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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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und über das Denken.
jene bejaheten, ist diese: ob sich die Wirkungsart der
Naturkraft und die Gesetze ihres Verfahrens nicht zer-
gliedern, und auf allgemeine Regeln zurückbringen
läßt? Wenn dieß angeht, so ist es nicht nöthig, dabey
zu bleiben, daß man saget: diese oder jene Jdee ist eine
unmittelbare Arbeit des Jnstinkts. Es lässet sich als-
denn noch zeigen, daß sie nach einem allgemeinen Wir-
kungsgesetze gemacht ist, und es läßt sich auch begreifen,
woher dasjenige, was ihr Eigen ist, seinen Ursprung
habe.

Wir schmecken, wir riechen, wir hören. Diese
Empfindungen vergehen; wir erwecken sie in etwas wie-
der in der Einbildungskraft, ob gleich auf eine sehr matte
Art. Wir unterscheiden sie von einander, und verbin-
den mit ihnen den Gedanken, daß sie von äußern Ge-
genständen entspringen, und gewisse Beschaffenheiten in
diesen voraussetzen, deren Zeichen oder Vorstellungen sie
sind. Jn so weit sind sie, nach dem Sprachgebrauch,
dem ich bisher gefolget bin, Jdeen von Gegenständen,
die uns etwas objektivisches vorstellen. Sind nun diese
Vorstellungen und Jdeen aus den mindern Sinnen so
wesentlich von den Vorstellungen und Jdeen aus dem
Gesicht und Gefühl unterschieden, wie einige geglaubet
haben, daß sie nicht in demselbigen Verstande Jdeen
genennet werden können?

Man hat sich vorgestellet, die Jdeen des Gehörs,
des Geruchs und des Geschmacks könnten nichts als klare
Empfindungen, Sensationen, oder Gefühle, aber keine
Vorstellungen und Jdeen seyn. Jn wie ferne sie Vor-
stellungen sind oder seyn können, ist in dem Ersten Ver-
such gewiesen worden. Sie sind klare Empfindungen,
und klare Empfindungsvorstellungen, wenn das Vermö-
gen gewahrzunehmen, ein Zweig der Denkkraft, sich
mit dem Gefühl und der Reproduktion verbindet, und
sie unterscheidet. Aber als Jdeen von Objekten betrachtet,

haben
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und uͤber das Denken.
jene bejaheten, iſt dieſe: ob ſich die Wirkungsart der
Naturkraft und die Geſetze ihres Verfahrens nicht zer-
gliedern, und auf allgemeine Regeln zuruͤckbringen
laͤßt? Wenn dieß angeht, ſo iſt es nicht noͤthig, dabey
zu bleiben, daß man ſaget: dieſe oder jene Jdee iſt eine
unmittelbare Arbeit des Jnſtinkts. Es laͤſſet ſich als-
denn noch zeigen, daß ſie nach einem allgemeinen Wir-
kungsgeſetze gemacht iſt, und es laͤßt ſich auch begreifen,
woher dasjenige, was ihr Eigen iſt, ſeinen Urſprung
habe.

Wir ſchmecken, wir riechen, wir hoͤren. Dieſe
Empfindungen vergehen; wir erwecken ſie in etwas wie-
der in der Einbildungskraft, ob gleich auf eine ſehr matte
Art. Wir unterſcheiden ſie von einander, und verbin-
den mit ihnen den Gedanken, daß ſie von aͤußern Ge-
genſtaͤnden entſpringen, und gewiſſe Beſchaffenheiten in
dieſen vorausſetzen, deren Zeichen oder Vorſtellungen ſie
ſind. Jn ſo weit ſind ſie, nach dem Sprachgebrauch,
dem ich bisher gefolget bin, Jdeen von Gegenſtaͤnden,
die uns etwas objektiviſches vorſtellen. Sind nun dieſe
Vorſtellungen und Jdeen aus den mindern Sinnen ſo
weſentlich von den Vorſtellungen und Jdeen aus dem
Geſicht und Gefuͤhl unterſchieden, wie einige geglaubet
haben, daß ſie nicht in demſelbigen Verſtande Jdeen
genennet werden koͤnnen?

Man hat ſich vorgeſtellet, die Jdeen des Gehoͤrs,
des Geruchs und des Geſchmacks koͤnnten nichts als klare
Empfindungen, Senſationen, oder Gefuͤhle, aber keine
Vorſtellungen und Jdeen ſeyn. Jn wie ferne ſie Vor-
ſtellungen ſind oder ſeyn koͤnnen, iſt in dem Erſten Ver-
ſuch gewieſen worden. Sie ſind klare Empfindungen,
und klare Empfindungsvorſtellungen, wenn das Vermoͤ-
gen gewahrzunehmen, ein Zweig der Denkkraft, ſich
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ſie unterſcheidet. Aber als Jdeen von Objekten betrachtet,

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[341/0401] und uͤber das Denken. jene bejaheten, iſt dieſe: ob ſich die Wirkungsart der Naturkraft und die Geſetze ihres Verfahrens nicht zer- gliedern, und auf allgemeine Regeln zuruͤckbringen laͤßt? Wenn dieß angeht, ſo iſt es nicht noͤthig, dabey zu bleiben, daß man ſaget: dieſe oder jene Jdee iſt eine unmittelbare Arbeit des Jnſtinkts. Es laͤſſet ſich als- denn noch zeigen, daß ſie nach einem allgemeinen Wir- kungsgeſetze gemacht iſt, und es laͤßt ſich auch begreifen, woher dasjenige, was ihr Eigen iſt, ſeinen Urſprung habe. Wir ſchmecken, wir riechen, wir hoͤren. Dieſe Empfindungen vergehen; wir erwecken ſie in etwas wie- der in der Einbildungskraft, ob gleich auf eine ſehr matte Art. Wir unterſcheiden ſie von einander, und verbin- den mit ihnen den Gedanken, daß ſie von aͤußern Ge- genſtaͤnden entſpringen, und gewiſſe Beſchaffenheiten in dieſen vorausſetzen, deren Zeichen oder Vorſtellungen ſie ſind. Jn ſo weit ſind ſie, nach dem Sprachgebrauch, dem ich bisher gefolget bin, Jdeen von Gegenſtaͤnden, die uns etwas objektiviſches vorſtellen. Sind nun dieſe Vorſtellungen und Jdeen aus den mindern Sinnen ſo weſentlich von den Vorſtellungen und Jdeen aus dem Geſicht und Gefuͤhl unterſchieden, wie einige geglaubet haben, daß ſie nicht in demſelbigen Verſtande Jdeen genennet werden koͤnnen? Man hat ſich vorgeſtellet, die Jdeen des Gehoͤrs, des Geruchs und des Geſchmacks koͤnnten nichts als klare Empfindungen, Senſationen, oder Gefuͤhle, aber keine Vorſtellungen und Jdeen ſeyn. Jn wie ferne ſie Vor- ſtellungen ſind oder ſeyn koͤnnen, iſt in dem Erſten Ver- ſuch gewieſen worden. Sie ſind klare Empfindungen, und klare Empfindungsvorſtellungen, wenn das Vermoͤ- gen gewahrzunehmen, ein Zweig der Denkkraft, ſich mit dem Gefuͤhl und der Reproduktion verbindet, und ſie unterſcheidet. Aber als Jdeen von Objekten betrachtet, haben Y 3

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/401>, abgerufen am 17.06.2024.