hergegangene Modifikationen, die als ihre Ursachen an- zusehen sind, entspringet ihre Analogie mit diesen letz- tern. Diese Analogie bestehet in einer Einerleyheit der Verhältnisse und Beziehungen deßen was in einem Dinge ist, unter sich, mit den Verhältnissen und Bezie- hungen, welche die Beschaffenheiten eines andern Dinges auf einander haben. Die analogischen Dinge entspre- chen einander, wie Zeichen und Bilder den bezeichne- ten und abgebildeten Gegenständen.
3) Ob alle einzelne Modifikationen der Seele in ihr dergleichen bleibende Folgen hinterlassen oder nicht? wird durch Beobachtungen allein wohl nicht zur Gewiß- heit gebracht werden. Aber es ist außer Zweifel, daß es in solchem Falle geschehe, wo wir Vorstellungen erhalten.
Einige Zustände haben solche Spuren hinterlassen, welche die Seele durch ihre innere Kraft in sich unterhal- ten, oder doch aus sich selbst wieder hervorziehen kann, wenn gleich ihre ersten Ursachen selbst aufgehöret haben, uns gegenwärtig zu seyn. Wenn die ersten Modificationen, von denen solche Spuren zurückgeblieben sind, nicht mehr da sind, so kann die Seele selbstthätig solche in sich ge- wissermaßen nachbilden, indem sie die von ihnen zurück- gebliebenen Abdrücke wiederum hervorziehen, und die ersten Zustände, obgleich in einem geschwächten und oft unmerklichen Grade, aus sich selbst wieder erneuern, und sich gegenwärtig darstellen kann. Dieß geschieht, indem ich mich mit den Vorstellungen von Personen beschäftige, mit denen ich gestern zu thun gehabt habe. Jch sehe jetzo nicht, was ich damals sahe; ich höre die derzeitigen Töne nicht mehr; ich befinde mich nicht in der Lage und in den Umständen, worunter ich gestern war: aber ich bilde den gestrigen Zustand in mir nach; ich erneuere ihn, und zwar durch eine mir innerlich beywohnende Kraft eigenmächtig, durch meine Selbstthätigkeit. Dieß geschieht, indem ich die von ihnen zurückgebliebenen
Wirkun-
I. Verſuch. Ueber die Natur
hergegangene Modifikationen, die als ihre Urſachen an- zuſehen ſind, entſpringet ihre Analogie mit dieſen letz- tern. Dieſe Analogie beſtehet in einer Einerleyheit der Verhaͤltniſſe und Beziehungen deßen was in einem Dinge iſt, unter ſich, mit den Verhaͤltniſſen und Bezie- hungen, welche die Beſchaffenheiten eines andern Dinges auf einander haben. Die analogiſchen Dinge entſpre- chen einander, wie Zeichen und Bilder den bezeichne- ten und abgebildeten Gegenſtaͤnden.
3) Ob alle einzelne Modifikationen der Seele in ihr dergleichen bleibende Folgen hinterlaſſen oder nicht? wird durch Beobachtungen allein wohl nicht zur Gewiß- heit gebracht werden. Aber es iſt außer Zweifel, daß es in ſolchem Falle geſchehe, wo wir Vorſtellungen erhalten.
Einige Zuſtaͤnde haben ſolche Spuren hinterlaſſen, welche die Seele durch ihre innere Kraft in ſich unterhal- ten, oder doch aus ſich ſelbſt wieder hervorziehen kann, wenn gleich ihre erſten Urſachen ſelbſt aufgehoͤret haben, uns gegenwaͤrtig zu ſeyn. Wenn die erſten Modificationen, von denen ſolche Spuren zuruͤckgeblieben ſind, nicht mehr da ſind, ſo kann die Seele ſelbſtthaͤtig ſolche in ſich ge- wiſſermaßen nachbilden, indem ſie die von ihnen zuruͤck- gebliebenen Abdruͤcke wiederum hervorziehen, und die erſten Zuſtaͤnde, obgleich in einem geſchwaͤchten und oft unmerklichen Grade, aus ſich ſelbſt wieder erneuern, und ſich gegenwaͤrtig darſtellen kann. Dieß geſchieht, indem ich mich mit den Vorſtellungen von Perſonen beſchaͤftige, mit denen ich geſtern zu thun gehabt habe. Jch ſehe jetzo nicht, was ich damals ſahe; ich hoͤre die derzeitigen Toͤne nicht mehr; ich befinde mich nicht in der Lage und in den Umſtaͤnden, worunter ich geſtern war: aber ich bilde den geſtrigen Zuſtand in mir nach; ich erneuere ihn, und zwar durch eine mir innerlich beywohnende Kraft eigenmaͤchtig, durch meine Selbſtthaͤtigkeit. Dieß geſchieht, indem ich die von ihnen zuruͤckgebliebenen
Wirkun-
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I. Verſuch. Ueber die Natur
hergegangene Modifikationen, die als ihre Urſachen an-
zuſehen ſind, entſpringet ihre Analogie mit dieſen letz-
tern. Dieſe Analogie beſtehet in einer Einerleyheit
der Verhaͤltniſſe und Beziehungen deßen was in einem
Dinge iſt, unter ſich, mit den Verhaͤltniſſen und Bezie-
hungen, welche die Beſchaffenheiten eines andern Dinges
auf einander haben. Die analogiſchen Dinge entſpre-
chen einander, wie Zeichen und Bilder den bezeichne-
ten und abgebildeten Gegenſtaͤnden.
3) Ob alle einzelne Modifikationen der Seele in
ihr dergleichen bleibende Folgen hinterlaſſen oder nicht?
wird durch Beobachtungen allein wohl nicht zur Gewiß-
heit gebracht werden. Aber es iſt außer Zweifel, daß es
in ſolchem Falle geſchehe, wo wir Vorſtellungen erhalten.
Einige Zuſtaͤnde haben ſolche Spuren hinterlaſſen,
welche die Seele durch ihre innere Kraft in ſich unterhal-
ten, oder doch aus ſich ſelbſt wieder hervorziehen kann,
wenn gleich ihre erſten Urſachen ſelbſt aufgehoͤret haben,
uns gegenwaͤrtig zu ſeyn. Wenn die erſten Modificationen,
von denen ſolche Spuren zuruͤckgeblieben ſind, nicht mehr
da ſind, ſo kann die Seele ſelbſtthaͤtig ſolche in ſich ge-
wiſſermaßen nachbilden, indem ſie die von ihnen zuruͤck-
gebliebenen Abdruͤcke wiederum hervorziehen, und die
erſten Zuſtaͤnde, obgleich in einem geſchwaͤchten und oft
unmerklichen Grade, aus ſich ſelbſt wieder erneuern, und
ſich gegenwaͤrtig darſtellen kann. Dieß geſchieht, indem
ich mich mit den Vorſtellungen von Perſonen beſchaͤftige,
mit denen ich geſtern zu thun gehabt habe. Jch ſehe
jetzo nicht, was ich damals ſahe; ich hoͤre die derzeitigen
Toͤne nicht mehr; ich befinde mich nicht in der Lage und
in den Umſtaͤnden, worunter ich geſtern war: aber ich
bilde den geſtrigen Zuſtand in mir nach; ich erneuere
ihn, und zwar durch eine mir innerlich beywohnende
Kraft eigenmaͤchtig, durch meine Selbſtthaͤtigkeit. Dieß
geſchieht, indem ich die von ihnen zuruͤckgebliebenen
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/74>, abgerufen am 22.12.2024.
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