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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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V. Versuch. Ueber den Urspr. unserer
einzige Empfindung, von einer gewissen merklichen
Größe, Breite, Tiefe und Dauer. So geschwinde
vorübergehend, so klein am Umfang es auch sonsten seyn
mag, so muß es eine solche Größe und Dauer haben,
daß eine Nachempfindung entstehen, und daß das Ganze
gewahrgenommen werden könne.

Jn dieser ganzen Empfindung des Bildes, werden
Ein oder mehrere Farbenzüge unterschieden, und ausge-
kannt von dem übrigen, diejenigen nämlich, die am
meisten hervorstechen.

Diese sich ausnehmende Züge in der ganzen Em-
pfindung sind Theile der ganzen Empfindung. Aber
man kann sie nur Theile in der allgemeinsten Bedeu-
tung des Wortes nennen. Denn wir sehen sie nicht so
an, als wenn die ganze Empfindung aus solchen hervor-
stechenden Zügen zusammengesetzet wäre.

So eine Empfindung, die eine ganze ungetheilte,
zugleich vorhandene Empfindung ist, und in der Ein
unabgesonderter, mit dem übrigen vereinigter Zug sich
vor andern an leichterer Apperceptibilität ausnimmt, ist
eine solche, aus der die Denkkraft die Jdee von einem
Dinge und von einer Beschaffenheit macht. Auf
diese Art:

Sie unterscheidet das Ganze von andern. Dieß ist
der Gedanke: es ist Eine besondere ganze Empfindung,
oder Vorstellung. Sie unterscheidet den sich ausneh-
menden Zug in diesem Ganzen.

Die Verbindung des unterschiedenen Zuges
mit dem Ganzen,
erreget den Verhältnißgedanken,
"daß der Zug in dem Ganzen enthalten sey." Dieß ist
eine Beziehung, die zu den Verhältnissen aus der
Mitwirklichkeit
gehört. Es ist Vereinigung des
Unterschiedenen
da.

Bald darauf denket die Seele noch eine ursachliche
Beziehung hinzu. Die ganze Empfindung wird als

abhän-

V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
einzige Empfindung, von einer gewiſſen merklichen
Groͤße, Breite, Tiefe und Dauer. So geſchwinde
voruͤbergehend, ſo klein am Umfang es auch ſonſten ſeyn
mag, ſo muß es eine ſolche Groͤße und Dauer haben,
daß eine Nachempfindung entſtehen, und daß das Ganze
gewahrgenommen werden koͤnne.

Jn dieſer ganzen Empfindung des Bildes, werden
Ein oder mehrere Farbenzuͤge unterſchieden, und ausge-
kannt von dem uͤbrigen, diejenigen naͤmlich, die am
meiſten hervorſtechen.

Dieſe ſich ausnehmende Zuͤge in der ganzen Em-
pfindung ſind Theile der ganzen Empfindung. Aber
man kann ſie nur Theile in der allgemeinſten Bedeu-
tung des Wortes nennen. Denn wir ſehen ſie nicht ſo
an, als wenn die ganze Empfindung aus ſolchen hervor-
ſtechenden Zuͤgen zuſammengeſetzet waͤre.

So eine Empfindung, die eine ganze ungetheilte,
zugleich vorhandene Empfindung iſt, und in der Ein
unabgeſonderter, mit dem uͤbrigen vereinigter Zug ſich
vor andern an leichterer Apperceptibilitaͤt ausnimmt, iſt
eine ſolche, aus der die Denkkraft die Jdee von einem
Dinge und von einer Beſchaffenheit macht. Auf
dieſe Art:

Sie unterſcheidet das Ganze von andern. Dieß iſt
der Gedanke: es iſt Eine beſondere ganze Empfindung,
oder Vorſtellung. Sie unterſcheidet den ſich ausneh-
menden Zug in dieſem Ganzen.

Die Verbindung des unterſchiedenen Zuges
mit dem Ganzen,
erreget den Verhaͤltnißgedanken,
„daß der Zug in dem Ganzen enthalten ſey.“ Dieß iſt
eine Beziehung, die zu den Verhaͤltniſſen aus der
Mitwirklichkeit
gehoͤrt. Es iſt Vereinigung des
Unterſchiedenen
da.

Bald darauf denket die Seele noch eine urſachliche
Beziehung hinzu. Die ganze Empfindung wird als

abhaͤn-
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[390/0450] V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer einzige Empfindung, von einer gewiſſen merklichen Groͤße, Breite, Tiefe und Dauer. So geſchwinde voruͤbergehend, ſo klein am Umfang es auch ſonſten ſeyn mag, ſo muß es eine ſolche Groͤße und Dauer haben, daß eine Nachempfindung entſtehen, und daß das Ganze gewahrgenommen werden koͤnne. Jn dieſer ganzen Empfindung des Bildes, werden Ein oder mehrere Farbenzuͤge unterſchieden, und ausge- kannt von dem uͤbrigen, diejenigen naͤmlich, die am meiſten hervorſtechen. Dieſe ſich ausnehmende Zuͤge in der ganzen Em- pfindung ſind Theile der ganzen Empfindung. Aber man kann ſie nur Theile in der allgemeinſten Bedeu- tung des Wortes nennen. Denn wir ſehen ſie nicht ſo an, als wenn die ganze Empfindung aus ſolchen hervor- ſtechenden Zuͤgen zuſammengeſetzet waͤre. So eine Empfindung, die eine ganze ungetheilte, zugleich vorhandene Empfindung iſt, und in der Ein unabgeſonderter, mit dem uͤbrigen vereinigter Zug ſich vor andern an leichterer Apperceptibilitaͤt ausnimmt, iſt eine ſolche, aus der die Denkkraft die Jdee von einem Dinge und von einer Beſchaffenheit macht. Auf dieſe Art: Sie unterſcheidet das Ganze von andern. Dieß iſt der Gedanke: es iſt Eine beſondere ganze Empfindung, oder Vorſtellung. Sie unterſcheidet den ſich ausneh- menden Zug in dieſem Ganzen. Die Verbindung des unterſchiedenen Zuges mit dem Ganzen, erreget den Verhaͤltnißgedanken, „daß der Zug in dem Ganzen enthalten ſey.“ Dieß iſt eine Beziehung, die zu den Verhaͤltniſſen aus der Mitwirklichkeit gehoͤrt. Es iſt Vereinigung des Unterſchiedenen da. Bald darauf denket die Seele noch eine urſachliche Beziehung hinzu. Die ganze Empfindung wird als abhaͤn-

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/450>, abgerufen am 17.06.2024.