Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

der allgem. Vernunftwahrheiten, etc.
werden; es kommt nur auf ihr Verhältniß unter ein-
ander an. *)

Die Frage: ob den Objekten außer dem Verstande
so etwas zukomme, als wir ihnen zuschreiben, oder in
ihnen uns vorstellen, ist also diese: "ob diejenigen Ver-
"hältnisse und Beziehungen, die wir in unsern Vorstel-
"lungen gewahrnehmen, den Objekten außer uns zu-
"kommen?" Der Verstand hat die Jdeen vor sich,
vergleicht, verbindet und trennet solche, und findet ihre
Verhältnisse, in so ferne sie Vorstellungen sind, die aus
Jmpressionen von den Objekten entstehen. Nach wel-
chem Gesetz kann man diese Beziehungen der Jdeen, als
Beziehungen der Objekte auf einander ansehen?

Man beruft sich so oft auf den Satz, daß wir die
Gegenstände nur nach den Jmpressionen denken, die
wir von ihnen erhalten, und daß diese nur solche Jm-
pressionen für uns sind, daß es fast scheinen möchte, man
habe es nur mit dem Bildlichen in unserer Erkenntniß,
mit den Zeichen selbst zu thun, wenn man sie für eine
Relation auf unsern Verstand ausgiebet. Wenn das
ist, so wäre der Streit geendiget. Aber es würde so
gleich ein anderer entstehen. Ob die Beziehungen, die
wir in unsern Jdeen gewahrnehmen, nicht blos sub-
jektivische Beziehungen
sind, die wir nur bey Jm-
pressionen oder Vorstellungen solcher Art gewahrnehmen,
als die unsrigen? Jn dieser Frage lieget die Spitze der
Sache.

2.

Die zwote vorläufig abzumachende Sache ist, was
eigentlich die Objektivität unserer Erkenntniß sagen
wolle? Diese oder jene Verhältnisse kommen den Ob-
jekten zu, sind in ihnen außer dem Verstande, und sind

hier
*) Erster Versuch XI.
L l 4

der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
werden; es kommt nur auf ihr Verhaͤltniß unter ein-
ander an. *)

Die Frage: ob den Objekten außer dem Verſtande
ſo etwas zukomme, als wir ihnen zuſchreiben, oder in
ihnen uns vorſtellen, iſt alſo dieſe: „ob diejenigen Ver-
„haͤltniſſe und Beziehungen, die wir in unſern Vorſtel-
„lungen gewahrnehmen, den Objekten außer uns zu-
„kommen?‟ Der Verſtand hat die Jdeen vor ſich,
vergleicht, verbindet und trennet ſolche, und findet ihre
Verhaͤltniſſe, in ſo ferne ſie Vorſtellungen ſind, die aus
Jmpreſſionen von den Objekten entſtehen. Nach wel-
chem Geſetz kann man dieſe Beziehungen der Jdeen, als
Beziehungen der Objekte auf einander anſehen?

Man beruft ſich ſo oft auf den Satz, daß wir die
Gegenſtaͤnde nur nach den Jmpreſſionen denken, die
wir von ihnen erhalten, und daß dieſe nur ſolche Jm-
preſſionen fuͤr uns ſind, daß es faſt ſcheinen moͤchte, man
habe es nur mit dem Bildlichen in unſerer Erkenntniß,
mit den Zeichen ſelbſt zu thun, wenn man ſie fuͤr eine
Relation auf unſern Verſtand ausgiebet. Wenn das
iſt, ſo waͤre der Streit geendiget. Aber es wuͤrde ſo
gleich ein anderer entſtehen. Ob die Beziehungen, die
wir in unſern Jdeen gewahrnehmen, nicht blos ſub-
jektiviſche Beziehungen
ſind, die wir nur bey Jm-
preſſionen oder Vorſtellungen ſolcher Art gewahrnehmen,
als die unſrigen? Jn dieſer Frage lieget die Spitze der
Sache.

2.

Die zwote vorlaͤufig abzumachende Sache iſt, was
eigentlich die Objektivitaͤt unſerer Erkenntniß ſagen
wolle? Dieſe oder jene Verhaͤltniſſe kommen den Ob-
jekten zu, ſind in ihnen außer dem Verſtande, und ſind

