Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und über das Denken.
unsern Jdeen von den sogenannten qualitatibus prima-
riis
der Dinge, und denen von den qualitatibus secun-
dariis
wohl weiter, was auch Hr. Reid saget, der hier
bey dem ersten Anscheine stehen bleibt, als bis dahin,
daß die Eine Art deutlicher gemachte Vorstellungen sind,
und aus allgemeinen einfachen Vorstellungen bestehen;
die andern hingegen nicht so allgemeine Vorstellungen zu
Jngredienzen haben, und undeutlich und verwirrt ge-
blieben sind?

Die Gesichtsideen sind Vorstellungen, die am
meisten von der Denkkraft bearbeitet sind. Was hier
Empfindung und Vorstellung ist, besteht in Licht und
Farben, und diese Empfindungen sind schwache Empfin-
dungen, aber sehr deutlich auseinander gesetzt. Das
sichtliche Bild ist daher merklich unterschieden von der
Jdee des gesehenen Objekts. Jenes wird fast unkennt-
lich unter den Zusätzen, die von der Denkkraft kommen,
und daher bemerket der gemeine Verstand es selten, wenn
er auf seine Jdee zurücksieht. Die Perspektive lehret
uns, auf das sichtliche Bild recht acht zu haben; aber
die Jdee von dem Baum, den ich sehe, ist fast ganz
eine Zusammensetzung von Verhältnißgedanken, und
von Urtheilen, daß ein Ding da außer mir stehe, ein
Ding von einer gewissen Länge, Dicke, Breite, Figur,
in einer gewissen Weite u. s. f.

Aufs Einzelne sich einzulassen, und bey jedweder
Gattung von Empfindungsideen ihre Entstehungsart
deutlich auseinander zu setzen, das ist für meinen gegen-
wärtigen Zweck zu weitläuftig. Jch kann nur im All-
gemeinen stehen bleiben, und die wesentlichsten Punkte
angeben, worauf es dabey ankommt. Und warum sollte
man auch nicht gerne eingestehen, daß diele Wirkungen
unserer Seele eben so undurchdringlich, und eben so
schwer in ihre einzelne Schritte zu entwickeln sind, als
viele Wirkungen der Körperkräfte? Aber dagegen heißt

es
Y 4

und uͤber das Denken.
unſern Jdeen von den ſogenannten qualitatibus prima-
riis
der Dinge, und denen von den qualitatibus ſecun-
dariis
wohl weiter, was auch Hr. Reid ſaget, der hier
bey dem erſten Anſcheine ſtehen bleibt, als bis dahin,
daß die Eine Art deutlicher gemachte Vorſtellungen ſind,
und aus allgemeinen einfachen Vorſtellungen beſtehen;
die andern hingegen nicht ſo allgemeine Vorſtellungen zu
Jngredienzen haben, und undeutlich und verwirrt ge-
blieben ſind?

Die Geſichtsideen ſind Vorſtellungen, die am
meiſten von der Denkkraft bearbeitet ſind. Was hier
Empfindung und Vorſtellung iſt, beſteht in Licht und
Farben, und dieſe Empfindungen ſind ſchwache Empfin-
dungen, aber ſehr deutlich auseinander geſetzt. Das
ſichtliche Bild iſt daher merklich unterſchieden von der
Jdee des geſehenen Objekts. Jenes wird faſt unkennt-
lich unter den Zuſaͤtzen, die von der Denkkraft kommen,
und daher bemerket der gemeine Verſtand es ſelten, wenn
er auf ſeine Jdee zuruͤckſieht. Die Perſpektive lehret
uns, auf das ſichtliche Bild recht acht zu haben; aber
die Jdee von dem Baum, den ich ſehe, iſt faſt ganz
eine Zuſammenſetzung von Verhaͤltnißgedanken, und
von Urtheilen, daß ein Ding da außer mir ſtehe, ein
Ding von einer gewiſſen Laͤnge, Dicke, Breite, Figur,
in einer gewiſſen Weite u. ſ. f.

Aufs Einzelne ſich einzulaſſen, und bey jedweder
Gattung von Empfindungsideen ihre Entſtehungsart
deutlich auseinander zu ſetzen, das iſt fuͤr meinen gegen-
waͤrtigen Zweck zu weitlaͤuftig. Jch kann nur im All-
gemeinen ſtehen bleiben, und die weſentlichſten Punkte
angeben, worauf es dabey ankommt. Und warum ſollte
man auch nicht gerne eingeſtehen, daß diele Wirkungen
unſerer Seele eben ſo undurchdringlich, und eben ſo
ſchwer in ihre einzelne Schritte zu entwickeln ſind, als
viele Wirkungen der Koͤrperkraͤfte? Aber dagegen heißt

