Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Versuch. Ueber die Denkkraft
haben sie noch eine Beschaffenheit mehr an sich, wodurch
sie zu Jdeen, oder, wie Reid sagt, zu Perceptionen
werden. Es ist nemlich der Gedanke mit ihnen ver-
bunden, daß sie in äußern Dingen ihren Ursprung ha-
ben, und daß sie etwas objektivisches und reelles vor-
stellen. Dieß ist der vornehmste Zusatz von der Denk-
kraft, und da ist die Frage, ob solcher auf eine andere
Art und nach andern Denkungsgesetzen hinzukomme, als
diejenigen sind, nach welchen alle Jdeen überhaupt von
der Denkkraft ihre Form erhalten?

Die Jdeen des Gefühls und des Gesichts schei-
nen weit mehr von ihren Empfindungen sich zu entfernen,
als die Jdeen aus den übrigen Sinnen. Wir befühlen
die Körper. Dieß Gefühl ist eine Empfindung, die
wir beachten, unterscheiden und bemerken können. Jch
lege die Hand auf einen harten oder auf einen weichen
Körper, und fahre mit den Fingern über ihn, und um
ihn herum. Es entstehet ein Gefühl von Härte und
Weichheit, von Figur und Größe, und dieß wird be-
sonders bemerket; zuweilen wenigstens, wenn man durch
Schmerz oder Lust oder durch Jnteresse gereizet wird,
aufmerksam darauf zu seyn. Diese Empfindung der
Härte, sagt Reid, hat nichts ähnliches mit der Härte
in dem Körper, und das hat sie freylich nicht. Sie ist
etwas subjektivisches in der Seele, da die Härte des Kör-
pers etwas objektivisches in den Dingen ist. Aber diese
Empfindung hat auch nichts ähnliches, setzet er hinzu,
mit der Perception oder mit der Jdee von der Härte,
welche uns die objektivische Beschaffenheit als im Bilde
vorhält. Jch antworte, das Gefühl ist hier allerdings
von der Jdee unterschieden; aber ist jenes deswegen
nicht der Stoff zu dieser? Sind beide wohl weiter von
einander unterschieden, als es eine jede undeutliche Jdee
von sich selbst ist, nachdem sie deutlich gemacht worden
ist? Und erstrecket sich überhaupt der Unterschied zwischen

unsern

IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
haben ſie noch eine Beſchaffenheit mehr an ſich, wodurch
ſie zu Jdeen, oder, wie Reid ſagt, zu Perceptionen
werden. Es iſt nemlich der Gedanke mit ihnen ver-
bunden, daß ſie in aͤußern Dingen ihren Urſprung ha-
ben, und daß ſie etwas objektiviſches und reelles vor-
ſtellen. Dieß iſt der vornehmſte Zuſatz von der Denk-
kraft, und da iſt die Frage, ob ſolcher auf eine andere
Art und nach andern Denkungsgeſetzen hinzukomme, als
diejenigen ſind, nach welchen alle Jdeen uͤberhaupt von
der Denkkraft ihre Form erhalten?

