Gegenständen, in so ferne sie blos Empfindnisse sind, nicht zukommt. Die Seele wird erreget, gereizet, ge- trieben zu neuen Thätigkeiten.
Dieß letztere ist eine besondere Wirkung, eine Rei- zung des Begehrungs- oder Verabscheuungsvermögen, die von dem Gefühl der Lust oder Unlust unterschieden ist. Sie hat in dem Angenehmen und Unangenehmen ihre Ursache; doch nicht allein. Sie erfodert noch mehrere hinzukommende Umstände. Eine Empfindung kann in einem hohen Grade angenehm seyn, ohne Begierden zu andern Dingen zu erregen. Das vollkommenste Gefal- len schließet so gar die neuen Begierden aus. So lange dieß ohne Abnahme und ohne Gefühl von Mangel und Bedürfniß dauren kann, sättiget es die Seele, und hält die Bestrebungen, sich zu verändern, vielmehr zu- rück. Da ist nur eine Tendenz, sich in einem solchen Zu- stand zu erhalten. Es entstehen dadurch keine neue Angelegenheiten.
Wo nun dagegen solche neue Bestrebungen erreget werden, da zeiget sichs, daß die gegenwärtige Empfin- dung einen Einfluß auf unsere thätige Kraft habe, und auch diese modificire. Diesen Einfluß auf unsere Kräfte zu neuen Bestrebungen fühlen wir, wie jede andere Modi- fikation, und in so ferne haben diese Gefühle etwas inter- essantes an sich, das von dem Gefallenden überhaupt noch unterschieden ist. Sie machen uns neue Angele- genheiten, reizen die Thätigkeitskräfte, und setzen uns in neue Bewegungen, deßwegen ihnen auch eine das Herz bewegende Kraft zugeschrieben wird. Die Empfind- lichkeit ist, wenn das Wort in seinem gewöhnlichen Sinn genommen wird, eine Disposition unserer Thätigkeits- kraft, sich leicht und auch durch schwächere Empfindnisse zu einer wirklichen Thätigkeit, insbesondre aber zum Un- willen und Zorn, bewegen zu lassen.
Jch
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Gegenſtaͤnden, in ſo ferne ſie blos Empfindniſſe ſind, nicht zukommt. Die Seele wird erreget, gereizet, ge- trieben zu neuen Thaͤtigkeiten.
Dieß letztere iſt eine beſondere Wirkung, eine Rei- zung des Begehrungs- oder Verabſcheuungsvermoͤgen, die von dem Gefuͤhl der Luſt oder Unluſt unterſchieden iſt. Sie hat in dem Angenehmen und Unangenehmen ihre Urſache; doch nicht allein. Sie erfodert noch mehrere hinzukommende Umſtaͤnde. Eine Empfindung kann in einem hohen Grade angenehm ſeyn, ohne Begierden zu andern Dingen zu erregen. Das vollkommenſte Gefal- len ſchließet ſo gar die neuen Begierden aus. So lange dieß ohne Abnahme und ohne Gefuͤhl von Mangel und Beduͤrfniß dauren kann, ſaͤttiget es die Seele, und haͤlt die Beſtrebungen, ſich zu veraͤndern, vielmehr zu- ruͤck. Da iſt nur eine Tendenz, ſich in einem ſolchen Zu- ſtand zu erhalten. Es entſtehen dadurch keine neue Angelegenheiten.
Wo nun dagegen ſolche neue Beſtrebungen erreget werden, da zeiget ſichs, daß die gegenwaͤrtige Empfin- dung einen Einfluß auf unſere thaͤtige Kraft habe, und auch dieſe modificire. Dieſen Einfluß auf unſere Kraͤfte zu neuen Beſtrebungen fuͤhlen wir, wie jede andere Modi- fikation, und in ſo ferne haben dieſe Gefuͤhle etwas inter- eſſantes an ſich, das von dem Gefallenden uͤberhaupt noch unterſchieden iſt. Sie machen uns neue Angele- genheiten, reizen die Thaͤtigkeitskraͤfte, und ſetzen uns in neue Bewegungen, deßwegen ihnen auch eine das Herz bewegende Kraft zugeſchrieben wird. Die Empfind- lichkeit iſt, wenn das Wort in ſeinem gewoͤhnlichen Sinn genommen wird, eine Dispoſition unſerer Thaͤtigkeits- kraft, ſich leicht und auch durch ſchwaͤchere Empfindniſſe zu einer wirklichen Thaͤtigkeit, insbeſondre aber zum Un- willen und Zorn, bewegen zu laſſen.
Jch
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Gegenſtaͤnden, in ſo ferne ſie blos Empfindniſſe ſind,
nicht zukommt. Die Seele wird erreget, gereizet, ge-
trieben zu neuen Thaͤtigkeiten.
Dieß letztere iſt eine beſondere Wirkung, eine Rei-
zung des Begehrungs- oder Verabſcheuungsvermoͤgen,
die von dem Gefuͤhl der Luſt oder Unluſt unterſchieden iſt.
Sie hat in dem Angenehmen und Unangenehmen ihre
Urſache; doch nicht allein. Sie erfodert noch mehrere
hinzukommende Umſtaͤnde. Eine Empfindung kann in
einem hohen Grade angenehm ſeyn, ohne Begierden zu
andern Dingen zu erregen. Das vollkommenſte Gefal-
len ſchließet ſo gar die neuen Begierden aus. So lange
dieß ohne Abnahme und ohne Gefuͤhl von Mangel und
Beduͤrfniß dauren kann, ſaͤttiget es die Seele, und
haͤlt die Beſtrebungen, ſich zu veraͤndern, vielmehr zu-
ruͤck. Da iſt nur eine Tendenz, ſich in einem ſolchen Zu-
ſtand zu erhalten. Es entſtehen dadurch keine neue
Angelegenheiten.
Wo nun dagegen ſolche neue Beſtrebungen erreget
werden, da zeiget ſichs, daß die gegenwaͤrtige Empfin-
dung einen Einfluß auf unſere thaͤtige Kraft habe, und
auch dieſe modificire. Dieſen Einfluß auf unſere Kraͤfte zu
neuen Beſtrebungen fuͤhlen wir, wie jede andere Modi-
fikation, und in ſo ferne haben dieſe Gefuͤhle etwas inter-
eſſantes an ſich, das von dem Gefallenden uͤberhaupt
noch unterſchieden iſt. Sie machen uns neue Angele-
genheiten, reizen die Thaͤtigkeitskraͤfte, und ſetzen uns
in neue Bewegungen, deßwegen ihnen auch eine das Herz
bewegende Kraft zugeſchrieben wird. Die Empfind-
lichkeit iſt, wenn das Wort in ſeinem gewoͤhnlichen Sinn
genommen wird, eine Dispoſition unſerer Thaͤtigkeits-
kraft, ſich leicht und auch durch ſchwaͤchere Empfindniſſe
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/249>, abgerufen am 22.12.2024.
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