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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der Vorstellungskraft etc.
Jede Art des Lichts macht einen eigenen Eindruck auf
die Netzhaut nach der Verschiedenheit der Farben; und
die Menge der einzelnen Punkte, die berühret werden,
und davon jeder allein ohne die übrigen seine eigene sinn-
liche Bewegung annehmen und erhalten kann, wenn die
zugleich mit gerührten unverändert bleiben, oder anders
afficiret werden, als sie es zu derselbigen Zeit sind; die
Menge dieser besonders und allein für sich sinnlich beweg-
baren Punkte ist in dem Sinnglied des Gesichts größer,
als in jedem andern. Und auf dieselbige Art verhält es
sich mit den innern Eindrücken auf die Seele. Was
Wunder also, daß sie so vorzüglich auf die vorstellende
Kraft, und auf die Denkkraft wirken, und daß, wie
anderswo schon bemerket ist, *) unsere gewöhnlichen Ge-
sichtsvorstellungen in einem vorzüglichen Grade Jdeen
und Gedanken sind?

2) Wenn das Licht den Augen zu stark wird, wenn
es schmerzet und blendet, so fällt die angegebene Ursache
weg; zugleich aber auch die Wirkung. Es erfolgen
Schmerzen und Bestrebungen, die Augen wegzuwen-
den; aber keine Vorstellungen und Gedanken.

3) Das Gefühl giebt uns, auch allein für sich,
Jdeen von der Ausdehnung, von der Figur, dem Raum,
und von der Bewegung; und von der Härte und Festig-
keit der Körper haben wir die Begriffe allein durch die-
sen Sinn. Dieß sind wiederum mehr Jdeen als Em-
pfindungen, die wir nicht für etwas subjektivisches in uns,
sondern für etwas objektivisches außer uns ansehen. Mit
der Vorstellung von einem Stich, einem starken Stoß,
und überhaupt von dem Schmerze oder dem Kitzel ver-
hält es sich auf die entgegengesetzte Art. Da haben wir
mehr klare Empfindungen, als klare Vorstellungen von
Sachen. Aber ist es nicht auch offenbar, daß die Ge-

fühls-
*) Vierter Versuch. VI. 3. Fünfter Versuch. XII.

der Vorſtellungskraft ⁊c.
Jede Art des Lichts macht einen eigenen Eindruck auf
die Netzhaut nach der Verſchiedenheit der Farben; und
die Menge der einzelnen Punkte, die beruͤhret werden,
und davon jeder allein ohne die uͤbrigen ſeine eigene ſinn-
liche Bewegung annehmen und erhalten kann, wenn die
zugleich mit geruͤhrten unveraͤndert bleiben, oder anders
afficiret werden, als ſie es zu derſelbigen Zeit ſind; die
Menge dieſer beſonders und allein fuͤr ſich ſinnlich beweg-
baren Punkte iſt in dem Sinnglied des Geſichts groͤßer,
als in jedem andern. Und auf dieſelbige Art verhaͤlt es
ſich mit den innern Eindruͤcken auf die Seele. Was
Wunder alſo, daß ſie ſo vorzuͤglich auf die vorſtellende
Kraft, und auf die Denkkraft wirken, und daß, wie
anderswo ſchon bemerket iſt, *) unſere gewoͤhnlichen Ge-
ſichtsvorſtellungen in einem vorzuͤglichen Grade Jdeen
und Gedanken ſind?

2) Wenn das Licht den Augen zu ſtark wird, wenn
es ſchmerzet und blendet, ſo faͤllt die angegebene Urſache
weg; zugleich aber auch die Wirkung. Es erfolgen
Schmerzen und Beſtrebungen, die Augen wegzuwen-
den; aber keine Vorſtellungen und Gedanken.

3) Das Gefuͤhl giebt uns, auch allein fuͤr ſich,
Jdeen von der Ausdehnung, von der Figur, dem Raum,
und von der Bewegung; und von der Haͤrte und Feſtig-
keit der Koͤrper haben wir die Begriffe allein durch die-
ſen Sinn. Dieß ſind wiederum mehr Jdeen als Em-
pfindungen, die wir nicht fuͤr etwas ſubjektiviſches in uns,
ſondern fuͤr etwas objektiviſches außer uns anſehen. Mit
der Vorſtellung von einem Stich, einem ſtarken Stoß,
und uͤberhaupt von dem Schmerze oder dem Kitzel ver-
haͤlt es ſich auf die entgegengeſetzte Art. Da haben wir
mehr klare Empfindungen, als klare Vorſtellungen von
Sachen. Aber iſt es nicht auch offenbar, daß die Ge-

fuͤhls-
*) Vierter Verſuch. VI. 3. Fuͤnfter Verſuch. XII.
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[717/0777] der Vorſtellungskraft ⁊c. Jede Art des Lichts macht einen eigenen Eindruck auf die Netzhaut nach der Verſchiedenheit der Farben; und die Menge der einzelnen Punkte, die beruͤhret werden, und davon jeder allein ohne die uͤbrigen ſeine eigene ſinn- liche Bewegung annehmen und erhalten kann, wenn die zugleich mit geruͤhrten unveraͤndert bleiben, oder anders afficiret werden, als ſie es zu derſelbigen Zeit ſind; die Menge dieſer beſonders und allein fuͤr ſich ſinnlich beweg- baren Punkte iſt in dem Sinnglied des Geſichts groͤßer, als in jedem andern. Und auf dieſelbige Art verhaͤlt es ſich mit den innern Eindruͤcken auf die Seele. Was Wunder alſo, daß ſie ſo vorzuͤglich auf die vorſtellende Kraft, und auf die Denkkraft wirken, und daß, wie anderswo ſchon bemerket iſt, *) unſere gewoͤhnlichen Ge- ſichtsvorſtellungen in einem vorzuͤglichen Grade Jdeen und Gedanken ſind? 2) Wenn das Licht den Augen zu ſtark wird, wenn es ſchmerzet und blendet, ſo faͤllt die angegebene Urſache weg; zugleich aber auch die Wirkung. Es erfolgen Schmerzen und Beſtrebungen, die Augen wegzuwen- den; aber keine Vorſtellungen und Gedanken. 3) Das Gefuͤhl giebt uns, auch allein fuͤr ſich, Jdeen von der Ausdehnung, von der Figur, dem Raum, und von der Bewegung; und von der Haͤrte und Feſtig- keit der Koͤrper haben wir die Begriffe allein durch die- ſen Sinn. Dieß ſind wiederum mehr Jdeen als Em- pfindungen, die wir nicht fuͤr etwas ſubjektiviſches in uns, ſondern fuͤr etwas objektiviſches außer uns anſehen. Mit der Vorſtellung von einem Stich, einem ſtarken Stoß, und uͤberhaupt von dem Schmerze oder dem Kitzel ver- haͤlt es ſich auf die entgegengeſetzte Art. Da haben wir mehr klare Empfindungen, als klare Vorſtellungen von Sachen. Aber iſt es nicht auch offenbar, daß die Ge- fuͤhls- *) Vierter Verſuch. VI. 3. Fuͤnfter Verſuch. XII.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 717. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/777>, abgerufen am 22.12.2024.