waren. Dadurch werden die Bilder dunkler, und die Phantasie, wenn sie solche wieder hervorziehet, sucht über das verwirrte Ganze ein Licht zu verbreiten, wodurch es in der Gestalt einer einfachen vorwirrten Empfin- dungsidee dargestellet wird. Hier ist nun zwar diese letztere Operation, nemlich das Ueberziehen der Vorstel- lungen, eine positive Thätigkeit; aber das erste nicht. Eben so verlieren auch mehrere sonst getrennte ganze Vorstellungen ihre Eigenheiten, und fallen alsdenn in Eine einzige zusammen, welches wiederum keine Wir- kung einer thätigen Kraft ist. Nichttrennen ist et- was anders als Verbinden, und Nichtunterschei- den etwas anders als Zusammendenken. Jenes ist Unthätigkeit und Schwäche; dieses ist Wirksamkeit und Stärke. Der Mangel am Licht in den Vorstellungen und die daraus entstehende Vermischungen sind kein Be- weis einer selbstthätigen reellen Kraft; aber wenn mehrere lebhafte Vorstellungen in eine Einzige vereinigt werden, so arbeitet eine starke Vorstellungskraft, die solche gegenwärtig erhalten, mehrere zugleich erhalten, und überdieß sie so fassen kann, daß sie in Ein Bild zu- sammengehen.
5.
Das Auflösungsvermögen der Dichtkraft, wo- mit sie verwirrte Empfindungsscheine auseinanderse- tzet, ist eben da begrenzet, wo es das Vermischungs- vermögen ist, und dieses letztere, wo jenes es ist. Die Kraft der Seele reichet nicht hin, die sinnliche Vorstel- lung von dem weißen Licht in die sinnlichen Vorstel- lungen von den prismatischen Farben zu zerlegen; und der einfache Schein von dem Grünen lässet sich in die einfachen Scheine von dem Gelben und von dem Blau- en in dem Kopf nicht auseinander setzen. Aber in eben diesen Fällen übersteigt es auch das Vermögen der See-
le,
der Vorſtellungen.
waren. Dadurch werden die Bilder dunkler, und die Phantaſie, wenn ſie ſolche wieder hervorziehet, ſucht uͤber das verwirrte Ganze ein Licht zu verbreiten, wodurch es in der Geſtalt einer einfachen vorwirrten Empfin- dungsidee dargeſtellet wird. Hier iſt nun zwar dieſe letztere Operation, nemlich das Ueberziehen der Vorſtel- lungen, eine poſitive Thaͤtigkeit; aber das erſte nicht. Eben ſo verlieren auch mehrere ſonſt getrennte ganze Vorſtellungen ihre Eigenheiten, und fallen alsdenn in Eine einzige zuſammen, welches wiederum keine Wir- kung einer thaͤtigen Kraft iſt. Nichttrennen iſt et- was anders als Verbinden, und Nichtunterſchei- den etwas anders als Zuſammendenken. Jenes iſt Unthaͤtigkeit und Schwaͤche; dieſes iſt Wirkſamkeit und Staͤrke. Der Mangel am Licht in den Vorſtellungen und die daraus entſtehende Vermiſchungen ſind kein Be- weis einer ſelbſtthaͤtigen reellen Kraft; aber wenn mehrere lebhafte Vorſtellungen in eine Einzige vereinigt werden, ſo arbeitet eine ſtarke Vorſtellungskraft, die ſolche gegenwaͤrtig erhalten, mehrere zugleich erhalten, und uͤberdieß ſie ſo faſſen kann, daß ſie in Ein Bild zu- ſammengehen.
5.
