auf den Verhältnißgedanken, der gänzlich von dem Absondern und Hervorziehen der Vorstellungen, ver- schieden ist -- so muß es noch mehr eine besondere Selbstwirksamkeit seyn, wodurch eine eigene, sich unter- scheidende Wirkung in der Seele hervorgebracht wird.
Verbinden wir hiemit die unmittelbare Beobach- tung, so wird dieser Gedanke bestätiget. Jndem wir etwas gewahrnehmen, so fahren wir, so zu sagen, in Hinsicht dieses Gegenstandes auf, wie aus einem Schlaf. Wir fassen, ergreifen ihn, wir fassen uns selbst in Hinsicht seiner, besinnen uns, und fangen eine neue Jdeenreihe an. Wenn das Gewahrnehmen geschehen ist, so ist auch die Vorstellung der Sache im Lichten, klar und unterscheidend vor uns. Mit diesem ihr aufgedruck- ten Charakter wird sie im Gedächtniß aufbewahret, und denselben trägt sie an sich, wenn sie von der Einbildungs- kraft wieder erwecket wird, und führet dadurch die vorige Apperception selbst wieder mit sich zurück.
Es kommt also manches zusammen, das Apperci- piren für eine neue hinzukommende Aktion der Seele zu halten, und also auch das Gewahrnehmungsvermögen für ein thätiges Vermögen. Ob aber von dieser Un- tersuchung etwas erhebliches in der Psychologie abhange oder nicht, darüber bitte ich nicht eher zu urtheilen, als bis man weiter kommt. Und warum sollte man bey der Nachforschung der Wahrheit sich ängstlich fürchten, daß man ohne Nutzen arbeite. Man finde nur Wahrheit; sie wird, wie das Geld, wohl irgendwo genutzet werden können.
VI. Ob
III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
auf den Verhaͤltnißgedanken, der gaͤnzlich von dem Abſondern und Hervorziehen der Vorſtellungen, ver- ſchieden iſt — ſo muß es noch mehr eine beſondere Selbſtwirkſamkeit ſeyn, wodurch eine eigene, ſich unter- ſcheidende Wirkung in der Seele hervorgebracht wird.
Verbinden wir hiemit die unmittelbare Beobach- tung, ſo wird dieſer Gedanke beſtaͤtiget. Jndem wir etwas gewahrnehmen, ſo fahren wir, ſo zu ſagen, in Hinſicht dieſes Gegenſtandes auf, wie aus einem Schlaf. Wir faſſen, ergreifen ihn, wir faſſen uns ſelbſt in Hinſicht ſeiner, beſinnen uns, und fangen eine neue Jdeenreihe an. Wenn das Gewahrnehmen geſchehen iſt, ſo iſt auch die Vorſtellung der Sache im Lichten, klar und unterſcheidend vor uns. Mit dieſem ihr aufgedruck- ten Charakter wird ſie im Gedaͤchtniß aufbewahret, und denſelben traͤgt ſie an ſich, wenn ſie von der Einbildungs- kraft wieder erwecket wird, und fuͤhret dadurch die vorige Apperception ſelbſt wieder mit ſich zuruͤck.
Es kommt alſo manches zuſammen, das Apperci- piren fuͤr eine neue hinzukommende Aktion der Seele zu halten, und alſo auch das Gewahrnehmungsvermoͤgen fuͤr ein thaͤtiges Vermoͤgen. Ob aber von dieſer Un- terſuchung etwas erhebliches in der Pſychologie abhange oder nicht, daruͤber bitte ich nicht eher zu urtheilen, als bis man weiter kommt. Und warum ſollte man bey der Nachforſchung der Wahrheit ſich aͤngſtlich fuͤrchten, daß man ohne Nutzen arbeite. Man finde nur Wahrheit; ſie wird, wie das Geld, wohl irgendwo genutzet werden koͤnnen.
VI. Ob
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III. Verſuch. Ueber das Gewahrnehmen
auf den Verhaͤltnißgedanken, der gaͤnzlich von dem
Abſondern und Hervorziehen der Vorſtellungen, ver-
ſchieden iſt — ſo muß es noch mehr eine beſondere
Selbſtwirkſamkeit ſeyn, wodurch eine eigene, ſich unter-
ſcheidende Wirkung in der Seele hervorgebracht wird.
Verbinden wir hiemit die unmittelbare Beobach-
tung, ſo wird dieſer Gedanke beſtaͤtiget. Jndem wir
etwas gewahrnehmen, ſo fahren wir, ſo zu ſagen, in
Hinſicht dieſes Gegenſtandes auf, wie aus einem Schlaf.
Wir faſſen, ergreifen ihn, wir faſſen uns ſelbſt in
Hinſicht ſeiner, beſinnen uns, und fangen eine neue
Jdeenreihe an. Wenn das Gewahrnehmen geſchehen
iſt, ſo iſt auch die Vorſtellung der Sache im Lichten, klar
und unterſcheidend vor uns. Mit dieſem ihr aufgedruck-
ten Charakter wird ſie im Gedaͤchtniß aufbewahret, und
denſelben traͤgt ſie an ſich, wenn ſie von der Einbildungs-
kraft wieder erwecket wird, und fuͤhret dadurch die vorige
Apperception ſelbſt wieder mit ſich zuruͤck.
Es kommt alſo manches zuſammen, das Apperci-
piren fuͤr eine neue hinzukommende Aktion der Seele zu
halten, und alſo auch das Gewahrnehmungsvermoͤgen
fuͤr ein thaͤtiges Vermoͤgen. Ob aber von dieſer Un-
terſuchung etwas erhebliches in der Pſychologie abhange
oder nicht, daruͤber bitte ich nicht eher zu urtheilen, als
bis man weiter kommt. Und warum ſollte man bey der
Nachforſchung der Wahrheit ſich aͤngſtlich fuͤrchten, daß
man ohne Nutzen arbeite. Man finde nur Wahrheit;
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/350>, abgerufen am 22.12.2024.
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