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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der allgem. Vernunftwahrheiten, etc.
sten nicht von einander so abhangen, daß die Denkkraft,
welche die Eine von ihnen in sich gegenwärtig erhält; ih-
rer innern Natur nach auf die andere geführet wird,
auch wenn sie die letztere noch niemals vorher mit der er-
stern verbunden hat.

Die Gewohnheit, "zwey Dinge bey einander als
koexistirend sich vorzustellen, sey so stark als sie wolle,
so ist es dennoch möglich, jede dieser beiden Vorstellun-
gen mit andern verschiedenen Vorstellungen zu verbin-
den, und sie in diesen neuen Verbindungen gegenwärtig
zu haben, und alsdenn sie selbst von einander in der Phan-
tasie zu trennen. Die Gewohnheit, associirte Jdeen zu
verbinden, und die Beziehung, welche sie in dieser Asso-
ciation auf sich haben, als ihre wahre Beziehung anzu-
sehen, ist bekanntlich so mächtig wie eine zwote Natur.
Es lassen sich aber doch andere Reflexiones entgegen setzen,
wenn jene gleich öfters diese letztern unterdrücket, und uns
gegen besseres Wissen zu übereilten Urtheilen bringet.

Der Schäfer hat sich angewöhnt, Sonne und Mond
für gleich groß zu erkennen, und ihnen eine gleiche fühl-
bare
Größe mit der sichtlichen zuzuschreiben. Der
Astronom aber hat diese Association aufgehoben, und ur-
theilet auf die entgegengesetzte Art, daß diese Körper
ungleich sind. So sind sie auch vor dem Gefühl; und
selbst die sichtliche Gleichheit, welche ihnen zukommt,
ist nur eine relative sichtliche Gleichheit, eine solche
nemlich, die nur bey einer bestimmten Entfernung des
Auges statt findet; sie ist nicht einmal eine absolute
sichtliche Jdentität, die den Objekten nach den Gesichts-
vorstellungen zukommt, wenn ihre Lage gegen das Auge,
und die übrigen Empfindungserfordernisse dieselbigen
sind.

2. Wir
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der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
ſten nicht von einander ſo abhangen, daß die Denkkraft,
welche die Eine von ihnen in ſich gegenwaͤrtig erhaͤlt; ih-
rer innern Natur nach auf die andere gefuͤhret wird,
auch wenn ſie die letztere noch niemals vorher mit der er-
ſtern verbunden hat.

Die Gewohnheit, „zwey Dinge bey einander als
koexiſtirend ſich vorzuſtellen, ſey ſo ſtark als ſie wolle,
ſo iſt es dennoch moͤglich, jede dieſer beiden Vorſtellun-
gen mit andern verſchiedenen Vorſtellungen zu verbin-
den, und ſie in dieſen neuen Verbindungen gegenwaͤrtig
zu haben, und alsdenn ſie ſelbſt von einander in der Phan-
taſie zu trennen. Die Gewohnheit, aſſociirte Jdeen zu
verbinden, und die Beziehung, welche ſie in dieſer Aſſo-
ciation auf ſich haben, als ihre wahre Beziehung anzu-
ſehen, iſt bekanntlich ſo maͤchtig wie eine zwote Natur.
Es laſſen ſich aber doch andere Reflexiones entgegen ſetzen,
wenn jene gleich oͤfters dieſe letztern unterdruͤcket, und uns
gegen beſſeres Wiſſen zu uͤbereilten Urtheilen bringet.

Der Schaͤfer hat ſich angewoͤhnt, Sonne und Mond
fuͤr gleich groß zu erkennen, und ihnen eine gleiche fuͤhl-
bare
Groͤße mit der ſichtlichen zuzuſchreiben. Der
Aſtronom aber hat dieſe Aſſociation aufgehoben, und ur-
theilet auf die entgegengeſetzte Art, daß dieſe Koͤrper
ungleich ſind. So ſind ſie auch vor dem Gefuͤhl; und
ſelbſt die ſichtliche Gleichheit, welche ihnen zukommt,
iſt nur eine relative ſichtliche Gleichheit, eine ſolche
nemlich, die nur bey einer beſtimmten Entfernung des
Auges ſtatt findet; ſie iſt nicht einmal eine abſolute
ſichtliche Jdentitaͤt, die den Objekten nach den Geſichts-
vorſtellungen zukommt, wenn ihre Lage gegen das Auge,
und die uͤbrigen Empfindungserforderniſſe dieſelbigen
ſind.

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[485/0545] der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c. ſten nicht von einander ſo abhangen, daß die Denkkraft, welche die Eine von ihnen in ſich gegenwaͤrtig erhaͤlt; ih- rer innern Natur nach auf die andere gefuͤhret wird, auch wenn ſie die letztere noch niemals vorher mit der er- ſtern verbunden hat. Die Gewohnheit, „zwey Dinge bey einander als koexiſtirend ſich vorzuſtellen, ſey ſo ſtark als ſie wolle, ſo iſt es dennoch moͤglich, jede dieſer beiden Vorſtellun- gen mit andern verſchiedenen Vorſtellungen zu verbin- den, und ſie in dieſen neuen Verbindungen gegenwaͤrtig zu haben, und alsdenn ſie ſelbſt von einander in der Phan- taſie zu trennen. Die Gewohnheit, aſſociirte Jdeen zu verbinden, und die Beziehung, welche ſie in dieſer Aſſo- ciation auf ſich haben, als ihre wahre Beziehung anzu- ſehen, iſt bekanntlich ſo maͤchtig wie eine zwote Natur. Es laſſen ſich aber doch andere Reflexiones entgegen ſetzen, wenn jene gleich oͤfters dieſe letztern unterdruͤcket, und uns gegen beſſeres Wiſſen zu uͤbereilten Urtheilen bringet. Der Schaͤfer hat ſich angewoͤhnt, Sonne und Mond fuͤr gleich groß zu erkennen, und ihnen eine gleiche fuͤhl- bare Groͤße mit der ſichtlichen zuzuſchreiben. Der Aſtronom aber hat dieſe Aſſociation aufgehoben, und ur- theilet auf die entgegengeſetzte Art, daß dieſe Koͤrper ungleich ſind. So ſind ſie auch vor dem Gefuͤhl; und ſelbſt die ſichtliche Gleichheit, welche ihnen zukommt, iſt nur eine relative ſichtliche Gleichheit, eine ſolche nemlich, die nur bey einer beſtimmten Entfernung des Auges ſtatt findet; ſie iſt nicht einmal eine abſolute ſichtliche Jdentitaͤt, die den Objekten nach den Geſichts- vorſtellungen zukommt, wenn ihre Lage gegen das Auge, und die uͤbrigen Empfindungserforderniſſe dieſelbigen ſind. 2. Wir H h 3

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/545>, abgerufen am 22.12.2024.