dern ihr ähnlichen verglichen, so führet sie sehr natürlich auf die Ursache, welche Hr. Scherffer*) davon ange- geben hat. Das anhaltende Anschauen der rothen Flä- che machet den Theil in dem Auge, auf den das Bild von ihr hinfiel, stumpf und unfähig, weiter solche Ein- drücke, als die rothen Stralen verursachen, anzunehmen, um sinnlich von ihnen beweget zu werden, die Nerven erschlaffen also in Hinsicht auf diese Eindrücke. Fällt nun auf dieselbige Stelle das weiße Licht von dem Grun- de hin, das aus den prismatischen Farbenstralen zu- sammengesetzt ist, so können die rothen Stralen, die in dem weißen Licht enthalten sind, keinen sinnlichen Ein- druck auf diese ermüdete Stelle hervorbringen. Was also da entstehen muß? nichts anders als ein Eindruck, der von dem weißen Licht gemacht werden kann, wenn die rothen Stralen davon abgesondert, und die übrigen in ihrer Vermischung zurückgeblieben sind. Also ein grün Bild von der viereckten Fläche auf der Stelle im Auge, wo kurz vorher das Bild von dem rothen Viereck gewesen war. Auf diese Weise kann ein Mensch zu der Empfindungsvorstellung von einer grünen Farbe gelan- gen, der niemals auf die gewöhnliche Art etwas grünes gesehen hat.
Hier ist nun zwar noch keine Wirkung der Phanta- sie und der Dichtkraft, und es folget also daraus noch nicht, daß die letztere eben solche neue Scheine von in- nen in uns bewirken könne; aber wenn man überleget, daß in den Reproduktionen dasselbige Gesetz statt findet, welches in dem angeführten Fall bey dem Empfinden die Ursache von dem neuen Schein ist, und daß ein zu lang und zu anhaltend fortgesetztes Phantasma eine Unfähig- keit verursachet, es ferner gegenwärtig zu erhalten, so sie- het man doch so viel, daß in den Einbildungen der zu-
sammen-
*) Jn der obgedachten diss. de color. accidentalibus.
H 5
der Vorſtellungen.
dern ihr aͤhnlichen verglichen, ſo fuͤhret ſie ſehr natuͤrlich auf die Urſache, welche Hr. Scherffer*) davon ange- geben hat. Das anhaltende Anſchauen der rothen Flaͤ- che machet den Theil in dem Auge, auf den das Bild von ihr hinfiel, ſtumpf und unfaͤhig, weiter ſolche Ein- druͤcke, als die rothen Stralen verurſachen, anzunehmen, um ſinnlich von ihnen beweget zu werden, die Nerven erſchlaffen alſo in Hinſicht auf dieſe Eindruͤcke. Faͤllt nun auf dieſelbige Stelle das weiße Licht von dem Grun- de hin, das aus den prismatiſchen Farbenſtralen zu- ſammengeſetzt iſt, ſo koͤnnen die rothen Stralen, die in dem weißen Licht enthalten ſind, keinen ſinnlichen Ein- druck auf dieſe ermuͤdete Stelle hervorbringen. Was alſo da entſtehen muß? nichts anders als ein Eindruck, der von dem weißen Licht gemacht werden kann, wenn die rothen Stralen davon abgeſondert, und die uͤbrigen in ihrer Vermiſchung zuruͤckgeblieben ſind. Alſo ein gruͤn Bild von der viereckten Flaͤche auf der Stelle im Auge, wo kurz vorher das Bild von dem rothen Viereck geweſen war. Auf dieſe Weiſe kann ein Menſch zu der Empfindungsvorſtellung von einer gruͤnen Farbe gelan- gen, der niemals auf die gewoͤhnliche Art etwas gruͤnes geſehen hat.
Hier iſt nun zwar noch keine Wirkung der Phanta- ſie und der Dichtkraft, und es folget alſo daraus noch nicht, daß die letztere eben ſolche neue Scheine von in- nen in uns bewirken koͤnne; aber wenn man uͤberleget, daß in den Reproduktionen daſſelbige Geſetz ſtatt findet, welches in dem angefuͤhrten Fall bey dem Empfinden die Urſache von dem neuen Schein iſt, und daß ein zu lang und zu anhaltend fortgeſetztes Phantasma eine Unfaͤhig- keit verurſachet, es ferner gegenwaͤrtig zu erhalten, ſo ſie- het man doch ſo viel, daß in den Einbildungen der zu-
ſammen-
*) Jn der obgedachten diſſ. de color. accidentalibus.
