im Kopf gedacht oder auf dem Papier hingeschrieben ist, zurücksehen, wenn ich sie beobachten will.
Bey dem Gefühl von unsern Vorstellungen finden wir dasselbige. Die Vorstellungen von abwesenden Dingen werden durch die Thätigkeit der Phantasie in uns gegenwärtig erhalten. Will man sie als gegenwär- tige Modifikationes fühlen und empfinden, so entweichen sie in dem Augenblick, da man sich nach ihnen umsiehet. Man wird sie, so zu sagen, nur von hinten gewahr im Weggehen; und was man fühlet, das sind Eindrücke, die sie in der Seele, oder in den Organen, oder wo son- sten hinterlassen haben, und die jetzo noch einen Augen- blick als passive Veränderungen zurückbleiben, und dann zwischendurch von unserm selbstthätigen Bestreben wie- derum erneuret werden. So verhält es sich durchgehends mit dem Gefühl unserer Vorstellungen und Gedanken. Je mehr diese ein selbstthätiges Wirken erfodern, desto leichter vergessen wir uns selbst bey ihnen. So oft wir solche als unsere eigene Veränderungen fühlen und em- pfinden wollen, so müssen die Aktus der Vorstellungs- kraft und der Reflexion nachlassen, und dann ist es eine in uns zurückgebliebene Folge von ihnen, die ohne weiteres Beywirken der Seele in dem Augenblick, wenn man empfindet, dem Gefühl vorlieget.
Es gibt Vorstellungen genug, die sich uns wider un- sern Willen aufdrängen, traurige und hypochondrische sowohl als freudige Phantasien. Wer es gewohnt ist, sich selbst zu beobachten, wird es bald sehen, daß es ei- nen großen Unterschied gebe zwischen Wallungen in der Phantasie, die ohne ein willkührliches Zuthun der Seele da sind, und zwischen Bildern, zu deren Wiedererwe- ckung und Erhaltung wir uns selbstthätig bestimmen, und bestimmen müssen. Es ist ein anders, wenn ich mich auf eine Sache oder auf einen Namen mit Fleiß besinnen will; ein anders, wenn mir so etwas von ohn-
gefähr
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
im Kopf gedacht oder auf dem Papier hingeſchrieben iſt, zuruͤckſehen, wenn ich ſie beobachten will.
Bey dem Gefuͤhl von unſern Vorſtellungen finden wir daſſelbige. Die Vorſtellungen von abweſenden Dingen werden durch die Thaͤtigkeit der Phantaſie in uns gegenwaͤrtig erhalten. Will man ſie als gegenwaͤr- tige Modifikationes fuͤhlen und empfinden, ſo entweichen ſie in dem Augenblick, da man ſich nach ihnen umſiehet. Man wird ſie, ſo zu ſagen, nur von hinten gewahr im Weggehen; und was man fuͤhlet, das ſind Eindruͤcke, die ſie in der Seele, oder in den Organen, oder wo ſon- ſten hinterlaſſen haben, und die jetzo noch einen Augen- blick als paſſive Veraͤnderungen zuruͤckbleiben, und dann zwiſchendurch von unſerm ſelbſtthaͤtigen Beſtreben wie- derum erneuret werden. So verhaͤlt es ſich durchgehends mit dem Gefuͤhl unſerer Vorſtellungen und Gedanken. Je mehr dieſe ein ſelbſtthaͤtiges Wirken erfodern, deſto leichter vergeſſen wir uns ſelbſt bey ihnen. So oft wir ſolche als unſere eigene Veraͤnderungen fuͤhlen und em- pfinden wollen, ſo muͤſſen die Aktus der Vorſtellungs- kraft und der Reflexion nachlaſſen, und dann iſt es eine in uns zuruͤckgebliebene Folge von ihnen, die ohne weiteres Beywirken der Seele in dem Augenblick, wenn man empfindet, dem Gefuͤhl vorlieget.
Es gibt Vorſtellungen genug, die ſich uns wider un- ſern Willen aufdraͤngen, traurige und hypochondriſche ſowohl als freudige Phantaſien. Wer es gewohnt iſt, ſich ſelbſt zu beobachten, wird es bald ſehen, daß es ei- nen großen Unterſchied gebe zwiſchen Wallungen in der Phantaſie, die ohne ein willkuͤhrliches Zuthun der Seele da ſind, und zwiſchen Bildern, zu deren Wiedererwe- ckung und Erhaltung wir uns ſelbſtthaͤtig beſtimmen, und beſtimmen muͤſſen. Es iſt ein anders, wenn ich mich auf eine Sache oder auf einen Namen mit Fleiß beſinnen will; ein anders, wenn mir ſo etwas von ohn-
gefaͤhr
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
im Kopf gedacht oder auf dem Papier hingeſchrieben iſt,
zuruͤckſehen, wenn ich ſie beobachten will.
Bey dem Gefuͤhl von unſern Vorſtellungen finden
wir daſſelbige. Die Vorſtellungen von abweſenden
Dingen werden durch die Thaͤtigkeit der Phantaſie in
uns gegenwaͤrtig erhalten. Will man ſie als gegenwaͤr-
tige Modifikationes fuͤhlen und empfinden, ſo entweichen
ſie in dem Augenblick, da man ſich nach ihnen umſiehet.
Man wird ſie, ſo zu ſagen, nur von hinten gewahr im
Weggehen; und was man fuͤhlet, das ſind Eindruͤcke,
die ſie in der Seele, oder in den Organen, oder wo ſon-
ſten hinterlaſſen haben, und die jetzo noch einen Augen-
blick als paſſive Veraͤnderungen zuruͤckbleiben, und dann
zwiſchendurch von unſerm ſelbſtthaͤtigen Beſtreben wie-
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mit dem Gefuͤhl unſerer Vorſtellungen und Gedanken.
Je mehr dieſe ein ſelbſtthaͤtiges Wirken erfodern, deſto
leichter vergeſſen wir uns ſelbſt bey ihnen. So oft wir
ſolche als unſere eigene Veraͤnderungen fuͤhlen und em-
pfinden wollen, ſo muͤſſen die Aktus der Vorſtellungs-
kraft und der Reflexion nachlaſſen, und dann iſt es eine in
uns zuruͤckgebliebene Folge von ihnen, die ohne weiteres
Beywirken der Seele in dem Augenblick, wenn man
empfindet, dem Gefuͤhl vorlieget.
Es gibt Vorſtellungen genug, die ſich uns wider un-
ſern Willen aufdraͤngen, traurige und hypochondriſche
ſowohl als freudige Phantaſien. Wer es gewohnt iſt,
ſich ſelbſt zu beobachten, wird es bald ſehen, daß es ei-
nen großen Unterſchied gebe zwiſchen Wallungen in der
Phantaſie, die ohne ein willkuͤhrliches Zuthun der Seele
da ſind, und zwiſchen Bildern, zu deren Wiedererwe-
ckung und Erhaltung wir uns ſelbſtthaͤtig beſtimmen,
und beſtimmen muͤſſen. Es iſt ein anders, wenn ich
mich auf eine Sache oder auf einen Namen mit Fleiß
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/239>, abgerufen am 22.12.2024.
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