Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

der allgem. Vernunftwahrheiten, etc.
für sich aus der Natur desselben offenbar, daß die oben
unterschiedene Arten der subjektivischen Nothwen-
digkeit
in den Wirkungen desselben vorkommen müssen.
Und wenn dieß noch nicht genug einleuchtet, so braucht
es nur der mäßigsten Aufmerksamkeit auf die letztere,
um jene hier unmittelbar zu beobachten. Die Urtheile
über das Daseyn der wirklichen Welt, über die ursach-
lichen Verbindungen der Dinge in der Welt; die Unter-
scheidung des Gegenwärtigen in der Empfindung von
dem Vergangenen durch die Wiedererinnerung, und von
dem bevorstehenden Künftigen; unser Glaube an frem-
des Zeugniß sind solche Wirkungen und Aeußerungen des
Menschenverstandes. Betrachtet man die Gründe und
die Art des Verfahrens jeder derselben besonders, so
wird es auch bey jedweder besonders offenbar, daß es
bald eine Jdeenassociation, und eine Verallgemeinerung
besonderer Erfahrungssätze ist; bald aber natürliches
Denkungsgesetz, und in einem gewissen Verstande im-
mer beydes zusammen, was die Denkkraft in diesen
Kenntnissen bestimmt, und was den Beyfall und die
Ueberzeugung nothwendig macht.

Hier aufs Einzelne sich einzulassen, und bey jedwe-
der Art der gemeinen Verstandeskenntnisse zu zei-
gen, wie viel davon nothwendig durch die Natur
des Verstandes
für wahr anerkannt werden müsse, und
wie viel von einer | Jdeenverknüpfung abhange? dieß
hätte das eigentliche Geschäft der brittischen Philosophen
seyn sollen, die sichs zur Pflicht machten, gegen Hume
und Berkeley die Grundsätze des gemeinen Verstandes
zu rechtfertigen.

Dieß ist erstlich eines der wesentlichsten Stücke, wor-
auf es in dem Streit mit dem Skeptikern ankommt.
Der Verstand denket seinen Naturgesetzen gemäß, und
so weit ist sogar der Jrrthum unmöglich; aber er verbin-
det auch Jdeen zusammen in Eine, macht daraus allge-

meine

der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
fuͤr ſich aus der Natur deſſelben offenbar, daß die oben
unterſchiedene Arten der ſubjektiviſchen Nothwen-
digkeit
in den Wirkungen deſſelben vorkommen muͤſſen.
Und wenn dieß noch nicht genug einleuchtet, ſo braucht
es nur der maͤßigſten Aufmerkſamkeit auf die letztere,
um jene hier unmittelbar zu beobachten. Die Urtheile
uͤber das Daſeyn der wirklichen Welt, uͤber die urſach-
lichen Verbindungen der Dinge in der Welt; die Unter-
ſcheidung des Gegenwaͤrtigen in der Empfindung von
dem Vergangenen durch die Wiedererinnerung, und von
dem bevorſtehenden Kuͤnftigen; unſer Glaube an frem-
des Zeugniß ſind ſolche Wirkungen und Aeußerungen des
Menſchenverſtandes. Betrachtet man die Gruͤnde und
die Art des Verfahrens jeder derſelben beſonders, ſo
wird es auch bey jedweder beſonders offenbar, daß es
bald eine Jdeenaſſociation, und eine Verallgemeinerung
beſonderer Erfahrungsſaͤtze iſt; bald aber natuͤrliches
Denkungsgeſetz, und in einem gewiſſen Verſtande im-
mer beydes zuſammen, was die Denkkraft in dieſen
Kenntniſſen beſtimmt, und was den Beyfall und die
Ueberzeugung nothwendig macht.

Hier aufs Einzelne ſich einzulaſſen, und bey jedwe-
der Art der gemeinen Verſtandeskenntniſſe zu zei-
gen, wie viel davon nothwendig durch die Natur
des Verſtandes
fuͤr wahr anerkannt werden muͤſſe, und
wie viel von einer | Jdeenverknuͤpfung abhange? dieß
haͤtte das eigentliche Geſchaͤft der brittiſchen Philoſophen
ſeyn ſollen, die ſichs zur Pflicht machten, gegen Hume
und Berkeley die Grundſaͤtze des gemeinen Verſtandes
zu rechtfertigen.

Dieß iſt erſtlich eines der weſentlichſten Stuͤcke, wor-
auf es in dem Streit mit dem Skeptikern ankommt.
Der Verſtand denket ſeinen Naturgeſetzen gemaͤß, und
ſo weit iſt ſogar der Jrrthum unmoͤglich; aber er verbin-
det auch Jdeen zuſammen in Eine, macht daraus allge-

