fenheiten, die in der gemeinen Sprache von den Ge- müthsbewegungen unterschieden, und Vorstellungen, Jdeen und dergleichen genennet werden?
Wolf*) hatte indessen doch einen Unterschied zwi- schen mittelbaren und unmittelbaren Perceptionen gemacht. Diese letztern beziehen sich auf ihre Objekte, auf eine solche Art, daß sie unmittelbar, ohne Zwischen- schlüsse zu erfodern, auf andere Sachen hinweisen und selbige uns vorhalten, wie ein Portrait das Gesicht des Menschen. Wir sehen einen Baum, und es entstehet ein sichtliches Bild von einem Gegenstande, an dem Gestalt, Farbe, Größe, Theile und ihre Lage gegen einander, unmit- telbar aus diesem Bilde erkannt werden. Bis dahin ist die Vorstellung eine unmittelbare Perception. Aber dieses Bild ist eine Wirkung von den Lichtstralen, die in einer gewissen Menge, auf eine gewisse Art, in einer gewissen Lage und Ordnung, auf unsere Augen fallen, und davon, daß dieß geschieht, liegt die Ursache wiederum in der Größe, Lage, und Festigkeit des Körpers und seiner Be- standtheile, welche das Licht auf eine solche bestimmte Weise zurückwerfen. Alle übrige Eigenschaften des Baums, die man nicht siehet, haben auf die letztge- dachte Wirkung desselben bey dem Licht, und auf den davon verursachten Eindruck durchs Gewicht, eine solche Beziehung, daß jedwede von ihnen etwas dazu beygetra- gen, und das Bild nothwendig in irgend einer Hinsicht modificirt hat. Aber diese unsichbaren Beschaffenhei- ten des Objekts müßten durch Raisonnements aus den Zügen des Bildes geschlossen werden, wenn sie daraus erkannt werden sollten. Sie gehören zu den unmittelbar vorgestellten nicht; sondern sind nur eingewickelt in dem Bilde enthalten.
Durch diese Unterscheidung machte Wolf es be- greiflich, wie in einer einzigen individuellen Perception
der
*)Psycholog. Rat. §. 195.
I. Verſuch. Ueber die Natur
fenheiten, die in der gemeinen Sprache von den Ge- muͤthsbewegungen unterſchieden, und Vorſtellungen, Jdeen und dergleichen genennet werden?
Wolf*) hatte indeſſen doch einen Unterſchied zwi- ſchen mittelbaren und unmittelbaren Perceptionen gemacht. Dieſe letztern beziehen ſich auf ihre Objekte, auf eine ſolche Art, daß ſie unmittelbar, ohne Zwiſchen- ſchluͤſſe zu erfodern, auf andere Sachen hinweiſen und ſelbige uns vorhalten, wie ein Portrait das Geſicht des Menſchen. Wir ſehen einen Baum, und es entſtehet ein ſichtliches Bild von einem Gegenſtande, an dem Geſtalt, Farbe, Groͤße, Theile und ihre Lage gegen einander, unmit- telbar aus dieſem Bilde erkannt werden. Bis dahin iſt die Vorſtellung eine unmittelbare Perception. Aber dieſes Bild iſt eine Wirkung von den Lichtſtralen, die in einer gewiſſen Menge, auf eine gewiſſe Art, in einer gewiſſen Lage und Ordnung, auf unſere Augen fallen, und davon, daß dieß geſchieht, liegt die Urſache wiederum in der Groͤße, Lage, und Feſtigkeit des Koͤrpers und ſeiner Be- ſtandtheile, welche das Licht auf eine ſolche beſtimmte Weiſe zuruͤckwerfen. Alle uͤbrige Eigenſchaften des Baums, die man nicht ſiehet, haben auf die letztge- dachte Wirkung deſſelben bey dem Licht, und auf den davon verurſachten Eindruck durchs Gewicht, eine ſolche Beziehung, daß jedwede von ihnen etwas dazu beygetra- gen, und das Bild nothwendig in irgend einer Hinſicht modificirt hat. Aber dieſe unſichbaren Beſchaffenhei- ten des Objekts muͤßten durch Raiſonnements aus den Zuͤgen des Bildes geſchloſſen werden, wenn ſie daraus erkannt werden ſollten. Sie gehoͤren zu den unmittelbar vorgeſtellten nicht; ſondern ſind nur eingewickelt in dem Bilde enthalten.
