zuzeichnen. Dahin gehören die allgemeinen Vorstel- lungen von den Gattungen der Dinge, welche die Natur gemacht hat. Mensch, Thier, Baum, Wasser sind Aehnlichkeiten mehrerer Empfindungen, deren Theile stark genug zusammenhangen, und die sich als Ganze deutlich genug im Kopf von einander absondern würden, wenn wir auch gleich ihre Benennungen entbehren müß- ten. Solche allgemeine sinnliche Abstrakta haben für sich ohne Worte in der Phantasie Haltung genug, um zu bestehen.
Aber auch in den übrigen Fällen, wo die einmal be- merkten Aehnlichkeiten sich in der ganzen Masse unserer Bilder wieder zerstreuen möchten, wenn man sie nicht durch ein Wort, als durch ein Band zusammen verei- niget hielte, sind dennoch die Wörter immer nur die Zeichen der Vorstellungen, niemals die Vorstellun- gen selbst. Der sie vergleichende und urtheilende Ver- stand hält die Vorstellungen sich vermittelst der Worte vor, siehet jene bey diesen, und durch diese, aber nicht diese allein, und die Reflexion, welche Verhältnisse der Vorstellungen denket, urtheilet nicht über die Worte. Die allgemeinen Begriffe von dem Seyn, von der Sub- stanz, von der Nothwendigkeit u. s. w. sind nun zwar so innig als möglich diesen Zeichen einverleibet, aber wer über solche Jdeen nachdenken will, muß nicht die Wor- te anschauen, sondern die Sachen, das sind hier die Aehnlichkeiten der Empfindungen, welche man mit die- sen Worten bezeichnet hat. Es ist nur so oft von den spekulirenden Metaphysikern geschehen, daß gewisse Ver- hältnisse der Wörter mit den Verhältnissen der Sachen verwechselt worden sind, woraus sachleere Wortkräme- rey entstanden ist.
Dennoch giebt es eine gewisse Klasse von allgemei- nen Urtheilen, wovon man sagen kann, die Reflexion brauche außer den Worten oder den Zeichen nichts vor
sich
der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
zuzeichnen. Dahin gehoͤren die allgemeinen Vorſtel- lungen von den Gattungen der Dinge, welche die Natur gemacht hat. Menſch, Thier, Baum, Waſſer ſind Aehnlichkeiten mehrerer Empfindungen, deren Theile ſtark genug zuſammenhangen, und die ſich als Ganze deutlich genug im Kopf von einander abſondern wuͤrden, wenn wir auch gleich ihre Benennungen entbehren muͤß- ten. Solche allgemeine ſinnliche Abſtrakta haben fuͤr ſich ohne Worte in der Phantaſie Haltung genug, um zu beſtehen.
Aber auch in den uͤbrigen Faͤllen, wo die einmal be- merkten Aehnlichkeiten ſich in der ganzen Maſſe unſerer Bilder wieder zerſtreuen moͤchten, wenn man ſie nicht durch ein Wort, als durch ein Band zuſammen verei- niget hielte, ſind dennoch die Woͤrter immer nur die Zeichen der Vorſtellungen, niemals die Vorſtellun- gen ſelbſt. Der ſie vergleichende und urtheilende Ver- ſtand haͤlt die Vorſtellungen ſich vermittelſt der Worte vor, ſiehet jene bey dieſen, und durch dieſe, aber nicht dieſe allein, und die Reflexion, welche Verhaͤltniſſe der Vorſtellungen denket, urtheilet nicht uͤber die Worte. Die allgemeinen Begriffe von dem Seyn, von der Sub- ſtanz, von der Nothwendigkeit u. ſ. w. ſind nun zwar ſo innig als moͤglich dieſen Zeichen einverleibet, aber wer uͤber ſolche Jdeen nachdenken will, muß nicht die Wor- te anſchauen, ſondern die Sachen, das ſind hier die Aehnlichkeiten der Empfindungen, welche man mit die- ſen Worten bezeichnet hat. Es iſt nur ſo oft von den ſpekulirenden Metaphyſikern geſchehen, daß gewiſſe Ver- haͤltniſſe der Woͤrter mit den Verhaͤltniſſen der Sachen verwechſelt worden ſind, woraus ſachleere Wortkraͤme- rey entſtanden iſt.
Dennoch giebt es eine gewiſſe Klaſſe von allgemei- nen Urtheilen, wovon man ſagen kann, die Reflexion brauche außer den Worten oder den Zeichen nichts vor
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der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
zuzeichnen. Dahin gehoͤren die allgemeinen Vorſtel-
lungen von den Gattungen der Dinge, welche die Natur
gemacht hat. Menſch, Thier, Baum, Waſſer ſind
Aehnlichkeiten mehrerer Empfindungen, deren Theile
ſtark genug zuſammenhangen, und die ſich als Ganze
deutlich genug im Kopf von einander abſondern wuͤrden,
wenn wir auch gleich ihre Benennungen entbehren muͤß-
ten. Solche allgemeine ſinnliche Abſtrakta haben fuͤr
ſich ohne Worte in der Phantaſie Haltung genug, um
zu beſtehen.
Aber auch in den uͤbrigen Faͤllen, wo die einmal be-
merkten Aehnlichkeiten ſich in der ganzen Maſſe unſerer
Bilder wieder zerſtreuen moͤchten, wenn man ſie nicht
durch ein Wort, als durch ein Band zuſammen verei-
niget hielte, ſind dennoch die Woͤrter immer nur die
Zeichen der Vorſtellungen, niemals die Vorſtellun-
gen ſelbſt. Der ſie vergleichende und urtheilende Ver-
ſtand haͤlt die Vorſtellungen ſich vermittelſt der Worte
vor, ſiehet jene bey dieſen, und durch dieſe, aber nicht
dieſe allein, und die Reflexion, welche Verhaͤltniſſe der
Vorſtellungen denket, urtheilet nicht uͤber die Worte.
Die allgemeinen Begriffe von dem Seyn, von der Sub-
ſtanz, von der Nothwendigkeit u. ſ. w. ſind nun zwar ſo
innig als moͤglich dieſen Zeichen einverleibet, aber wer
uͤber ſolche Jdeen nachdenken will, muß nicht die Wor-
te anſchauen, ſondern die Sachen, das ſind hier die
Aehnlichkeiten der Empfindungen, welche man mit die-
ſen Worten bezeichnet hat. Es iſt nur ſo oft von den
ſpekulirenden Metaphyſikern geſchehen, daß gewiſſe Ver-
haͤltniſſe der Woͤrter mit den Verhaͤltniſſen der Sachen
verwechſelt worden ſind, woraus ſachleere Wortkraͤme-
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Dennoch giebt es eine gewiſſe Klaſſe von allgemei-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/521>, abgerufen am 22.12.2024.
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