Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

X. Versuch. Ueber die Beziehung
holet, ist freylich dieselbige, mit der sie diese Wiederho-
lung bey der Vorstellung anfängt, oder die Jdee repro-
duciret. Aber so wenig das nochmalige Ansehen des
Mondes aus der Reproduktion des Bildes erkläret wer-
den kann, das wir von ihm aus den vorigen Empfin-
dungen her haben, und so wenig das Bestreben dieses
Bild in uns zu erneuern ein Bestreben ist, das Objekt
wiederum zu sehen, so wenig |kann die Wiederholung der
Aktion in ein Bestreben ihre Vorstellung zu erneuern
aufgelöset werden. Jn beyden Fällen ist ein solches Be-
streben da, und in dem einem gelinget es ehe, die Vor-
stellung so lebhaft wie die erste Empfindung zu machen.
Aber auch in beiden Fällen muß alsdenn, wenn dieß ge-
schieht, die ganze ehemals gegenwärtige Ursache wie-
derum vorhanden seyn und wirken. Das Bestreben, die
Jdee von der Aktion zu reproduciren, würde nichts mehr
ausrichten, als das Bestreben, sich den Mond in der
Abwesenheit vorzustellen, wenn in jenem Fall nicht die
ganze ehemals wirkende Kraft in der Seele vorhanden
wäre, und von ähnlichen Empfindungen gespannet
würde.

Man pflegt gewöhnlich noch eine andere Einwen-
dung gegen die wolfische Erklärung zu machen, die sie
aber bey genauerer Untersuchung nicht trift. Sie erläu-
tert das vorhergehende, darum will ich sie anführen.
Sind nicht, sagt man, diese zwey Kraftäußerungen, die
Bestrebungen nämlich zu handeln, und die Bestrebun-
gen, Vorstellungen und Jdeen lebhafter auszubilden, in
unserm Gefühl deutlich genug von einander unterschie-
den? Wenn der Maler sich bestrebet, sein Jdeal auf
dem Pergament sichtbar zu machen, so ist das kein Be-
streben, sich es stark und lebhaft vorzustellen, wie das
Gemälde auf dem Pergament aussehen werde, ob-
gleich das letztere mit jenem verbunden ist. Er will
nicht phantasiren, er will etwas wirklich machen und

dar-

X. Verſuch. Ueber die Beziehung
holet, iſt freylich dieſelbige, mit der ſie dieſe Wiederho-
lung bey der Vorſtellung anfaͤngt, oder die Jdee repro-
duciret. Aber ſo wenig das nochmalige Anſehen des
Mondes aus der Reproduktion des Bildes erklaͤret wer-
den kann, das wir von ihm aus den vorigen Empfin-
dungen her haben, und ſo wenig das Beſtreben dieſes
Bild in uns zu erneuern ein Beſtreben iſt, das Objekt
wiederum zu ſehen, ſo wenig |kann die Wiederholung der
Aktion in ein Beſtreben ihre Vorſtellung zu erneuern
aufgeloͤſet werden. Jn beyden Faͤllen iſt ein ſolches Be-
ſtreben da, und in dem einem gelinget es ehe, die Vor-
ſtellung ſo lebhaft wie die erſte Empfindung zu machen.
Aber auch in beiden Faͤllen muß alsdenn, wenn dieß ge-
ſchieht, die ganze ehemals gegenwaͤrtige Urſache wie-
derum vorhanden ſeyn und wirken. Das Beſtreben, die
Jdee von der Aktion zu reproduciren, wuͤrde nichts mehr
ausrichten, als das Beſtreben, ſich den Mond in der
Abweſenheit vorzuſtellen, wenn in jenem Fall nicht die
ganze ehemals wirkende Kraft in der Seele vorhanden
waͤre, und von aͤhnlichen Empfindungen geſpannet
wuͤrde.

Man pflegt gewoͤhnlich noch eine andere Einwen-
dung gegen die wolfiſche Erklaͤrung zu machen, die ſie
aber bey genauerer Unterſuchung nicht trift. Sie erlaͤu-
tert das vorhergehende, darum will ich ſie anfuͤhren.
Sind nicht, ſagt man, dieſe zwey Kraftaͤußerungen, die
Beſtrebungen naͤmlich zu handeln, und die Beſtrebun-
gen, Vorſtellungen und Jdeen lebhafter auszubilden, in
unſerm Gefuͤhl deutlich genug von einander unterſchie-
den? Wenn der Maler ſich beſtrebet, ſein Jdeal auf
dem Pergament ſichtbar zu machen, ſo iſt das kein Be-
ſtreben, ſich es ſtark und lebhaft vorzuſtellen, wie das
Gemaͤlde auf dem Pergament ausſehen werde, ob-
gleich das letztere mit jenem verbunden iſt. Er will
nicht phantaſiren, er will etwas wirklich machen und

