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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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über Empfindungen u. Empfindnisse.
sie oder eigentlich ihre Eindrücke in uns, oder die Vor-
stellungen von ihnen Beziehungen auf die jetzige Seelen-
beschaffenheit haben, und den Vermögen und Kräften,
die sich mit ihnen beschäftigen, gemäß oder nicht gemäß
sind.

Wir fühlen, daß eine Sache gut ist. Dieß ist et-
was anders, als wenn wir fühlen, daß sie angenehm
sey. Einen Gegenstand als gut oder als böse zu em-
pfinden, ist so viel, als fühlen und empfinden, daß er
eine Ursache von einer Vollkommenheit oder von so et-
was sey, das uns Vergnügen oder Verdruß machet. Ei-
ne Modifikation der Seele kann ihre Kraft stärken, ih-
ren innern Realitäten einen Zuwachs geben, sie erhöhen
und vervollkommern. Solch eine Wirkung, solch ein
Zusatz kann empfunden werden, und wenn er empfun-
den wird, so ist das Gefühl desselben ein Gefühl des
Guten.

Das Gefühl der Wahrheit findet nur bey den
Vorstellungen und Gedanken statt. Jede gegenwärti-
ge Vorstellung und jeder Gedanke hat eine gewisse Be-
ziehung auf unsere übrige Gedanken und Vorstellungen,
auf unser gesamtes vorhandenes Gedankensystem, und
auf die dadurch modificirte Vorstellungskraft und Denk-
kraft. Die eine Vorstellung vereiniget sich leichter mit
den übrigen, die schon vorhanden sind; eine andere da-
gegen ist unvereinbar mit ihnen, und widerstehet der
Vereinigung, wenn die Kraft ein Bestreben äußert, sie
zu befassen. Daher entstehet denn in dem einen Fall
Zustimmung des Verstandes, in dem andern Fall Zu-
rückhaltung und Abstimmung. Es gehet also eine ge-
wisse Veränderung in der Erkenntnißkraft vor, die in
der Beziehung der Jdeen auf den gegenwärtigen Zu-
stand des Verstandes und seiner dermaligen Vorstellun-
gen und Jdeen ihren Grund hat. Die innerliche Em-

pfindung

uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
ſie oder eigentlich ihre Eindruͤcke in uns, oder die Vor-
ſtellungen von ihnen Beziehungen auf die jetzige Seelen-
beſchaffenheit haben, und den Vermoͤgen und Kraͤften,
die ſich mit ihnen beſchaͤftigen, gemaͤß oder nicht gemaͤß
ſind.

Wir fuͤhlen, daß eine Sache gut iſt. Dieß iſt et-
was anders, als wenn wir fuͤhlen, daß ſie angenehm
ſey. Einen Gegenſtand als gut oder als boͤſe zu em-
pfinden, iſt ſo viel, als fuͤhlen und empfinden, daß er
eine Urſache von einer Vollkommenheit oder von ſo et-
was ſey, das uns Vergnuͤgen oder Verdruß machet. Ei-
ne Modifikation der Seele kann ihre Kraft ſtaͤrken, ih-
ren innern Realitaͤten einen Zuwachs geben, ſie erhoͤhen
und vervollkommern. Solch eine Wirkung, ſolch ein
Zuſatz kann empfunden werden, und wenn er empfun-
den wird, ſo iſt das Gefuͤhl deſſelben ein Gefuͤhl des
Guten.

Das Gefuͤhl der Wahrheit findet nur bey den
Vorſtellungen und Gedanken ſtatt. Jede gegenwaͤrti-
ge Vorſtellung und jeder Gedanke hat eine gewiſſe Be-
ziehung auf unſere uͤbrige Gedanken und Vorſtellungen,
auf unſer geſamtes vorhandenes Gedankenſyſtem, und
auf die dadurch modificirte Vorſtellungskraft und Denk-
kraft. Die eine Vorſtellung vereiniget ſich leichter mit
den uͤbrigen, die ſchon vorhanden ſind; eine andere da-
gegen iſt unvereinbar mit ihnen, und widerſtehet der
Vereinigung, wenn die Kraft ein Beſtreben aͤußert, ſie
zu befaſſen. Daher entſtehet denn in dem einen Fall
Zuſtimmung des Verſtandes, in dem andern Fall Zu-
ruͤckhaltung und Abſtimmung. Es gehet alſo eine ge-
wiſſe Veraͤnderung in der Erkenntnißkraft vor, die in
der Beziehung der Jdeen auf den gegenwaͤrtigen Zu-
ſtand des Verſtandes und ſeiner dermaligen Vorſtellun-
gen und Jdeen ihren Grund hat. Die innerliche Em-

pfindung
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[187/0247] uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. ſie oder eigentlich ihre Eindruͤcke in uns, oder die Vor- ſtellungen von ihnen Beziehungen auf die jetzige Seelen- beſchaffenheit haben, und den Vermoͤgen und Kraͤften, die ſich mit ihnen beſchaͤftigen, gemaͤß oder nicht gemaͤß ſind. Wir fuͤhlen, daß eine Sache gut iſt. Dieß iſt et- was anders, als wenn wir fuͤhlen, daß ſie angenehm ſey. Einen Gegenſtand als gut oder als boͤſe zu em- pfinden, iſt ſo viel, als fuͤhlen und empfinden, daß er eine Urſache von einer Vollkommenheit oder von ſo et- was ſey, das uns Vergnuͤgen oder Verdruß machet. Ei- ne Modifikation der Seele kann ihre Kraft ſtaͤrken, ih- ren innern Realitaͤten einen Zuwachs geben, ſie erhoͤhen und vervollkommern. Solch eine Wirkung, ſolch ein Zuſatz kann empfunden werden, und wenn er empfun- den wird, ſo iſt das Gefuͤhl deſſelben ein Gefuͤhl des Guten. Das Gefuͤhl der Wahrheit findet nur bey den Vorſtellungen und Gedanken ſtatt. Jede gegenwaͤrti- ge Vorſtellung und jeder Gedanke hat eine gewiſſe Be- ziehung auf unſere uͤbrige Gedanken und Vorſtellungen, auf unſer geſamtes vorhandenes Gedankenſyſtem, und auf die dadurch modificirte Vorſtellungskraft und Denk- kraft. Die eine Vorſtellung vereiniget ſich leichter mit den uͤbrigen, die ſchon vorhanden ſind; eine andere da- gegen iſt unvereinbar mit ihnen, und widerſtehet der Vereinigung, wenn die Kraft ein Beſtreben aͤußert, ſie zu befaſſen. Daher entſtehet denn in dem einen Fall Zuſtimmung des Verſtandes, in dem andern Fall Zu- ruͤckhaltung und Abſtimmung. Es gehet alſo eine ge- wiſſe Veraͤnderung in der Erkenntnißkraft vor, die in der Beziehung der Jdeen auf den gegenwaͤrtigen Zu- ſtand des Verſtandes und ſeiner dermaligen Vorſtellun- gen und Jdeen ihren Grund hat. Die innerliche Em- pfindung

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/247>, abgerufen am 22.12.2024.