Vorstellungen in uns ist, die uns afficiret, deren Ge- genstände aber in dieser Folge und Ordnung niemals vor- her empfunden worden sind, so ist eine Wirkung da, ei- ne Affektion, die aus den Empfindungen nicht hergelei- tet werden kann. Gedichte, Romane, selbstgemachte Erdichtungen gewähren uns Empfindnisse dieser Art, die den Vorstellungen eigen sind, aber ihnen nur in ihrer Ordnung und Verbindung zukommen. Diese Empfind- nisse sind das Parallel zu den Selbstgeschöpfen der Dicht- kraft. Man kann sie aus den Empfindungen, aus de- nen die Vorstellungen herkommen, nicht anders ablei- ten, als nur in so ferne, daß die letztern den Stof zu ih- nen hergegeben haben. Sie sind sonsten wie die Erdich- tungen, Geschöpfe der selbsthätigen wiedervorstellenden Kraft. Doch sind diese noch von den Empfindnissen unterschieden, die sie begleiten, und die aus dem innern Gefuhl der gegenwärtigen thätigen Geistesthätigkeiten entstehen.
5.
Der gütige Menschenvater hat uns der angenehmen Empfindnisse in so vorzüglicher Maaße empfänglich ge- macht, daß widrige Empfindungen, wenn sie in Vor- stellungen übergehen, so oft ihre Natur verändern, und angenehme Empfindnisse werden. Bey einigen gehet zwar eine Verändrung auf die entgegenstehende Art vor sich; aber das letztere geschieht seltener als das erstere, und erfodert besondere Umstände und Ursachen, da die erste Veränderung von Natur derjenigen anklebet, wel- che Empfindungen leiden, wenn sie in Vorstellungen übergehen. Es ist keine Ausschweifung, wenn ich ei- nige Worte über die Ursache dieser Umänderung hinzuse- tze. Hr. Mendelsohn und Hr. Burk, der Verfasser der Schrift über den Ursprung unserer Begriffe vom Schönen und Erhabenen, haben mit großer
Scharf-
uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Vorſtellungen in uns iſt, die uns afficiret, deren Ge- genſtaͤnde aber in dieſer Folge und Ordnung niemals vor- her empfunden worden ſind, ſo iſt eine Wirkung da, ei- ne Affektion, die aus den Empfindungen nicht hergelei- tet werden kann. Gedichte, Romane, ſelbſtgemachte Erdichtungen gewaͤhren uns Empfindniſſe dieſer Art, die den Vorſtellungen eigen ſind, aber ihnen nur in ihrer Ordnung und Verbindung zukommen. Dieſe Empfind- niſſe ſind das Parallel zu den Selbſtgeſchoͤpfen der Dicht- kraft. Man kann ſie aus den Empfindungen, aus de- nen die Vorſtellungen herkommen, nicht anders ablei- ten, als nur in ſo ferne, daß die letztern den Stof zu ih- nen hergegeben haben. Sie ſind ſonſten wie die Erdich- tungen, Geſchoͤpfe der ſelbſthaͤtigen wiedervorſtellenden Kraft. Doch ſind dieſe noch von den Empfindniſſen unterſchieden, die ſie begleiten, und die aus dem innern Gefůhl der gegenwaͤrtigen thaͤtigen Geiſtesthaͤtigkeiten entſtehen.
5.
Der guͤtige Menſchenvater hat uns der angenehmen Empfindniſſe in ſo vorzuͤglicher Maaße empfaͤnglich ge- macht, daß widrige Empfindungen, wenn ſie in Vor- ſtellungen uͤbergehen, ſo oft ihre Natur veraͤndern, und angenehme Empfindniſſe werden. Bey einigen gehet zwar eine Veraͤndrung auf die entgegenſtehende Art vor ſich; aber das letztere geſchieht ſeltener als das erſtere, und erfodert beſondere Umſtaͤnde und Urſachen, da die erſte Veraͤnderung von Natur derjenigen anklebet, wel- che Empfindungen leiden, wenn ſie in Vorſtellungen uͤbergehen. Es iſt keine Ausſchweifung, wenn ich ei- nige Worte uͤber die Urſache dieſer Umaͤnderung hinzuſe- tze. Hr. Mendelſohn und Hr. Burk, der Verfaſſer der Schrift uͤber den Urſprung unſerer Begriffe vom Schoͤnen und Erhabenen, haben mit großer
Scharf-
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uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Vorſtellungen in uns iſt, die uns afficiret, deren Ge-
genſtaͤnde aber in dieſer Folge und Ordnung niemals vor-
her empfunden worden ſind, ſo iſt eine Wirkung da, ei-
ne Affektion, die aus den Empfindungen nicht hergelei-
tet werden kann. Gedichte, Romane, ſelbſtgemachte
Erdichtungen gewaͤhren uns Empfindniſſe dieſer Art, die
den Vorſtellungen eigen ſind, aber ihnen nur in ihrer
Ordnung und Verbindung zukommen. Dieſe Empfind-
niſſe ſind das Parallel zu den Selbſtgeſchoͤpfen der Dicht-
kraft. Man kann ſie aus den Empfindungen, aus de-
nen die Vorſtellungen herkommen, nicht anders ablei-
ten, als nur in ſo ferne, daß die letztern den Stof zu ih-
nen hergegeben haben. Sie ſind ſonſten wie die Erdich-
tungen, Geſchoͤpfe der ſelbſthaͤtigen wiedervorſtellenden
Kraft. Doch ſind dieſe noch von den Empfindniſſen
unterſchieden, die ſie begleiten, und die aus dem innern
Gefůhl der gegenwaͤrtigen thaͤtigen Geiſtesthaͤtigkeiten
entſtehen.
5.
Der guͤtige Menſchenvater hat uns der angenehmen
Empfindniſſe in ſo vorzuͤglicher Maaße empfaͤnglich ge-
macht, daß widrige Empfindungen, wenn ſie in Vor-
ſtellungen uͤbergehen, ſo oft ihre Natur veraͤndern, und
angenehme Empfindniſſe werden. Bey einigen gehet
zwar eine Veraͤndrung auf die entgegenſtehende Art vor
ſich; aber das letztere geſchieht ſeltener als das erſtere,
und erfodert beſondere Umſtaͤnde und Urſachen, da die
erſte Veraͤnderung von Natur derjenigen anklebet, wel-
che Empfindungen leiden, wenn ſie in Vorſtellungen
uͤbergehen. Es iſt keine Ausſchweifung, wenn ich ei-
nige Worte uͤber die Urſache dieſer Umaͤnderung hinzuſe-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/311>, abgerufen am 22.12.2024.
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