H 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0181"n="121"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der Vorſtellungen.</hi></fw><lb/>
dern ihr aͤhnlichen verglichen, ſo fuͤhret ſie ſehr natuͤrlich<lb/>
auf die Urſache, welche Hr. <hirendition="#fr">Scherffer</hi><noteplace="foot"n="*)">Jn der obgedachten <hirendition="#aq">diſſ. de color. accidentalibus.</hi></note> davon ange-<lb/>
geben hat. Das anhaltende Anſchauen der rothen Flaͤ-<lb/>
che machet den Theil in dem Auge, auf den das Bild<lb/>
von ihr hinfiel, ſtumpf und unfaͤhig, weiter ſolche Ein-<lb/>
druͤcke, als die rothen Stralen verurſachen, anzunehmen,<lb/>
um ſinnlich von ihnen beweget zu werden, die Nerven<lb/>
erſchlaffen alſo in Hinſicht auf dieſe Eindruͤcke. Faͤllt<lb/>
nun auf dieſelbige Stelle das weiße Licht von dem Grun-<lb/>
de hin, das aus den prismatiſchen Farbenſtralen zu-<lb/>ſammengeſetzt iſt, ſo koͤnnen die rothen Stralen, die in<lb/>
dem weißen Licht enthalten ſind, keinen ſinnlichen Ein-<lb/>
druck auf dieſe ermuͤdete Stelle hervorbringen. Was<lb/>
alſo da entſtehen muß? nichts anders als ein Eindruck,<lb/>
der von dem weißen Licht gemacht werden kann, wenn<lb/>
die rothen Stralen davon abgeſondert, und die uͤbrigen<lb/>
in ihrer Vermiſchung zuruͤckgeblieben ſind. Alſo ein<lb/>
gruͤn Bild von der viereckten Flaͤche auf der Stelle im<lb/>
Auge, wo kurz vorher das Bild von dem rothen Viereck<lb/>
geweſen war. Auf dieſe Weiſe kann ein Menſch zu der<lb/>
Empfindungsvorſtellung von einer gruͤnen Farbe gelan-<lb/>
gen, der niemals auf die gewoͤhnliche Art etwas gruͤnes<lb/>
geſehen hat.</p><lb/><p>Hier iſt nun zwar noch keine Wirkung der Phanta-<lb/>ſie und der Dichtkraft, und es folget alſo daraus noch<lb/>
nicht, daß die letztere eben ſolche neue Scheine von <hirendition="#fr">in-<lb/>
nen</hi> in uns bewirken koͤnne; aber wenn man uͤberleget,<lb/>
daß in den Reproduktionen daſſelbige Geſetz ſtatt findet,<lb/>
welches in dem angefuͤhrten Fall bey dem Empfinden die<lb/>
Urſache von dem neuen Schein iſt, und daß ein zu lang<lb/>
und zu anhaltend fortgeſetztes Phantasma eine Unfaͤhig-<lb/>
keit verurſachet, es ferner gegenwaͤrtig zu erhalten, ſo ſie-<lb/>
het man doch ſo viel, daß in den Einbildungen der zu-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">H 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſammen-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[121/0181]
der Vorſtellungen.
dern ihr aͤhnlichen verglichen, ſo fuͤhret ſie ſehr natuͤrlich
auf die Urſache, welche Hr. Scherffer *) davon ange-
geben hat. Das anhaltende Anſchauen der rothen Flaͤ-
che machet den Theil in dem Auge, auf den das Bild
von ihr hinfiel, ſtumpf und unfaͤhig, weiter ſolche Ein-
druͤcke, als die rothen Stralen verurſachen, anzunehmen,
um ſinnlich von ihnen beweget zu werden, die Nerven
erſchlaffen alſo in Hinſicht auf dieſe Eindruͤcke. Faͤllt
nun auf dieſelbige Stelle das weiße Licht von dem Grun-
de hin, das aus den prismatiſchen Farbenſtralen zu-
ſammengeſetzt iſt, ſo koͤnnen die rothen Stralen, die in
dem weißen Licht enthalten ſind, keinen ſinnlichen Ein-
druck auf dieſe ermuͤdete Stelle hervorbringen. Was
alſo da entſtehen muß? nichts anders als ein Eindruck,
der von dem weißen Licht gemacht werden kann, wenn
die rothen Stralen davon abgeſondert, und die uͤbrigen
in ihrer Vermiſchung zuruͤckgeblieben ſind. Alſo ein
gruͤn Bild von der viereckten Flaͤche auf der Stelle im
Auge, wo kurz vorher das Bild von dem rothen Viereck
geweſen war. Auf dieſe Weiſe kann ein Menſch zu der
Empfindungsvorſtellung von einer gruͤnen Farbe gelan-
gen, der niemals auf die gewoͤhnliche Art etwas gruͤnes
geſehen hat.
Hier iſt nun zwar noch keine Wirkung der Phanta-
ſie und der Dichtkraft, und es folget alſo daraus noch
nicht, daß die letztere eben ſolche neue Scheine von in-
nen in uns bewirken koͤnne; aber wenn man uͤberleget,
daß in den Reproduktionen daſſelbige Geſetz ſtatt findet,
welches in dem angefuͤhrten Fall bey dem Empfinden die
Urſache von dem neuen Schein iſt, und daß ein zu lang
und zu anhaltend fortgeſetztes Phantasma eine Unfaͤhig-
keit verurſachet, es ferner gegenwaͤrtig zu erhalten, ſo ſie-
het man doch ſo viel, daß in den Einbildungen der zu-
ſammen-
*) Jn der obgedachten diſſ. de color. accidentalibus.
H 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/181>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.