nach auf ein allgemeines Princip, auf eine Quelle alles Denkens und alles Wollens gekommen.
Diese Grundthätigkeit glaubten Helvetius, Con- dillac, Bonnet, auch zum Theil Search, in dem Empfinden angetroffen zu haben. Unser Leibnitz und Wolf, -- eine gerechte Nachwelt wird ihnen ihre Stelle unter den Philosophen und Geisteskundigen vom ersten Rang niemals entziehen, -- behaupteten: die er- ste Grundthätigkeit sey eben diejenige, womit die Seele ihre Vorstellungen machet. Die Begierde der Philoso- phen, alle Beschaffenheiten eines Dinges auf ein gemein- schaftliches Princip, die verschiedenen Veränderungen und Wirkungen auf Eine und dieselbige Ursache, meh- rere Aeußerungen einer Kraft auf Eine Grundthätigkeit, und mehrere Vermögen auf Ein Grundvermögen zurück- zuführen; ist dem Nachdenkenden natürlich. Der Ge- danke, daß man durch alle verschiedene und mannigfaltige Seiten, an welchen sich das thätige Wesen auswärts sehen läßt, bis zu seiner ersten einfachen und einartigen Kraft durchgedrungen sey, oder bis dahin durchdringen könne, ist sehr schmeichelhaft. Wir sind dem Jnnern der Natur, wo sie so einförmig und beständig, als unend- lich mannigfaltig und abwechselnd in ihren äußern Ge- stalten ist, näher gekommen, und in der That ist es ein großer Gewinn für unsere Kenntniße, wenn ein solcher Zusammenhang der entfernten Folgen mit ihrem ersten Grunde irgendwo entdecket wird. Diesen Hang zum einförmigen System vergebe ich den Philosophen so ger- ne, als ich will, daß man es mir vergeben soll, wenn ich selbst etwa in der Folge von ihm verleitet und da- durch irgendwo über die Evidenz der Erfahrungen und Schlüsse hinausgegangen bin. Nur Schade, daß man so oft nur eine Wolke anstatt der Juno erhaschet. Die Natur ist ohne Zweifel in ihrem Jnnern einfach: aber auch nur in ihrem Jnnern, in ihrem Mittelpunkt;
sie
I. Verſuch. Ueber die Natur
nach auf ein allgemeines Princip, auf eine Quelle alles Denkens und alles Wollens gekommen.
Dieſe Grundthaͤtigkeit glaubten Helvetius, Con- dillac, Bonnet, auch zum Theil Search, in dem Empfinden angetroffen zu haben. Unſer Leibnitz und Wolf, — eine gerechte Nachwelt wird ihnen ihre Stelle unter den Philoſophen und Geiſteskundigen vom erſten Rang niemals entziehen, — behaupteten: die er- ſte Grundthaͤtigkeit ſey eben diejenige, womit die Seele ihre Vorſtellungen machet. Die Begierde der Philoſo- phen, alle Beſchaffenheiten eines Dinges auf ein gemein- ſchaftliches Princip, die verſchiedenen Veraͤnderungen und Wirkungen auf Eine und dieſelbige Urſache, meh- rere Aeußerungen einer Kraft auf Eine Grundthaͤtigkeit, und mehrere Vermoͤgen auf Ein Grundvermoͤgen zuruͤck- zufuͤhren; iſt dem Nachdenkenden natuͤrlich. Der Ge- danke, daß man durch alle verſchiedene und mannigfaltige Seiten, an welchen ſich das thaͤtige Weſen auswaͤrts ſehen laͤßt, bis zu ſeiner erſten einfachen und einartigen Kraft durchgedrungen ſey, oder bis dahin durchdringen koͤnne, iſt ſehr ſchmeichelhaft. Wir ſind dem Jnnern der Natur, wo ſie ſo einfoͤrmig und beſtaͤndig, als unend- lich mannigfaltig und abwechſelnd in ihren aͤußern Ge- ſtalten iſt, naͤher gekommen, und in der That iſt es ein großer Gewinn fuͤr unſere Kenntniße, wenn ein ſolcher Zuſammenhang der entfernten Folgen mit ihrem erſten Grunde irgendwo entdecket wird. Dieſen Hang zum einfoͤrmigen Syſtem vergebe ich den Philoſophen ſo ger- ne, als ich will, daß man es mir vergeben ſoll, wenn ich ſelbſt etwa in der Folge von ihm verleitet und da- durch irgendwo uͤber die Evidenz der Erfahrungen und Schluͤſſe hinausgegangen bin. Nur Schade, daß man ſo oft nur eine Wolke anſtatt der Juno erhaſchet. Die Natur iſt ohne Zweifel in ihrem Jnnern einfach: aber auch nur in ihrem Jnnern, in ihrem Mittelpunkt;
ſie
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I. Verſuch. Ueber die Natur
nach auf ein allgemeines Princip, auf eine Quelle alles
Denkens und alles Wollens gekommen.
Dieſe Grundthaͤtigkeit glaubten Helvetius, Con-
dillac, Bonnet, auch zum Theil Search, in dem
Empfinden angetroffen zu haben. Unſer Leibnitz
und Wolf, — eine gerechte Nachwelt wird ihnen ihre
Stelle unter den Philoſophen und Geiſteskundigen vom
erſten Rang niemals entziehen, — behaupteten: die er-
ſte Grundthaͤtigkeit ſey eben diejenige, womit die Seele
ihre Vorſtellungen machet. Die Begierde der Philoſo-
phen, alle Beſchaffenheiten eines Dinges auf ein gemein-
ſchaftliches Princip, die verſchiedenen Veraͤnderungen
und Wirkungen auf Eine und dieſelbige Urſache, meh-
rere Aeußerungen einer Kraft auf Eine Grundthaͤtigkeit,
und mehrere Vermoͤgen auf Ein Grundvermoͤgen zuruͤck-
zufuͤhren; iſt dem Nachdenkenden natuͤrlich. Der Ge-
danke, daß man durch alle verſchiedene und mannigfaltige
Seiten, an welchen ſich das thaͤtige Weſen auswaͤrts
ſehen laͤßt, bis zu ſeiner erſten einfachen und einartigen
Kraft durchgedrungen ſey, oder bis dahin durchdringen
koͤnne, iſt ſehr ſchmeichelhaft. Wir ſind dem Jnnern
der Natur, wo ſie ſo einfoͤrmig und beſtaͤndig, als unend-
lich mannigfaltig und abwechſelnd in ihren aͤußern Ge-
ſtalten iſt, naͤher gekommen, und in der That iſt es ein
großer Gewinn fuͤr unſere Kenntniße, wenn ein ſolcher
Zuſammenhang der entfernten Folgen mit ihrem erſten
Grunde irgendwo entdecket wird. Dieſen Hang zum
einfoͤrmigen Syſtem vergebe ich den Philoſophen ſo ger-
ne, als ich will, daß man es mir vergeben ſoll, wenn
ich ſelbſt etwa in der Folge von ihm verleitet und da-
durch irgendwo uͤber die Evidenz der Erfahrungen und
Schluͤſſe hinausgegangen bin. Nur Schade, daß man
ſo oft nur eine Wolke anſtatt der Juno erhaſchet. Die
Natur iſt ohne Zweifel in ihrem Jnnern einfach: aber
auch nur in ihrem Jnnern, in ihrem Mittelpunkt;
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/64>, abgerufen am 22.12.2024.
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