
lungen oder Jdeen genennet hat.

Allein die zwote Folge, die ich aus dem Ge-
ſagten hier vornehmlich ziehen will, iſt auffallen-
der. Wenn auch dieſe metaphyſiſchen Analyſen
etwas reelleres lehrten, als ſie wirklich nicht leh-
ren, ſo darf man doch die Unterſuchung der Seele

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[XIII/0017] Vorrede. neue Hypotheſe in Gang zu bringen, da wir ihrer ohne dieß ſchon genug haben, ob ich gleich glaube, daß man dieſer letztern eben ſo viel Anſehen aus der Analogie geben koͤnne, als jeder andern. Jch fuͤhre dieſe noch moͤgliche Erklaͤrungsart nur an, um zu zeigen, daß man noch jetzo alle Moͤglichkei- ten, die hierbey Statt finden koͤnnen, nicht durch- gerathen habe. Jch wage es nicht, etwas zu be- ſtimmen, ſo lange die innere Einrichtung des Ge- hirns, die Natur ſeiner organiſchen Kraͤfte, und deren Wirkungsarten und Geſetze in ſo dicker Finſterniß gehuͤllet ſind, als ſie es zur Zeit noch ſind. Jſt dieſe Anmerkung gegruͤndet, ſo laͤßt es ſich leicht uͤberſehen, wohin man am Ende mit al- len Bemuͤhungen, den Mechanismus der Seelen- veraͤnderungen darzuſtellen, kommen werde. Kei- nen Schritt weiter, als daß man etwan mehrere Fakta aufſammlet, die das Daſeyn gewiſſer blei- bender Spuren in dem innern Seelenkoͤrper be- ſtaͤtigen, deren Natur wir aber nicht erkennen. Unſere Einſicht von der Beſchaffenheit dieſes Me- chanismus iſt durch die neuern Auſloͤſungen um nichts verbeſſert, und noch weniger gewinnt ſie da- durch, daß man die Ausdruͤcke aͤndert, und Fiber- ſchwingungen nennet, was man ſonſten Vorſtel- lungen oder Jdeen genennet hat. Allein die zwote Folge, die ich aus dem Ge- ſagten hier vornehmlich ziehen will, iſt auffallen- der. Wenn auch dieſe metaphyſiſchen Analyſen etwas reelleres lehrten, als ſie wirklich nicht leh- ren, ſo darf man doch die Unterſuchung der Seele mit

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. XIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/17>, abgerufen am 02.05.2024.