meine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0587" n="527"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der allgem. Vernunftwahrheiten, &#x204A;c.</hi></fw><lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich aus der Natur de&#x017F;&#x017F;elben offenbar, daß die oben<lb/>
unter&#x017F;chiedene Arten der <hi rendition="#fr">&#x017F;ubjektivi&#x017F;chen Nothwen-<lb/>
digkeit</hi> in den Wirkungen de&#x017F;&#x017F;elben vorkommen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Und wenn dieß noch nicht genug einleuchtet, &#x017F;o braucht<lb/>
es nur der ma&#x0364;ßig&#x017F;ten Aufmerk&#x017F;amkeit auf die letztere,<lb/>
um jene hier unmittelbar zu beobachten. Die Urtheile<lb/>
u&#x0364;ber das Da&#x017F;eyn der wirklichen Welt, u&#x0364;ber die ur&#x017F;ach-<lb/>
lichen Verbindungen der Dinge in der Welt; die Unter-<lb/>
&#x017F;cheidung des Gegenwa&#x0364;rtigen in der Empfindung von<lb/>
dem Vergangenen durch die Wiedererinnerung, und von<lb/>
dem bevor&#x017F;tehenden Ku&#x0364;nftigen; un&#x017F;er Glaube an frem-<lb/>
des Zeugniß &#x017F;ind &#x017F;olche Wirkungen und Aeußerungen des<lb/>
Men&#x017F;chenver&#x017F;tandes. Betrachtet man die Gru&#x0364;nde und<lb/>
die Art des Verfahrens jeder der&#x017F;elben be&#x017F;onders, &#x017F;o<lb/>
wird es auch bey jedweder be&#x017F;onders offenbar, daß es<lb/>
bald eine Jdeena&#x017F;&#x017F;ociation, und eine Verallgemeinerung<lb/>
be&#x017F;onderer Erfahrungs&#x017F;a&#x0364;tze i&#x017F;t; bald aber natu&#x0364;rliches<lb/>
Denkungsge&#x017F;etz, und in einem gewi&#x017F;&#x017F;en Ver&#x017F;tande im-<lb/>
mer beydes zu&#x017F;ammen, was die Denkkraft in die&#x017F;en<lb/>
Kenntni&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;timmt, und was den Beyfall und die<lb/>
Ueberzeugung nothwendig macht.</p><lb/>
            <p>Hier aufs Einzelne &#x017F;ich einzula&#x017F;&#x017F;en, und bey jedwe-<lb/>
der Art der <hi rendition="#fr">gemeinen Ver&#x017F;tandeskenntni&#x017F;&#x017F;e</hi> zu zei-<lb/>
gen, wie viel davon <hi rendition="#fr">nothwendig durch die Natur<lb/>
des Ver&#x017F;tandes</hi> fu&#x0364;r wahr anerkannt werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, und<lb/>
wie viel von einer | Jdeenverknu&#x0364;pfung abhange? dieß<lb/>
ha&#x0364;tte das eigentliche Ge&#x017F;cha&#x0364;ft der britti&#x017F;chen Philo&#x017F;ophen<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;ollen, die &#x017F;ichs zur Pflicht machten, gegen <hi rendition="#fr">Hume</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">Berkeley</hi> die Grund&#x017F;a&#x0364;tze des gemeinen Ver&#x017F;tandes<lb/>
zu rechtfertigen.</p><lb/>
            <p>Dieß i&#x017F;t er&#x017F;tlich eines der we&#x017F;entlich&#x017F;ten Stu&#x0364;cke, wor-<lb/>
auf es in dem Streit mit dem Skeptikern ankommt.<lb/>
Der Ver&#x017F;tand denket &#x017F;einen Naturge&#x017F;etzen gema&#x0364;ß, und<lb/>
&#x017F;o weit i&#x017F;t &#x017F;ogar der Jrrthum unmo&#x0364;glich; aber er verbin-<lb/>
det auch Jdeen zu&#x017F;ammen in Eine, macht daraus allge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">meine</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[527/0587] der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c. fuͤr ſich aus der Natur deſſelben offenbar, daß die oben unterſchiedene Arten der ſubjektiviſchen Nothwen- digkeit in den Wirkungen deſſelben vorkommen muͤſſen. Und wenn dieß noch nicht genug einleuchtet, ſo braucht es nur der maͤßigſten Aufmerkſamkeit auf die letztere, um jene hier unmittelbar zu beobachten. Die Urtheile uͤber das Daſeyn der wirklichen Welt, uͤber die urſach- lichen Verbindungen der Dinge in der Welt; die Unter- ſcheidung des Gegenwaͤrtigen in der Empfindung von dem Vergangenen durch die Wiedererinnerung, und von dem bevorſtehenden Kuͤnftigen; unſer Glaube an frem- des Zeugniß ſind ſolche Wirkungen und Aeußerungen des Menſchenverſtandes. Betrachtet man die Gruͤnde und die Art des Verfahrens jeder derſelben beſonders, ſo wird es auch bey jedweder beſonders offenbar, daß es bald eine Jdeenaſſociation, und eine Verallgemeinerung beſonderer Erfahrungsſaͤtze iſt; bald aber natuͤrliches Denkungsgeſetz, und in einem gewiſſen Verſtande im- mer beydes zuſammen, was die Denkkraft in dieſen Kenntniſſen beſtimmt, und was den Beyfall und die Ueberzeugung nothwendig macht. Hier aufs Einzelne ſich einzulaſſen, und bey jedwe- der Art der gemeinen Verſtandeskenntniſſe zu zei- gen, wie viel davon nothwendig durch die Natur des Verſtandes fuͤr wahr anerkannt werden muͤſſe, und wie viel von einer | Jdeenverknuͤpfung abhange? dieß haͤtte das eigentliche Geſchaͤft der brittiſchen Philoſophen ſeyn ſollen, die ſichs zur Pflicht machten, gegen Hume und Berkeley die Grundſaͤtze des gemeinen Verſtandes zu rechtfertigen. Dieß iſt erſtlich eines der weſentlichſten Stuͤcke, wor- auf es in dem Streit mit dem Skeptikern ankommt. Der Verſtand denket ſeinen Naturgeſetzen gemaͤß, und ſo weit iſt ſogar der Jrrthum unmoͤglich; aber er verbin- det auch Jdeen zuſammen in Eine, macht daraus allge- meine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/587
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/587>, abgerufen am 16.07.2024.