Die Jdeen des Gefuͤhls und des Geſichts ſchei-
nen weit mehr von ihren Empfindungen ſich zu entfernen,
als die Jdeen aus den uͤbrigen Sinnen. Wir befuͤhlen
die Koͤrper. Dieß Gefuͤhl iſt eine Empfindung, die
wir beachten, unterſcheiden und bemerken koͤnnen. Jch
lege die Hand auf einen harten oder auf einen weichen
Koͤrper, und fahre mit den Fingern uͤber ihn, und um
ihn herum. Es entſtehet ein Gefuͤhl von Haͤrte und
Weichheit, von Figur und Groͤße, und dieß wird be-
ſonders bemerket; zuweilen wenigſtens, wenn man durch
Schmerz oder Luſt oder durch Jntereſſe gereizet wird,
aufmerkſam darauf zu ſeyn. Dieſe Empfindung der
Haͤrte, ſagt Reid, hat nichts aͤhnliches mit der Haͤrte
in dem Koͤrper, und das hat ſie freylich nicht. Sie iſt
etwas ſubjektiviſches in der Seele, da die Haͤrte des Koͤr-
pers etwas objektiviſches in den Dingen iſt. Aber dieſe
Empfindung hat auch nichts aͤhnliches, ſetzet er hinzu,
mit der Perception oder mit der Jdee von der Haͤrte,
welche uns die objektiviſche Beſchaffenheit als im Bilde
vorhaͤlt. Jch antworte, das Gefuͤhl iſt hier allerdings
von der Jdee unterſchieden; aber iſt jenes deswegen
nicht der Stoff zu dieſer? Sind beide wohl weiter von
einander unterſchieden, als es eine jede undeutliche Jdee
von ſich ſelbſt iſt, nachdem ſie deutlich gemacht worden
iſt? Und erſtrecket ſich uͤberhaupt der Unterſchied zwiſchen