Das Aufloͤſungsvermoͤgen der Dichtkraft, wo- mit ſie verwirrte Empfindungsſcheine auseinanderſe- tzet, iſt eben da begrenzet, wo es das Vermiſchungs- vermoͤgen iſt, und dieſes letztere, wo jenes es iſt. Die Kraft der Seele reichet nicht hin, die ſinnliche Vorſtel- lung von dem weißen Licht in die ſinnlichen Vorſtel- lungen von den prismatiſchen Farben zu zerlegen; und der einfache Schein von dem Gruͤnen laͤſſet ſich in die einfachen Scheine von dem Gelben und von dem Blau- en in dem Kopf nicht auseinander ſetzen. Aber in eben dieſen Faͤllen uͤberſteigt es auch das Vermoͤgen der See-
le,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0187"n="127"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der Vorſtellungen.</hi></fw><lb/>
waren. Dadurch werden die Bilder dunkler, und die<lb/>
Phantaſie, wenn ſie ſolche wieder hervorziehet, ſucht<lb/>
uͤber das verwirrte Ganze ein Licht zu verbreiten, wodurch<lb/>
es in der Geſtalt einer einfachen vorwirrten Empfin-<lb/>
dungsidee dargeſtellet wird. Hier iſt nun zwar dieſe<lb/>
letztere Operation, nemlich das Ueberziehen der Vorſtel-<lb/>
lungen, eine poſitive Thaͤtigkeit; aber das erſte nicht.<lb/>
Eben ſo verlieren auch mehrere ſonſt getrennte ganze<lb/>
Vorſtellungen ihre Eigenheiten, und fallen alsdenn in<lb/>
Eine einzige zuſammen, welches wiederum keine Wir-<lb/>
kung einer thaͤtigen Kraft iſt. <hirendition="#fr">Nichttrennen</hi> iſt et-<lb/>
was anders als <hirendition="#fr">Verbinden,</hi> und <hirendition="#fr">Nichtunterſchei-<lb/>
den</hi> etwas anders als <hirendition="#fr">Zuſammendenken.</hi> Jenes iſt<lb/>
Unthaͤtigkeit und Schwaͤche; dieſes iſt Wirkſamkeit und<lb/>
Staͤrke. Der Mangel am Licht in den Vorſtellungen<lb/>
und die daraus entſtehende Vermiſchungen ſind kein Be-<lb/>
weis einer <hirendition="#fr">ſelbſtthaͤtigen</hi> reellen Kraft; aber wenn<lb/>
mehrere lebhafte Vorſtellungen in eine Einzige vereinigt<lb/>
werden, ſo arbeitet eine ſtarke Vorſtellungskraft, die<lb/>ſolche gegenwaͤrtig erhalten, mehrere zugleich erhalten,<lb/>
und uͤberdieß ſie ſo faſſen kann, daß ſie in Ein Bild zu-<lb/>ſammengehen.</p></div><lb/><divn="3"><head>5.</head><lb/><p>Das <hirendition="#fr">Aufloͤſungsvermoͤgen</hi> der Dichtkraft, wo-<lb/>
mit ſie verwirrte Empfindungsſcheine <hirendition="#fr">auseinanderſe-<lb/>
tzet,</hi> iſt eben da begrenzet, wo es das Vermiſchungs-<lb/>
vermoͤgen iſt, und dieſes letztere, wo jenes es iſt. Die<lb/>
Kraft der Seele reichet nicht hin, die ſinnliche Vorſtel-<lb/>
lung von dem <hirendition="#fr">weißen Licht</hi> in die ſinnlichen Vorſtel-<lb/>
lungen von den prismatiſchen Farben zu zerlegen; und<lb/>
der einfache Schein von dem Gruͤnen laͤſſet ſich in die<lb/>
einfachen Scheine von dem Gelben und von dem Blau-<lb/>
en in dem Kopf nicht auseinander ſetzen. Aber in eben<lb/>
dieſen Faͤllen uͤberſteigt es auch das Vermoͤgen der See-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">le,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[127/0187]
der Vorſtellungen.
waren. Dadurch werden die Bilder dunkler, und die
Phantaſie, wenn ſie ſolche wieder hervorziehet, ſucht
uͤber das verwirrte Ganze ein Licht zu verbreiten, wodurch
es in der Geſtalt einer einfachen vorwirrten Empfin-
dungsidee dargeſtellet wird. Hier iſt nun zwar dieſe
letztere Operation, nemlich das Ueberziehen der Vorſtel-
lungen, eine poſitive Thaͤtigkeit; aber das erſte nicht.
Eben ſo verlieren auch mehrere ſonſt getrennte ganze
Vorſtellungen ihre Eigenheiten, und fallen alsdenn in
Eine einzige zuſammen, welches wiederum keine Wir-
kung einer thaͤtigen Kraft iſt. Nichttrennen iſt et-
was anders als Verbinden, und Nichtunterſchei-
den etwas anders als Zuſammendenken. Jenes iſt
Unthaͤtigkeit und Schwaͤche; dieſes iſt Wirkſamkeit und
Staͤrke. Der Mangel am Licht in den Vorſtellungen
und die daraus entſtehende Vermiſchungen ſind kein Be-
weis einer ſelbſtthaͤtigen reellen Kraft; aber wenn
mehrere lebhafte Vorſtellungen in eine Einzige vereinigt
werden, ſo arbeitet eine ſtarke Vorſtellungskraft, die
ſolche gegenwaͤrtig erhalten, mehrere zugleich erhalten,
und uͤberdieß ſie ſo faſſen kann, daß ſie in Ein Bild zu-
ſammengehen.
5.
Das Aufloͤſungsvermoͤgen der Dichtkraft, wo-
mit ſie verwirrte Empfindungsſcheine auseinanderſe-
tzet, iſt eben da begrenzet, wo es das Vermiſchungs-
vermoͤgen iſt, und dieſes letztere, wo jenes es iſt. Die
Kraft der Seele reichet nicht hin, die ſinnliche Vorſtel-
lung von dem weißen Licht in die ſinnlichen Vorſtel-
lungen von den prismatiſchen Farben zu zerlegen; und
der einfache Schein von dem Gruͤnen laͤſſet ſich in die
einfachen Scheine von dem Gelben und von dem Blau-
en in dem Kopf nicht auseinander ſetzen. Aber in eben
dieſen Faͤllen uͤberſteigt es auch das Vermoͤgen der See-
le,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/187>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.