pfindung davon ist das Gefühl der Wahrheit, und der Falschheit.
Diese erwähnten Eigenschaften der afficirenden Em- pfindungen; das Angenehme, das Gute, das Wah- re kommen ihnen zu, in so ferne die Seele mit ihnen oder ihren Eindrücken und Vorstellungen dermalen sich beschäftiget, in so ferne ihre Vermögen bey ihnen zur Anwendung gebracht werden, und die regen Triebe und Thätigkeiten eine Nahrung erhalten, die ihrer Natur ge- mäß ist, und sie befriediget. Aber es ist außerdieß noch eine andere Wirkung vorhanden, die in Betracht zu zie- hen ist.
Einige Gefühle füllen zwar das Herz, sie unterhal- ten und befriedigen es für die Gegenwart; sie reizen die Kräfte, setzen sie in Thätigkeit, aber nur auf sich selbst, und bieten sich zugleich als Gegenstände dar, an welche diese erregte Wirksamkeiten sich auslassen können.
Andere dagegen spannen die Seele noch mehr, und erregen Bestrebungen und Triebe zu Handlungen, die weiter fort auf noch andere Objekte als auf jene unmit- telbare Gegenstände des Gefühls hingerichtet sind. Wer sich an den Farben der Tulpe belustiget, suchet nichts mehr als diese Empfindung ohne ein weiteres Jnteresse. Er befindet sich in einem Zustande, der zwar der Na- tur der Seele gemäß ein fortfließender Zustand ist, aber doch ist die Kraft hier auf nichts weiter gerichtet, als auf den Genuß, auf nichts weiter, als auf das, was sie fühlet. Aber sobald der Trieb aufsteiget, die Blume, die Ursache ihrer jetzigen Lust, zu besitzen, um das Ver- gnügen aus ihrem Anschauen nach Willkühr öfters und länger genießen zu können, so fühlen wir rege Bestre- bungen, die auf andere Handlungen und Anwendungen unserer Vermögen hinausgehen, als die sind, die in je- nem Anschauen beschäftiget waren. Es entstehet ein neues Jnteresse, welches den schönen und angenehmen
Gegen-
II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
pfindung davon iſt das Gefuͤhl der Wahrheit, und der Falſchheit.
Dieſe erwaͤhnten Eigenſchaften der afficirenden Em- pfindungen; das Angenehme, das Gute, das Wah- re kommen ihnen zu, in ſo ferne die Seele mit ihnen oder ihren Eindruͤcken und Vorſtellungen dermalen ſich beſchaͤftiget, in ſo ferne ihre Vermoͤgen bey ihnen zur Anwendung gebracht werden, und die regen Triebe und Thaͤtigkeiten eine Nahrung erhalten, die ihrer Natur ge- maͤß iſt, und ſie befriediget. Aber es iſt außerdieß noch eine andere Wirkung vorhanden, die in Betracht zu zie- hen iſt.
Einige Gefuͤhle fuͤllen zwar das Herz, ſie unterhal- ten und befriedigen es fuͤr die Gegenwart; ſie reizen die Kraͤfte, ſetzen ſie in Thaͤtigkeit, aber nur auf ſich ſelbſt, und bieten ſich zugleich als Gegenſtaͤnde dar, an welche dieſe erregte Wirkſamkeiten ſich auslaſſen koͤnnen.
Andere dagegen ſpannen die Seele noch mehr, und erregen Beſtrebungen und Triebe zu Handlungen, die weiter fort auf noch andere Objekte als auf jene unmit- telbare Gegenſtaͤnde des Gefuͤhls hingerichtet ſind. Wer ſich an den Farben der Tulpe beluſtiget, ſuchet nichts mehr als dieſe Empfindung ohne ein weiteres Jntereſſe. Er befindet ſich in einem Zuſtande, der zwar der Na- tur der Seele gemaͤß ein fortfließender Zuſtand iſt, aber doch iſt die Kraft hier auf nichts weiter gerichtet, als auf den Genuß, auf nichts weiter, als auf das, was ſie fuͤhlet. Aber ſobald der Trieb aufſteiget, die Blume, die Urſache ihrer jetzigen Luſt, zu beſitzen, um das Ver- gnuͤgen aus ihrem Anſchauen nach Willkuͤhr oͤfters und laͤnger genießen zu koͤnnen, ſo fuͤhlen wir rege Beſtre- bungen, die auf andere Handlungen und Anwendungen unſerer Vermoͤgen hinausgehen, als die ſind, die in je- nem Anſchauen beſchaͤftiget waren. Es entſtehet ein neues Jntereſſe, welches den ſchoͤnen und angenehmen
Gegen-
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II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
pfindung davon iſt das Gefuͤhl der Wahrheit, und
der Falſchheit.
Dieſe erwaͤhnten Eigenſchaften der afficirenden Em-
pfindungen; das Angenehme, das Gute, das Wah-
re kommen ihnen zu, in ſo ferne die Seele mit ihnen
oder ihren Eindruͤcken und Vorſtellungen dermalen ſich
beſchaͤftiget, in ſo ferne ihre Vermoͤgen bey ihnen zur
Anwendung gebracht werden, und die regen Triebe und
Thaͤtigkeiten eine Nahrung erhalten, die ihrer Natur ge-
maͤß iſt, und ſie befriediget. Aber es iſt außerdieß noch
eine andere Wirkung vorhanden, die in Betracht zu zie-
hen iſt.
Einige Gefuͤhle fuͤllen zwar das Herz, ſie unterhal-
ten und befriedigen es fuͤr die Gegenwart; ſie reizen die
Kraͤfte, ſetzen ſie in Thaͤtigkeit, aber nur auf ſich ſelbſt,
und bieten ſich zugleich als Gegenſtaͤnde dar, an welche
dieſe erregte Wirkſamkeiten ſich auslaſſen koͤnnen.
Andere dagegen ſpannen die Seele noch mehr, und
erregen Beſtrebungen und Triebe zu Handlungen, die
weiter fort auf noch andere Objekte als auf jene unmit-
telbare Gegenſtaͤnde des Gefuͤhls hingerichtet ſind. Wer
ſich an den Farben der Tulpe beluſtiget, ſuchet nichts
mehr als dieſe Empfindung ohne ein weiteres Jntereſſe.
Er befindet ſich in einem Zuſtande, der zwar der Na-
tur der Seele gemaͤß ein fortfließender Zuſtand iſt, aber
doch iſt die Kraft hier auf nichts weiter gerichtet, als
auf den Genuß, auf nichts weiter, als auf das, was ſie
fuͤhlet. Aber ſobald der Trieb aufſteiget, die Blume,
die Urſache ihrer jetzigen Luſt, zu beſitzen, um das Ver-
gnuͤgen aus ihrem Anſchauen nach Willkuͤhr oͤfters und
laͤnger genießen zu koͤnnen, ſo fuͤhlen wir rege Beſtre-
bungen, die auf andere Handlungen und Anwendungen
unſerer Vermoͤgen hinausgehen, als die ſind, die in je-
nem Anſchauen beſchaͤftiget waren. Es entſtehet ein
neues Jntereſſe, welches den ſchoͤnen und angenehmen
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/248>, abgerufen am 22.12.2024.
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