Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.X. Versuch. Ueber die Beziehung Handlung, und zwar auf dieselbige Art vorgenommenwird. Nun fühlet der Zuschauer auch bey sich eine Ge- schmeidigkeit in der Hand; er fühlt es, daß er solche mit leichter Mühe in mannigfaltige Stellungen bringen kann, oder weis dieß schon aus vorhergehenden Erfahrungen. Was geschicht also? er wendet dieß Vermögen an, be- stimmet sich zur Thätigkeit, leget die Hand und den Pin- sel so, wie er es gesehen hat, und ziehet sie fort auf die nämliche Weise. Diese erste Thätigkeit war nicht wei- ter bestimmt, als durch den allgemeinen Vorsatz, er wollte malen, und durch die Jdee von dem Jdeal, welches er darstellen wollte. Gesetzt, die Hand falle bey dem ersten Ansatz nicht so, als er bey dem Meister es gesehen hat, so ändert er es, und bringet sie in eine andere Lage, bis er die nämliche erreichet, die er an seinem Vorgän- ger bemerket hat. Hier wird also eine Gesichtsidee mit einer andern verglichen; er siehet seine Hand, wie er die fremde gesehen hat. Auf die nämliche Weise verfährt er mit dem Pinsel bey allen nachfolgenden Zügen. Ob sie so sind, wie sie seyn sollen, das lehret ihn sein Gesicht und die Vergleichung mit der Gesichtsidee, welche sein Muster ist. Bey jeder Abweichung der äußerlich sicht- baren Seite seiner eigenen Aktion von der sichtlichen Aus- senseite seines Vorbildes giebt er seiner Kraft eine an- dere Richtung nach der entgegengesetzten Seite, wie der Aequilibrist, der seinen Körper im Gleichgewicht hält, nichts anders thut, als daß er unaufhörlich dem Herun- terfallen bald nach einer, bald nach der andern Seite, durch entgegenstehende kleinere Bewegungen vorbeuget. Das Nachmachen ist also eine Anwendung einer ähn- lichen Kraft, wenn diese nach der Absicht geleitet wird, daß die äußerliche empfindbare Seite der Aktion der Au- ßenseite einer andern ähnlich wird. So weit gehet das Nachmachen. Ein anders ist es, wenn jemad das- selbige thut, was ein anderer thut. Dieß letztere ist kein
X. Verſuch. Ueber die Beziehung Handlung, und zwar auf dieſelbige Art vorgenommenwird. Nun fuͤhlet der Zuſchauer auch bey ſich eine Ge- ſchmeidigkeit in der Hand; er fuͤhlt es, daß er ſolche mit leichter Muͤhe in mannigfaltige Stellungen bringen kann, oder weis dieß ſchon aus vorhergehenden Erfahrungen. Was geſchicht alſo? er wendet dieß Vermoͤgen an, be- ſtimmet ſich zur Thaͤtigkeit, leget die Hand und den Pin- ſel ſo, wie er es geſehen hat, und ziehet ſie fort auf die naͤmliche Weiſe. Dieſe erſte Thaͤtigkeit war nicht wei- ter beſtimmt, als durch den allgemeinen Vorſatz, er wollte malen, und durch die Jdee von dem Jdeal, welches er darſtellen wollte. Geſetzt, die Hand falle bey dem erſten Anſatz nicht ſo, als er bey dem Meiſter es geſehen hat, ſo aͤndert er es, und bringet ſie in eine andere Lage, bis er die naͤmliche erreichet, die er an ſeinem Vorgaͤn- ger bemerket hat. Hier wird alſo eine Geſichtsidee mit einer andern verglichen; er ſiehet ſeine Hand, wie er die fremde geſehen hat. Auf die