verschieden sind, wovon es zur Thätigkeit gereizet wird. Es sind also einartige Arbeiten und einartige Fähig- keiten.
Wenn die Selbstthätigkeit des percipirenden Ver- mögens, der Antheil, den die innere Eigenmacht der Seele an den Wirkungen hat, und ihre innere Zureichlich- keit zu diesen nicht vergrößert und erhöhet würde, so möchte sich das Vermögen, etwas anzunehmen, und sich modi- ficiren zu lassen, als bloße Receptivität, nach allen Rich- tungen hin ausdehnen, und es würde doch das Verhält- niß zwischen dem Beytrag des innern Princips und der äußern Ursache immer dasselbige bleiben. Alsdann könnte das Perceptionsvermögen von dieser Seite be- trachtet, als bloße Modificabilität, extensive und intensi- ve zunehmen, ohne jemals sich zur Phantasie zu entwi- ckeln. Fehlet es irgend einem percipirenden Vermögen an der Perfektibilität in der innern Selbstthätigkeit, und fehlet ihm solche von Natur; so ist das keine Kraft, die mit der menschlichen Perceptionskraft für gleichartig an- gesehen werden kann; keine Kraft, die jemals Einbil- dungs- oder Wiedervorstellungskraft werden kann.
Es ist hieraus zugleich begreiflich, daß die Phan- tasie in dem Menschen sich in einem ungleichen Verhält- niß mit dem Vermögen der Perception entwickeln könne. Je mehr unsre Seele Vorstellungen empfindet und Vorstellungen aufsammlet, desto mehr übet sie zwar ein Vermögen von einer perfektiblen Selbstthätigkeit, und es kann nicht fehlen, daß solches nicht auch zugleich an seiner selbstthätigen Seite erhöhet werde; aber doch fol- get daraus nicht, daß es von dieser letzten Seite, als Einbildungskraft in eben dem gleichen Grade zunehme, wie die Aufhäufung der Vorstellungen vergrößert, und die Receptivität, die Empfindlichkeit, Beugsamkeit, oder Empfänglichkeit gegen neue Eindrücke vergrößert wird. Die bekannte Uebung zur Stärkung der Einbil-
dungs-
I. Verſuch. Ueber die Natur
verſchieden ſind, wovon es zur Thaͤtigkeit gereizet wird. Es ſind alſo einartige Arbeiten und einartige Faͤhig- keiten.
Wenn die Selbſtthaͤtigkeit des percipirenden Ver- moͤgens, der Antheil, den die innere Eigenmacht der Seele an den Wirkungen hat, und ihre innere Zureichlich- keit zu dieſen nicht vergroͤßert und erhoͤhet wuͤrde, ſo moͤchte ſich das Vermoͤgen, etwas anzunehmen, und ſich modi- ficiren zu laſſen, als bloße Receptivitaͤt, nach allen Rich- tungen hin ausdehnen, und es wuͤrde doch das Verhaͤlt- niß zwiſchen dem Beytrag des innern Princips und der aͤußern Urſache immer daſſelbige bleiben. Alsdann koͤnnte das Perceptionsvermoͤgen von dieſer Seite be- trachtet, als bloße Modificabilitaͤt, extenſive und intenſi- ve zunehmen, ohne jemals ſich zur Phantaſie zu entwi- ckeln. Fehlet es irgend einem percipirenden Vermoͤgen an der Perfektibilitaͤt in der innern Selbſtthaͤtigkeit, und fehlet ihm ſolche von Natur; ſo iſt das keine Kraft, die mit der menſchlichen Perceptionskraft fuͤr gleichartig an- geſehen werden kann; keine Kraft, die jemals Einbil- dungs- oder Wiedervorſtellungskraft werden kann.
Es iſt hieraus zugleich begreiflich, daß die Phan- taſie in dem Menſchen ſich in einem ungleichen Verhaͤlt- niß mit dem Vermoͤgen der Perception entwickeln koͤnne. Je mehr unſre Seele Vorſtellungen empfindet und Vorſtellungen aufſammlet, deſto mehr uͤbet ſie zwar ein Vermoͤgen von einer perfektiblen Selbſtthaͤtigkeit, und es kann nicht fehlen, daß ſolches nicht auch zugleich an ſeiner ſelbſtthaͤtigen Seite erhoͤhet werde; aber doch fol- get daraus nicht, daß es von dieſer letzten Seite, als Einbildungskraft in eben dem gleichen Grade zunehme, wie die Aufhaͤufung der Vorſtellungen vergroͤßert, und die Receptivitaͤt, die Empfindlichkeit, Beugſamkeit, oder Empfaͤnglichkeit gegen neue Eindruͤcke vergroͤßert wird. Die bekannte Uebung zur Staͤrkung der Einbil-
dungs-
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I. Verſuch. Ueber die Natur
verſchieden ſind, wovon es zur Thaͤtigkeit gereizet wird.
Es ſind alſo einartige Arbeiten und einartige Faͤhig-
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Wenn die Selbſtthaͤtigkeit des percipirenden Ver-
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Seele an den Wirkungen hat, und ihre innere Zureichlich-
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ſich das Vermoͤgen, etwas anzunehmen, und ſich modi-
ficiren zu laſſen, als bloße Receptivitaͤt, nach allen Rich-
tungen hin ausdehnen, und es wuͤrde doch das Verhaͤlt-
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aͤußern Urſache immer daſſelbige bleiben. Alsdann
koͤnnte das Perceptionsvermoͤgen von dieſer Seite be-
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ve zunehmen, ohne jemals ſich zur Phantaſie zu entwi-
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dungs- oder Wiedervorſtellungskraft werden kann.
Es iſt hieraus zugleich begreiflich, daß die Phan-
taſie in dem Menſchen ſich in einem ungleichen Verhaͤlt-
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koͤnne. Je mehr unſre Seele Vorſtellungen empfindet
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es kann nicht fehlen, daß ſolches nicht auch zugleich an
ſeiner ſelbſtthaͤtigen Seite erhoͤhet werde; aber doch fol-
get daraus nicht, daß es von dieſer letzten Seite, als
Einbildungskraft in eben dem gleichen Grade zunehme,
wie die Aufhaͤufung der Vorſtellungen vergroͤßert, und
die Receptivitaͤt, die Empfindlichkeit, Beugſamkeit,
oder Empfaͤnglichkeit gegen neue Eindruͤcke vergroͤßert
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/218>, abgerufen am 22.12.2024.
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