unſern
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0402" n="342"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Denkkraft</hi></fw><lb/>
haben &#x017F;ie noch eine Be&#x017F;chaffenheit mehr an &#x017F;ich, wodurch<lb/>
&#x017F;ie zu Jdeen, oder, wie <hi rendition="#fr">Reid</hi> &#x017F;agt, zu Perceptionen<lb/>
werden. Es i&#x017F;t nemlich der Gedanke mit ihnen ver-<lb/>
bunden, daß &#x017F;ie in <hi rendition="#fr">a&#x0364;ußern</hi> Dingen ihren Ur&#x017F;prung ha-<lb/>
ben, und daß &#x017F;ie etwas <hi rendition="#fr">objektivi&#x017F;ches</hi> und reelles vor-<lb/>
&#x017F;tellen. Dieß i&#x017F;t der vornehm&#x017F;te Zu&#x017F;atz von der Denk-<lb/>
kraft, und da i&#x017F;t die Frage, ob &#x017F;olcher auf eine andere<lb/>
Art und nach andern Denkungsge&#x017F;etzen hinzukomme, als<lb/>
diejenigen &#x017F;ind, nach welchen alle Jdeen u&#x0364;berhaupt von<lb/>
der Denkkraft ihre Form erhalten?</p><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#fr">Jdeen des Gefu&#x0364;hls</hi> und des <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;ichts</hi> &#x017F;chei-<lb/>
nen weit mehr von ihren Empfindungen &#x017F;ich zu entfernen,<lb/>
als die Jdeen aus den u&#x0364;brigen Sinnen. Wir befu&#x0364;hlen<lb/>
die Ko&#x0364;rper. Dieß Gefu&#x0364;hl i&#x017F;t eine Empfindung, die<lb/>
wir beachten, unter&#x017F;cheiden und bemerken ko&#x0364;nnen. Jch<lb/>
lege die Hand auf einen harten oder auf einen weichen<lb/>
Ko&#x0364;rper, und fahre mit den Fingern u&#x0364;ber ihn, und um<lb/>
ihn herum. Es ent&#x017F;tehet ein Gefu&#x0364;hl von Ha&#x0364;rte und<lb/>
Weichheit, von Figur und Gro&#x0364;ße, und dieß wird be-<lb/>
&#x017F;onders bemerket; zuweilen wenig&#x017F;tens, wenn man durch<lb/>
Schmerz oder Lu&#x017F;t oder durch Jntere&#x017F;&#x017F;e gereizet wird,<lb/>
aufmerk&#x017F;am darauf zu &#x017F;eyn. Die&#x017F;e Empfindung der<lb/>
Ha&#x0364;rte, &#x017F;agt <hi rendition="#fr">Reid,</hi> hat nichts a&#x0364;hnliches mit der Ha&#x0364;rte<lb/>
in dem Ko&#x0364;rper, und das hat &#x017F;ie freylich nicht. Sie i&#x017F;t<lb/>
etwas &#x017F;ubjektivi&#x017F;ches in der Seele, da die Ha&#x0364;rte des Ko&#x0364;r-<lb/>
pers etwas objektivi&#x017F;ches in den Dingen i&#x017F;t. Aber die&#x017F;e<lb/>
Empfindung hat auch nichts a&#x0364;hnliches, &#x017F;etzet er hinzu,<lb/>
mit der <hi rendition="#fr">Perception</hi> oder mit der <hi rendition="#fr">Jdee</hi> von der Ha&#x0364;rte,<lb/>
welche uns die objektivi&#x017F;che Be&#x017F;chaffenheit als im Bilde<lb/>
vorha&#x0364;lt. Jch antworte, das Gefu&#x0364;hl i&#x017F;t hier allerdings<lb/>
von der Jdee unter&#x017F;chieden; aber i&#x017F;t jenes deswegen<lb/>
nicht der Stoff zu die&#x017F;er? Sind beide wohl weiter von<lb/>
einander unter&#x017F;chieden, als es eine jede undeutliche Jdee<lb/>
von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t, nachdem &#x017F;ie deutlich gemacht worden<lb/>
i&#x017F;t? Und er&#x017F;trecket &#x017F;ich u&#x0364;berhaupt der Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">un&#x017F;ern</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[342/0402] IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft haben ſie noch eine Beſchaffenheit mehr an ſich, wodurch ſie zu Jdeen, oder, wie Reid ſagt, zu Perceptionen werden. Es iſt nemlich der Gedanke mit ihnen ver- bunden, daß ſie in aͤußern Dingen ihren Urſprung ha- ben, und daß ſie etwas objektiviſches und reelles vor- ſtellen. Dieß iſt der vornehmſte Zuſatz von der Denk- kraft, und da iſt die Frage, ob ſolcher auf eine andere Art und nach andern Denkungsgeſetzen hinzukomme, als diejenigen ſind, nach welchen alle Jdeen uͤberhaupt von der Denkkraft ihre Form erhalten? Die Jdeen des Gefuͤhls und des Geſichts ſchei- nen weit mehr von ihren Empfindungen ſich zu entfernen, als die Jdeen aus den uͤbrigen Sinnen. Wir befuͤhlen die Koͤrper. Dieß Gefuͤhl iſt eine Empfindung, die wir beachten, unterſcheiden und bemerken koͤnnen. Jch lege die Hand auf einen harten oder auf einen weichen Koͤrper, und fahre mit den Fingern uͤber ihn, und um ihn herum. Es entſtehet ein Gefuͤhl von Haͤrte und Weichheit, von Figur und Groͤße, und dieß wird be- ſonders bemerket; zuweilen wenigſtens, wenn man durch Schmerz oder Luſt oder durch Jntereſſe gereizet wird, aufmerkſam darauf zu ſeyn. Dieſe Empfindung der Haͤrte, ſagt Reid, hat nichts aͤhnliches mit der Haͤrte in dem Koͤrper, und das hat ſie freylich nicht. Sie iſt etwas ſubjektiviſches in der Seele, da die Haͤrte des Koͤr- pers etwas objektiviſches in den Dingen iſt. Aber dieſe Empfindung hat auch nichts aͤhnliches, ſetzet er hinzu, mit der Perception oder mit der Jdee von der Haͤrte, welche uns die objektiviſche Beſchaffenheit als im Bilde vorhaͤlt. Jch antworte, das Gefuͤhl iſt hier allerdings von der Jdee unterſchieden; aber iſt jenes deswegen nicht der Stoff zu dieſer? Sind beide wohl weiter von einander unterſchieden, als es eine jede undeutliche Jdee von ſich ſelbſt iſt, nachdem ſie deutlich gemacht worden iſt? Und erſtrecket ſich uͤberhaupt der Unterſchied zwiſchen unſern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/402
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/402>, abgerufen am 17.06.2024.