Durch dieſe Unterſcheidung machte Wolf es be- greiflich, wie in einer einzigen individuellen Perception
der
*)Pſycholog. Rat. §. 195.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0070"n="10"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Verſuch. Ueber die Natur</hi></fw><lb/>
fenheiten, die in der gemeinen Sprache von den Ge-<lb/>
muͤthsbewegungen unterſchieden, und <hirendition="#fr">Vorſtellungen,</hi><lb/>
Jdeen und dergleichen genennet werden?</p><lb/><p><hirendition="#fr">Wolf</hi><noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#aq">Pſycholog. Rat.</hi> §. 195.</note> hatte indeſſen doch einen Unterſchied zwi-<lb/>ſchen <hirendition="#fr">mittelbaren</hi> und <hirendition="#fr">unmittelbaren</hi> Perceptionen<lb/>
gemacht. Dieſe letztern beziehen ſich auf ihre Objekte, auf<lb/>
eine ſolche Art, daß ſie <hirendition="#fr">unmittelbar,</hi> ohne Zwiſchen-<lb/>ſchluͤſſe zu erfodern, auf andere Sachen hinweiſen und<lb/>ſelbige uns vorhalten, wie ein Portrait das Geſicht des<lb/>
Menſchen. Wir ſehen einen Baum, und es entſtehet ein<lb/>ſichtliches Bild von einem Gegenſtande, an dem Geſtalt,<lb/>
Farbe, Groͤße, Theile und ihre Lage gegen einander, unmit-<lb/>
telbar aus dieſem Bilde erkannt werden. Bis dahin iſt die<lb/>
Vorſtellung eine unmittelbare Perception. Aber dieſes<lb/>
Bild iſt eine Wirkung von den Lichtſtralen, die in einer<lb/>
gewiſſen Menge, auf eine gewiſſe Art, in einer gewiſſen<lb/>
Lage und Ordnung, auf unſere Augen fallen, und davon,<lb/>
daß dieß geſchieht, liegt die Urſache wiederum in der<lb/>
Groͤße, Lage, und Feſtigkeit des Koͤrpers und ſeiner Be-<lb/>ſtandtheile, welche das Licht auf eine ſolche beſtimmte<lb/>
Weiſe zuruͤckwerfen. Alle uͤbrige Eigenſchaften des<lb/>
Baums, die man nicht ſiehet, haben auf die letztge-<lb/>
dachte Wirkung deſſelben bey dem Licht, und auf den<lb/>
davon verurſachten Eindruck durchs Gewicht, eine ſolche<lb/>
Beziehung, daß jedwede von ihnen etwas dazu beygetra-<lb/>
gen, und das Bild nothwendig in irgend einer Hinſicht<lb/>
modificirt hat. Aber dieſe unſichbaren Beſchaffenhei-<lb/>
ten des Objekts muͤßten durch Raiſonnements aus den<lb/>
Zuͤgen des Bildes geſchloſſen werden, wenn ſie daraus<lb/>
erkannt werden ſollten. Sie gehoͤren zu den unmittelbar<lb/>
vorgeſtellten nicht; ſondern ſind nur <hirendition="#fr">eingewickelt in</hi><lb/>
dem Bilde enthalten.</p><lb/><p>Durch dieſe Unterſcheidung machte <hirendition="#fr">Wolf</hi> es be-<lb/>
greiflich, wie in einer einzigen individuellen Perception<lb/><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[10/0070]
I. Verſuch. Ueber die Natur
fenheiten, die in der gemeinen Sprache von den Ge-
muͤthsbewegungen unterſchieden, und Vorſtellungen,
Jdeen und dergleichen genennet werden?
Wolf *) hatte indeſſen doch einen Unterſchied zwi-
ſchen mittelbaren und unmittelbaren Perceptionen
gemacht. Dieſe letztern beziehen ſich auf ihre Objekte, auf
eine ſolche Art, daß ſie unmittelbar, ohne Zwiſchen-
ſchluͤſſe zu erfodern, auf andere Sachen hinweiſen und
ſelbige uns vorhalten, wie ein Portrait das Geſicht des
Menſchen. Wir ſehen einen Baum, und es entſtehet ein
ſichtliches Bild von einem Gegenſtande, an dem Geſtalt,
Farbe, Groͤße, Theile und ihre Lage gegen einander, unmit-
telbar aus dieſem Bilde erkannt werden. Bis dahin iſt die
Vorſtellung eine unmittelbare Perception. Aber dieſes
Bild iſt eine Wirkung von den Lichtſtralen, die in einer
gewiſſen Menge, auf eine gewiſſe Art, in einer gewiſſen
Lage und Ordnung, auf unſere Augen fallen, und davon,
daß dieß geſchieht, liegt die Urſache wiederum in der
Groͤße, Lage, und Feſtigkeit des Koͤrpers und ſeiner Be-
ſtandtheile, welche das Licht auf eine ſolche beſtimmte
Weiſe zuruͤckwerfen. Alle uͤbrige Eigenſchaften des
Baums, die man nicht ſiehet, haben auf die letztge-
dachte Wirkung deſſelben bey dem Licht, und auf den
davon verurſachten Eindruck durchs Gewicht, eine ſolche
Beziehung, daß jedwede von ihnen etwas dazu beygetra-
gen, und das Bild nothwendig in irgend einer Hinſicht
modificirt hat. Aber dieſe unſichbaren Beſchaffenhei-
ten des Objekts muͤßten durch Raiſonnements aus den
Zuͤgen des Bildes geſchloſſen werden, wenn ſie daraus
erkannt werden ſollten. Sie gehoͤren zu den unmittelbar
vorgeſtellten nicht; ſondern ſind nur eingewickelt in
dem Bilde enthalten.
Durch dieſe Unterſcheidung machte Wolf es be-
greiflich, wie in einer einzigen individuellen Perception
der
*) Pſycholog. Rat. §. 195.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/70>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.