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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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schweren, noch von dem etwas auszulassen, was zur völ-
ligen Einsicht der Sache erfordert wird.

1) Die Seele ist wirksam und thätig. Sie lei-
det
auch, und man kann hier ohne Bedenken hinzusezen,
sie leidet von andern Dingen außer ihr. Sie leidet,
indem sie Eindrücke und Veränderungen in sich aufnimmt,
die von fremden Ursachen in ihr entstehen. Sie wir-
ket auf sich
selbst, es gehe damit zu, auf welche Wei-
se es wolle. Sie ist es alsdenn, wenn sie sich in Selbst-
bestimmungen
äußert, wenn sie nehmlich ihre eigene
Kraft zur Anwendung und Thätigkeit mehr anstrenget,
oder wenn sie sie nachlässet, und abspannet. Sie ist
thätig, wenn sie durch ihre Kraft-Aeußerung in ihrem
innern Zustande Veränderungen hervorbringet. Sie
wirkt außer sich heraus auf den Körper; sie äußert
Triebe und Bestrebungen, diesen oder jenen Theil dessel-
ben auf gewisse Weisen in Bewegung zu setzen, und durch
ihn andere äußere Gegenstände zu verändern. Ueberdieß
sind in ihr gewisse Zustände der Lust oder Unlust vorhan-
den, die man Gemüths-Zustände, auch Empfind-
nisse
nennet. Und dieses ihr Thun und ihr Leiden, ih-
re Veränderungen und ihre Zustände, werden von ihr
selbst gefühlet und empfunden, und einige von ihnen
mit Bewußtseyn gewahrgenommen.

2) Diese verschiedene Arten von Veränderungen,
die Eindrücke von außen, auch ihre eigene innere Be-
schaffenheiten, ihre Zustände, Thätigkeiten, hinterlassen
in ihr gewisse bleibende Wirkungen, Folgen oder
Spuren. Und diese Wirkungen oder Spuren sind un-
ter sich einander ähnlich oder unähnlich, einerley oder ver-
schieden, so wie es ihre Ursachen, nehmlich jene vorher-
gegangene Modifikationen und Zustände gewesen sind,
von welchen sie zurückgelassen worden sind.

Aus diesen Verhältnissen und Bezeichungen der hin-
terbliebenen Spuren, gegeneinander, und auf die vor-

herge-

der Vorſtellungen.
ſchweren, noch von dem etwas auszulaſſen, was zur voͤl-
ligen Einſicht der Sache erfordert wird.

1) Die Seele iſt wirkſam und thaͤtig. Sie lei-
det
auch, und man kann hier ohne Bedenken hinzuſezen,
ſie leidet von andern Dingen außer ihr. Sie leidet,
indem ſie Eindruͤcke und Veraͤnderungen in ſich aufnimmt,
die von fremden Urſachen in ihr entſtehen. Sie wir-
ket auf ſich
ſelbſt, es gehe damit zu, auf welche Wei-
ſe es wolle. Sie iſt es alsdenn, wenn ſie ſich in Selbſt-
beſtimmungen
aͤußert, wenn ſie nehmlich ihre eigene
Kraft zur Anwendung und Thaͤtigkeit mehr anſtrenget,
oder wenn ſie ſie nachlaͤſſet, und abſpannet. Sie iſt
thaͤtig, wenn ſie durch ihre Kraft-Aeußerung in ihrem
innern Zuſtande Veraͤnderungen hervorbringet. Sie
wirkt außer ſich heraus auf den Koͤrper; ſie aͤußert
Triebe und Beſtrebungen, dieſen oder jenen Theil deſſel-
ben auf gewiſſe Weiſen in Bewegung zu ſetzen, und durch
ihn andere aͤußere Gegenſtaͤnde zu veraͤndern. Ueberdieß
ſind in ihr gewiſſe Zuſtaͤnde der Luſt oder Unluſt vorhan-
den, die man Gemuͤths-Zuſtaͤnde, auch Empfind-
niſſe
nennet. Und dieſes ihr Thun und ihr Leiden, ih-
re Veraͤnderungen und ihre Zuſtaͤnde, werden von ihr
ſelbſt gefuͤhlet und empfunden, und einige von ihnen
mit Bewußtſeyn gewahrgenommen.