es
Y 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0403" n="343"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und u&#x0364;ber das Denken.</hi></fw><lb/>
un&#x017F;ern Jdeen von den &#x017F;ogenannten <hi rendition="#aq">qualitatibus prima-<lb/>
riis</hi> der Dinge, und denen von den <hi rendition="#aq">qualitatibus &#x017F;ecun-<lb/>
dariis</hi> wohl weiter, was auch Hr. <hi rendition="#fr">Reid</hi> &#x017F;aget, der hier<lb/>
bey dem er&#x017F;ten An&#x017F;cheine &#x017F;tehen bleibt, als bis dahin,<lb/>
daß die Eine Art deutlicher gemachte Vor&#x017F;tellungen &#x017F;ind,<lb/>
und aus allgemeinen einfachen Vor&#x017F;tellungen be&#x017F;tehen;<lb/>
die andern hingegen nicht &#x017F;o allgemeine Vor&#x017F;tellungen zu<lb/>
Jngredienzen haben, und undeutlich und verwirrt ge-<lb/>
blieben &#x017F;ind?</p><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;ichtsideen</hi> &#x017F;ind Vor&#x017F;tellungen, die am<lb/>
mei&#x017F;ten von der Denkkraft bearbeitet &#x017F;ind. Was hier<lb/>
Empfindung und Vor&#x017F;tellung i&#x017F;t, be&#x017F;teht in Licht und<lb/>
Farben, und die&#x017F;e Empfindungen &#x017F;ind &#x017F;chwache Empfin-<lb/>
dungen, aber &#x017F;ehr deutlich auseinander ge&#x017F;etzt. Das<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;ichtliche Bild</hi> i&#x017F;t daher merklich unter&#x017F;chieden von der<lb/><hi rendition="#fr">Jdee</hi> des ge&#x017F;ehenen Objekts. Jenes wird fa&#x017F;t unkennt-<lb/>
lich unter den Zu&#x017F;a&#x0364;tzen, die von der Denkkraft kommen,<lb/>
und daher bemerket der gemeine Ver&#x017F;tand es &#x017F;elten, wenn<lb/>
er auf &#x017F;eine Jdee zuru&#x0364;ck&#x017F;ieht. Die Per&#x017F;pektive lehret<lb/>
uns, auf das &#x017F;ichtliche Bild recht acht zu haben; aber<lb/>
die Jdee von dem Baum, den ich &#x017F;ehe, i&#x017F;t fa&#x017F;t ganz<lb/>
eine Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung von Verha&#x0364;ltnißgedanken, und<lb/>
von Urtheilen, daß ein Ding da außer mir &#x017F;tehe, ein<lb/>
Ding von einer gewi&#x017F;&#x017F;en La&#x0364;nge, Dicke, Breite, Figur,<lb/>
in einer gewi&#x017F;&#x017F;en Weite u. &#x017F;. f.</p><lb/>
            <p>Aufs Einzelne &#x017F;ich einzula&#x017F;&#x017F;en, und bey jedweder<lb/>
Gattung von Empfindungsideen ihre Ent&#x017F;tehungsart<lb/>
deutlich auseinander zu &#x017F;etzen, das i&#x017F;t fu&#x0364;r meinen gegen-<lb/>
wa&#x0364;rtigen Zweck zu weitla&#x0364;uftig. Jch kann nur im All-<lb/>
gemeinen &#x017F;tehen bleiben, und die we&#x017F;entlich&#x017F;ten Punkte<lb/>
angeben, worauf es dabey ankommt. Und warum &#x017F;ollte<lb/>
man auch nicht gerne einge&#x017F;tehen, daß diele Wirkungen<lb/>
un&#x017F;erer Seele eben &#x017F;o undurchdringlich, und eben &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chwer in ihre einzelne Schritte zu entwickeln &#x017F;ind, als<lb/>
viele Wirkungen der Ko&#x0364;rperkra&#x0364;fte? Aber dagegen heißt<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 4</fw><fw place="bottom" type="catch">es</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0403] und uͤber das Denken. unſern Jdeen von den ſogenannten qualitatibus prima- riis der Dinge, und denen von den qualitatibus ſecun- dariis wohl weiter, was auch Hr. Reid ſaget, der hier bey dem erſten Anſcheine ſtehen bleibt, als bis dahin, daß die Eine Art deutlicher gemachte Vorſtellungen ſind, und aus allgemeinen einfachen Vorſtellungen beſtehen; die andern hingegen nicht ſo allgemeine Vorſtellungen zu Jngredienzen haben, und undeutlich und verwirrt ge- blieben ſind? Die Geſichtsideen ſind Vorſtellungen, die am meiſten von der Denkkraft bearbeitet ſind. Was hier Empfindung und Vorſtellung iſt, beſteht in Licht und Farben, und dieſe Empfindungen ſind ſchwache Empfin- dungen, aber ſehr deutlich auseinander geſetzt. Das ſichtliche Bild iſt daher merklich unterſchieden von der Jdee des geſehenen Objekts. Jenes wird faſt unkennt- lich unter den Zuſaͤtzen, die von der Denkkraft kommen, und daher bemerket der gemeine Verſtand es ſelten, wenn er auf ſeine Jdee zuruͤckſieht. Die Perſpektive lehret uns, auf das ſichtliche Bild recht acht zu haben; aber die Jdee von dem Baum, den ich ſehe, iſt faſt ganz eine Zuſammenſetzung von Verhaͤltnißgedanken, und von Urtheilen, daß ein Ding da außer mir ſtehe, ein Ding von einer gewiſſen Laͤnge, Dicke, Breite, Figur, in einer gewiſſen Weite u. ſ. f. Aufs Einzelne ſich einzulaſſen, und bey jedweder Gattung von Empfindungsideen ihre Entſtehungsart deutlich auseinander zu ſetzen, das iſt fuͤr meinen gegen- waͤrtigen Zweck zu weitlaͤuftig. Jch kann nur im All- gemeinen ſtehen bleiben, und die weſentlichſten Punkte angeben, worauf es dabey ankommt. Und warum ſollte man auch nicht gerne eingeſtehen, daß diele Wirkungen unſerer Seele eben ſo undurchdringlich, und eben ſo ſchwer in ihre einzelne Schritte zu entwickeln ſind, als viele Wirkungen der Koͤrperkraͤfte? Aber dagegen heißt es Y 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/403
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/403>, abgerufen am 22.12.2024.