dar-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0760" n="700"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">X.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Beziehung</hi></fw><lb/>
holet, i&#x017F;t freylich die&#x017F;elbige, mit der &#x017F;ie die&#x017F;e Wiederho-<lb/>
lung bey der Vor&#x017F;tellung anfa&#x0364;ngt, oder die Jdee repro-<lb/>
duciret. Aber &#x017F;o wenig das nochmalige An&#x017F;ehen des<lb/>
Mondes aus der Reproduktion des Bildes erkla&#x0364;ret wer-<lb/>
den kann, das wir von ihm aus den vorigen Empfin-<lb/>
dungen her haben, und &#x017F;o wenig das Be&#x017F;treben die&#x017F;es<lb/>
Bild in uns zu erneuern ein Be&#x017F;treben i&#x017F;t, das Objekt<lb/>
wiederum zu &#x017F;ehen, &#x017F;o wenig |kann die Wiederholung der<lb/>
Aktion in ein Be&#x017F;treben ihre Vor&#x017F;tellung zu erneuern<lb/>
aufgelo&#x0364;&#x017F;et werden. Jn beyden Fa&#x0364;llen i&#x017F;t ein &#x017F;olches Be-<lb/>
&#x017F;treben da, und in dem einem gelinget es ehe, die Vor-<lb/>
&#x017F;tellung &#x017F;o lebhaft wie die er&#x017F;te Empfindung zu machen.<lb/>
Aber auch in beiden Fa&#x0364;llen muß alsdenn, wenn dieß ge-<lb/>
&#x017F;chieht, die ganze ehemals gegenwa&#x0364;rtige Ur&#x017F;ache wie-<lb/>
derum vorhanden &#x017F;eyn und wirken. Das Be&#x017F;treben, die<lb/>
Jdee von der Aktion zu reproduciren, wu&#x0364;rde nichts mehr<lb/>
ausrichten, als das Be&#x017F;treben, &#x017F;ich den Mond in der<lb/>
Abwe&#x017F;enheit vorzu&#x017F;tellen, wenn in jenem Fall nicht die<lb/>
ganze ehemals wirkende Kraft in der Seele vorhanden<lb/>
wa&#x0364;re, und von a&#x0364;hnlichen Empfindungen ge&#x017F;pannet<lb/>
wu&#x0364;rde.</p><lb/>
            <p>Man pflegt gewo&#x0364;hnlich noch eine andere Einwen-<lb/>
dung gegen die wolfi&#x017F;che Erkla&#x0364;rung zu machen, die &#x017F;ie<lb/>
aber bey genauerer Unter&#x017F;uchung nicht trift. Sie erla&#x0364;u-<lb/>
tert das vorhergehende, darum will ich &#x017F;ie anfu&#x0364;hren.<lb/>
Sind nicht, &#x017F;agt man, die&#x017F;e zwey Krafta&#x0364;ußerungen, die<lb/>
Be&#x017F;trebungen na&#x0364;mlich zu <hi rendition="#fr">handeln,</hi> und die Be&#x017F;trebun-<lb/>
gen, Vor&#x017F;tellungen und Jdeen lebhafter auszubilden, in<lb/>
un&#x017F;erm Gefu&#x0364;hl deutlich genug von einander unter&#x017F;chie-<lb/>
den? Wenn der Maler &#x017F;ich be&#x017F;trebet, &#x017F;ein Jdeal auf<lb/>
dem Pergament &#x017F;ichtbar zu machen, &#x017F;o i&#x017F;t das kein Be-<lb/>
&#x017F;treben, &#x017F;ich es &#x017F;tark und lebhaft vorzu&#x017F;tellen, wie das<lb/>
Gema&#x0364;lde auf dem Pergament aus&#x017F;ehen werde, ob-<lb/>
gleich das letztere mit jenem verbunden i&#x017F;t. Er will<lb/>
nicht phanta&#x017F;iren, er will etwas wirklich machen und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dar-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[700/0760] X. Verſuch. Ueber die Beziehung holet, iſt freylich dieſelbige, mit der ſie dieſe Wiederho- lung bey der Vorſtellung anfaͤngt, oder die Jdee repro- duciret. Aber ſo wenig das nochmalige Anſehen des Mondes aus der Reproduktion des Bildes erklaͤret wer- den kann, das wir von ihm aus den vorigen Empfin- dungen her haben, und ſo wenig das Beſtreben dieſes Bild in uns zu erneuern ein Beſtreben iſt, das Objekt wiederum zu ſehen, ſo wenig |kann die Wiederholung der Aktion in ein Beſtreben ihre Vorſtellung zu erneuern aufgeloͤſet werden. Jn beyden Faͤllen iſt ein ſolches Be- ſtreben da, und in dem einem gelinget es ehe, die Vor- ſtellung ſo lebhaft wie die erſte Empfindung zu machen. Aber auch in beiden Faͤllen muß alsdenn, wenn dieß ge- ſchieht, die ganze ehemals gegenwaͤrtige Urſache wie- derum vorhanden ſeyn und wirken. Das Beſtreben, die Jdee von der Aktion zu reproduciren, wuͤrde nichts mehr ausrichten, als das Beſtreben, ſich den Mond in der Abweſenheit vorzuſtellen, wenn in jenem Fall nicht die ganze ehemals wirkende Kraft in der Seele vorhanden waͤre, und von aͤhnlichen Empfindungen geſpannet wuͤrde. Man pflegt gewoͤhnlich noch eine andere Einwen- dung gegen die wolfiſche Erklaͤrung zu machen, die ſie aber bey genauerer Unterſuchung nicht trift. Sie erlaͤu- tert das vorhergehende, darum will ich ſie anfuͤhren. Sind nicht, ſagt man, dieſe zwey Kraftaͤußerungen, die Beſtrebungen naͤmlich zu handeln, und die Beſtrebun- gen, Vorſtellungen und Jdeen lebhafter auszubilden, in unſerm Gefuͤhl deutlich genug von einander unterſchie- den? Wenn der Maler ſich beſtrebet, ſein Jdeal auf dem Pergament ſichtbar zu machen, ſo iſt das kein Be- ſtreben, ſich es ſtark und lebhaft vorzuſtellen, wie das Gemaͤlde auf dem Pergament ausſehen werde, ob- gleich das letztere mit jenem verbunden iſt. Er will nicht phantaſiren, er will etwas wirklich machen und dar-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/760
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 700. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/760>, abgerufen am 16.07.2024.