2) Dieſe verſchiedene Arten von Veraͤnderungen,
die Eindruͤcke von außen, auch ihre eigene innere Be-
ſchaffenheiten, ihre Zuſtaͤnde, Thaͤtigkeiten, hinterlaſſen
in ihr gewiſſe bleibende Wirkungen, Folgen oder
Spuren. Und dieſe Wirkungen oder Spuren ſind un-
ter ſich einander aͤhnlich oder unaͤhnlich, einerley oder ver-
ſchieden, ſo wie es ihre Urſachen, nehmlich jene vorher-
gegangene Modifikationen und Zuſtaͤnde geweſen ſind,
von welchen ſie zuruͤckgelaſſen worden ſind.

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terbliebenen Spuren, gegeneinander, und auf die vor-

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[13/0073] der Vorſtellungen. ſchweren, noch von dem etwas auszulaſſen, was zur voͤl- ligen Einſicht der Sache erfordert wird. 1) Die Seele iſt wirkſam und thaͤtig. Sie lei- det auch, und man kann hier ohne Bedenken hinzuſezen, ſie leidet von andern Dingen außer ihr. Sie leidet, indem ſie Eindruͤcke und Veraͤnderungen in ſich aufnimmt, die von fremden Urſachen in ihr entſtehen. Sie wir- ket auf ſich ſelbſt, es gehe damit zu, auf welche Wei- ſe es wolle. Sie iſt es alsdenn, wenn ſie ſich in Selbſt- beſtimmungen aͤußert, wenn ſie nehmlich ihre eigene Kraft zur Anwendung und Thaͤtigkeit mehr anſtrenget, oder wenn ſie ſie nachlaͤſſet, und abſpannet. Sie iſt thaͤtig, wenn ſie durch ihre Kraft-Aeußerung in ihrem innern Zuſtande Veraͤnderungen hervorbringet. Sie wirkt außer ſich heraus auf den Koͤrper; ſie aͤußert Triebe und Beſtrebungen, dieſen oder jenen Theil deſſel- ben auf gewiſſe Weiſen in Bewegung zu ſetzen, und durch ihn andere aͤußere Gegenſtaͤnde zu veraͤndern. Ueberdieß ſind in ihr gewiſſe Zuſtaͤnde der Luſt oder Unluſt vorhan- den, die man Gemuͤths-Zuſtaͤnde, auch Empfind- niſſe nennet. Und dieſes ihr Thun und ihr Leiden, ih- re Veraͤnderungen und ihre Zuſtaͤnde, werden von ihr ſelbſt gefuͤhlet und empfunden, und einige von ihnen mit Bewußtſeyn gewahrgenommen. 2) Dieſe verſchiedene Arten von Veraͤnderungen, die Eindruͤcke von außen, auch ihre eigene innere Be- ſchaffenheiten, ihre Zuſtaͤnde, Thaͤtigkeiten, hinterlaſſen in ihr gewiſſe bleibende Wirkungen, Folgen oder Spuren. Und dieſe Wirkungen oder Spuren ſind un- ter ſich einander aͤhnlich oder unaͤhnlich, einerley oder ver- ſchieden, ſo wie es ihre Urſachen, nehmlich jene vorher- gegangene Modifikationen und Zuſtaͤnde geweſen ſind, von welchen ſie zuruͤckgelaſſen worden ſind. Aus dieſen Verhaͤltniſſen und Bezeichungen der hin- terbliebenen Spuren, gegeneinander, und auf die vor- herge-

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/73>, abgerufen am 17.05.2024.