hier
*) Erſter Verſuch XI.
L l 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0595" n="535"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der allgem. Vernunftwahrheiten, &#x204A;c.</hi></fw><lb/>
werden; es kommt nur auf ihr Verha&#x0364;ltniß unter ein-<lb/>
ander an. <note place="foot" n="*)">Er&#x017F;ter Ver&#x017F;uch <hi rendition="#aq">XI.</hi></note></p><lb/>
            <p>Die Frage: ob den Objekten außer dem Ver&#x017F;tande<lb/>
&#x017F;o etwas zukomme, als wir ihnen zu&#x017F;chreiben, oder in<lb/>
ihnen uns vor&#x017F;tellen, i&#x017F;t al&#x017F;o die&#x017F;e: &#x201E;ob diejenigen Ver-<lb/>
&#x201E;ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e und Beziehungen, die wir in un&#x017F;ern Vor&#x017F;tel-<lb/>
&#x201E;lungen gewahrnehmen, den Objekten außer uns zu-<lb/>
&#x201E;kommen?&#x201F; Der Ver&#x017F;tand hat die Jdeen vor &#x017F;ich,<lb/>
vergleicht, verbindet und trennet &#x017F;olche, und findet ihre<lb/>
Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, in &#x017F;o ferne &#x017F;ie Vor&#x017F;tellungen &#x017F;ind, die aus<lb/>
Jmpre&#x017F;&#x017F;ionen von den Objekten ent&#x017F;tehen. Nach wel-<lb/>
chem Ge&#x017F;etz kann man die&#x017F;e Beziehungen der Jdeen, als<lb/>
Beziehungen der Objekte auf einander an&#x017F;ehen?</p><lb/>
            <p>Man beruft &#x017F;ich &#x017F;o oft auf den Satz, daß wir die<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde nur nach den Jmpre&#x017F;&#x017F;ionen denken, die<lb/>
wir von ihnen erhalten, und daß die&#x017F;e nur &#x017F;olche Jm-<lb/>
pre&#x017F;&#x017F;ionen fu&#x0364;r uns &#x017F;ind, daß es fa&#x017F;t &#x017F;cheinen mo&#x0364;chte, man<lb/>
habe es nur mit dem <hi rendition="#fr">Bildlichen</hi> in un&#x017F;erer Erkenntniß,<lb/>
mit den Zeichen &#x017F;elb&#x017F;t zu thun, wenn man &#x017F;ie fu&#x0364;r eine<lb/>
Relation auf un&#x017F;ern Ver&#x017F;tand ausgiebet. Wenn das<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;o wa&#x0364;re der Streit geendiget. Aber es wu&#x0364;rde &#x017F;o<lb/>
gleich ein anderer ent&#x017F;tehen. Ob die Beziehungen, die<lb/>
wir in un&#x017F;ern Jdeen gewahrnehmen, nicht blos <hi rendition="#fr">&#x017F;ub-<lb/>
jektivi&#x017F;che Beziehungen</hi> &#x017F;ind, die wir nur bey Jm-<lb/>
pre&#x017F;&#x017F;ionen oder Vor&#x017F;tellungen &#x017F;olcher Art gewahrnehmen,<lb/>
als die un&#x017F;rigen? Jn die&#x017F;er Frage lieget die Spitze der<lb/>
Sache.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>2.</head><lb/>
            <p>Die zwote vorla&#x0364;ufig abzumachende Sache i&#x017F;t, was<lb/>
eigentlich die <hi rendition="#fr">Objektivita&#x0364;t</hi> un&#x017F;erer Erkenntniß &#x017F;agen<lb/>
wolle? Die&#x017F;e oder jene Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e kommen den Ob-<lb/>
jekten zu, &#x017F;ind in ihnen außer dem Ver&#x017F;tande, und &#x017F;ind<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L l 4</fw><fw place="bottom" type="catch">hier</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[535/0595] der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c. werden; es kommt nur auf ihr Verhaͤltniß unter ein- ander an. *) Die Frage: ob den Objekten außer dem Verſtande ſo etwas zukomme, als wir ihnen zuſchreiben, oder in ihnen uns vorſtellen, iſt alſo dieſe: „ob diejenigen Ver- „haͤltniſſe und Beziehungen, die wir in unſern Vorſtel- „lungen gewahrnehmen, den Objekten außer uns zu- „kommen?‟ Der Verſtand hat die Jdeen vor ſich, vergleicht, verbindet und trennet ſolche, und findet ihre Verhaͤltniſſe, in ſo ferne ſie Vorſtellungen ſind, die aus Jmpreſſionen von den Objekten entſtehen. Nach wel- chem Geſetz kann man dieſe Beziehungen der Jdeen, als Beziehungen der Objekte auf einander anſehen? Man beruft ſich ſo oft auf den Satz, daß wir die Gegenſtaͤnde nur nach den Jmpreſſionen denken, die wir von ihnen erhalten, und daß dieſe nur ſolche Jm- preſſionen fuͤr uns ſind, daß es faſt ſcheinen moͤchte, man habe es nur mit dem Bildlichen in unſerer Erkenntniß, mit den Zeichen ſelbſt zu thun, wenn man ſie fuͤr eine Relation auf unſern Verſtand ausgiebet. Wenn das iſt, ſo waͤre der Streit geendiget. Aber es wuͤrde ſo gleich ein anderer entſtehen. Ob die Beziehungen, die wir in unſern Jdeen gewahrnehmen, nicht blos ſub- jektiviſche Beziehungen ſind, die wir nur bey Jm- preſſionen oder Vorſtellungen ſolcher Art gewahrnehmen, als die unſrigen? Jn dieſer Frage lieget die Spitze der Sache. 2. Die zwote vorlaͤufig abzumachende Sache iſt, was eigentlich die Objektivitaͤt unſerer Erkenntniß ſagen wolle? Dieſe oder jene Verhaͤltniſſe kommen den Ob- jekten zu, ſind in ihnen außer dem Verſtande, und ſind hier *) Erſter Verſuch XI. L l 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/595
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/595>, abgerufen am 22.12.2024.