mit ihnen nicht anfangen, sondern nur endigen. Die psychologische Auflösung muß vorhergehen. Jst diese einmal beschaffet, so ist die metaphysi- sche auf eine Auflösung einiger weniger Grund- vermögen und Wirkungsarten zurückgebracht, und ist alsdenn, wofern sie sonst nur auf zuverläs- sigen Gründen beruhet, in der Kürze so weit zu bringen, als sie überhaupt gebracht werden kann. Fehlet es aber noch an jener Erfahrungskenntniß von den Grundvermögen, so ist es vergeblich, diese aus einer uns so sehr verborgenen Organisation begreiflich machen zu wollen. Hiezu kömmt noch, daß, so weit man auch in der metaphysischen Psy- chologie fortgehet, die Richtigkeit ihrer Sätze im- merfort durch die Beobachtungskenntnisse geprüft werden müsse.
Jndessen ist es, so zu sagen, ein neuer Ge- sichtspunkt, wenn man die Seelenveränderungen sich von der Seite vorstellet, wo das Gehirn An- theil daran hat, und dieser kann eine Gelegenheit geben, sie besser und völliger zu sehen. Vielleicht wird die neuere Analysis auch der Erfahrungs- kenntniß endlich diesen Nutzen bringen; aber zur Zeit scheint es nicht, daß sie es gethan habe. Nicht einmal die Wirkungen des Verstandes und die Natur der Erkenntnisse sind besser und deutlicher von denen entwickelt, die nach des Herrn Bon- nets Beyspiel sie zergliedert haben, als von an- dern, sondern man möchte eher sagen, daß die neue Methode in dieser Hinsicht geschadet habe. Was fast jedesmal in den Wissenschaften ge- schieht, wenn Epoche gemacht wird, das ist auch
hier
Vorrede.
mit ihnen nicht anfangen, ſondern nur endigen. Die pſychologiſche Aufloͤſung muß vorhergehen. Jſt dieſe einmal beſchaffet, ſo iſt die metaphyſi- ſche auf eine Aufloͤſung einiger weniger Grund- vermoͤgen und Wirkungsarten zuruͤckgebracht, und iſt alsdenn, wofern ſie ſonſt nur auf zuverlaͤſ- ſigen Gruͤnden beruhet, in der Kuͤrze ſo weit zu bringen, als ſie uͤberhaupt gebracht werden kann. Fehlet es aber noch an jener Erfahrungskenntniß von den Grundvermoͤgen, ſo iſt es vergeblich, dieſe aus einer uns ſo ſehr verborgenen Organiſation begreiflich machen zu wollen. Hiezu koͤmmt noch, daß, ſo weit man auch in der metaphyſiſchen Pſy- chologie fortgehet, die Richtigkeit ihrer Saͤtze im- merfort durch die Beobachtungskenntniſſe gepruͤft werden muͤſſe.
Jndeſſen iſt es, ſo zu ſagen, ein neuer Ge- ſichtspunkt, wenn man die Seelenveraͤnderungen ſich von der Seite vorſtellet, wo das Gehirn An- theil daran hat, und dieſer kann eine Gelegenheit geben, ſie beſſer und voͤlliger zu ſehen. Vielleicht wird die neuere Analyſis auch der Erfahrungs- kenntniß endlich dieſen Nutzen bringen; aber zur Zeit ſcheint es nicht, daß ſie es gethan habe. Nicht einmal die Wirkungen des Verſtandes und die Natur der Erkenntniſſe ſind beſſer und deutlicher von denen entwickelt, die nach des Herrn Bon- nets Beyſpiel ſie zergliedert haben, als von an- dern, ſondern man moͤchte eher ſagen, daß die neue Methode in dieſer Hinſicht geſchadet habe. Was faſt jedesmal in den Wiſſenſchaften ge- ſchieht, wenn Epoche gemacht wird, das iſt auch
hier
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[XIV/0018]
Vorrede.
mit ihnen nicht anfangen, ſondern nur endigen.
Die pſychologiſche Aufloͤſung muß vorhergehen.
Jſt dieſe einmal beſchaffet, ſo iſt die metaphyſi-
ſche auf eine Aufloͤſung einiger weniger Grund-
vermoͤgen und Wirkungsarten zuruͤckgebracht,
und iſt alsdenn, wofern ſie ſonſt nur auf zuverlaͤſ-
ſigen Gruͤnden beruhet, in der Kuͤrze ſo weit zu
bringen, als ſie uͤberhaupt gebracht werden kann.
Fehlet es aber noch an jener Erfahrungskenntniß
von den Grundvermoͤgen, ſo iſt es vergeblich, dieſe
aus einer uns ſo ſehr verborgenen Organiſation
begreiflich machen zu wollen. Hiezu koͤmmt noch,
daß, ſo weit man auch in der metaphyſiſchen Pſy-
chologie fortgehet, die Richtigkeit ihrer Saͤtze im-
merfort durch die Beobachtungskenntniſſe gepruͤft
werden muͤſſe.
Jndeſſen iſt es, ſo zu ſagen, ein neuer Ge-
ſichtspunkt, wenn man die Seelenveraͤnderungen
ſich von der Seite vorſtellet, wo das Gehirn An-
theil daran hat, und dieſer kann eine Gelegenheit
geben, ſie beſſer und voͤlliger zu ſehen. Vielleicht
wird die neuere Analyſis auch der Erfahrungs-
kenntniß endlich dieſen Nutzen bringen; aber zur
Zeit ſcheint es nicht, daß ſie es gethan habe. Nicht
einmal die Wirkungen des Verſtandes und die
Natur der Erkenntniſſe ſind beſſer und deutlicher
von denen entwickelt, die nach des Herrn Bon-
nets Beyſpiel ſie zergliedert haben, als von an-
dern, ſondern man moͤchte eher ſagen, daß die
neue Methode in dieſer Hinſicht geſchadet habe.
Was faſt jedesmal in den Wiſſenſchaften ge-
ſchieht, wenn Epoche gemacht wird, das iſt auch
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/18>, abgerufen am 22.12.2024.
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