naͤmliche Weiſe verfaͤhrt er mit dem Pinſel bey allen nachfolgenden Zuͤgen. Ob ſie ſo ſind, wie ſie ſeyn ſollen, das lehret ihn ſein Geſicht und die Vergleichung mit der Geſichtsidee, welche ſein Muſter iſt. Bey jeder Abweichung der aͤußerlich ſicht- baren Seite ſeiner eigenen Aktion von der ſichtlichen Auſ- ſenſeite ſeines Vorbildes giebt er ſeiner Kraft eine an- dere Richtung nach der entgegengeſetzten Seite, wie der Aequilibriſt, der ſeinen Koͤrper im Gleichgewicht haͤlt, nichts anders thut, als daß er unaufhoͤrlich dem Herun- terfallen bald nach einer, bald nach der andern Seite, durch entgegenſtehende kleinere Bewegungen vorbeuget. Das Nachmachen iſt alſo eine Anwendung einer aͤhn- lichen Kraft, wenn dieſe nach der Abſicht geleitet wird, daß die aͤußerliche empfindbare Seite der Aktion der Au- ßenſeite einer andern aͤhnlich wird. So weit gehet das Nachmachen. Ein anders iſt es, wenn jemad daſ- ſelbige thut, was ein anderer thut. Dieß letztere iſt kein
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Handlung, und zwar auf dieſelbige Art vorgenommen
wird. Nun fuͤhlet der Zuſchauer auch bey ſich eine Ge-
ſchmeidigkeit in der Hand; er fuͤhlt es, daß er ſolche mit
leichter Muͤhe in mannigfaltige Stellungen bringen kann,
oder weis dieß ſchon aus vorhergehenden Erfahrungen.
Was geſchicht alſo? er wendet dieß Vermoͤgen an, be-
ſtimmet ſich zur Thaͤtigkeit, leget die Hand und den Pin-
ſel ſo, wie er es geſehen hat, und ziehet ſie fort auf die
naͤmliche Weiſe. Dieſe erſte Thaͤtigkeit war nicht wei-
ter beſtimmt, als durch den allgemeinen Vorſatz, er
wollte malen, und durch die Jdee von dem Jdeal, welches
er darſtellen wollte. Geſetzt, die Hand falle bey dem
erſten Anſatz nicht ſo, als er bey dem Meiſter es geſehen
hat, ſo aͤndert er es, und bringet ſie in eine andere Lage,
bis er die naͤmliche erreichet, die er an ſeinem Vorgaͤn-
ger bemerket hat. Hier wird alſo eine Geſichtsidee mit
einer andern verglichen; er ſiehet ſeine Hand, wie er die
fremde geſehen hat. Auf die naͤmliche Weiſe verfaͤhrt
er mit dem Pinſel bey allen nachfolgenden Zuͤgen. Ob
ſie ſo ſind, wie ſie ſeyn ſollen, das lehret ihn ſein Geſicht
und die Vergleichung mit der Geſichtsidee, welche ſein
Muſter iſt. Bey jeder Abweichung der aͤußerlich ſicht-
baren Seite ſeiner eigenen Aktion von der ſichtlichen Auſ-
ſenſeite ſeines Vorbildes giebt er ſeiner Kraft eine an-
dere Richtung nach der entgegengeſetzten Seite, wie der
Aequilibriſt, der ſeinen Koͤrper im Gleichgewicht haͤlt,
nichts anders thut, als daß er unaufhoͤrlich dem Herun-
terfallen bald nach einer, bald nach der andern Seite,
durch entgegenſtehende kleinere Bewegungen vorbeuget.
Das Nachmachen iſt alſo eine Anwendung einer aͤhn-
lichen Kraft, wenn dieſe nach der Abſicht geleitet wird,
daß die aͤußerliche empfindbare Seite der Aktion der Au-
ßenſeite einer andern aͤhnlich wird. So weit gehet das
Nachmachen. Ein anders iſt es, wenn jemad daſ-
ſelbige thut, was ein anderer thut. Dieß letztere iſt
kein
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