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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der menschlichen Seele etc.
tung nimmt, andere Gegenstände vor sich hat, und innre
Stärke genug besitzt, um bis dahin sich zu äußern, daß
diese besondern Auslassungen von uns selbst gewahrge-
nommen werden.

Eine nähere Auflösung dieser mannigfaltigen Aeuße-
rungen und Gestalten, unter denen dieß Wesen sich vor
sich selbst offenbaret, lehrt noch ferner so viel, daß es
ein gewiffer höherer Grad von innerer Selbstthätig-
keit
sey, womit sie beywirket, wenn sie leidend verändert
wird, und sich dann wieder aus sich selbst in Wirksam-
keit setzet, wenn sie in neue Thätigkeiten hervorgehet,
wodurch sie zu einem vorstellenden, denkenden und wol-
lenden Wesen gemacht werde. *) Als ein in einem ho-
hen Grade modifikables Wesen ist sie nichts mehr als ein
flüßiger Körper; als ein thätig herauswirkendes, und
dadurch sich auch selbst veränderndes Wesen, ist sie nichts
mehr, als eine elastische Feder oder eine gespannte Kla-
viersaite auch seyn könnte; aber als ein mit der vor er-
wähnten Selbstthätigkeit versehenes Wesen ist sie eine
fühlende und vorstellende Seele, und bey noch et-
was mehrerer Stärke und Feinheit in diesem Vermögen
ist sie eine denkende Seele.

Was ist also nun die Grundkraft dieses Wesens,
oder das ursprüngliche Vermögen, dessen Wirkungen
innerlich immer dieselbigen einartigen Aeußerungen sind,
die nur nach der Verschiedenheit der äußern Umstände
und der Objekte, auf die es sich anwendet, in verschie-
denen Richtungen erfolgen, und dadurch als unterschie-
dene Wirkungen erscheinen? Aus der Grundkraft in
ihren verschiedenen Richtungen, mehr oder minder ver-
längert, verfeinert, erhoben, sollen alle übrige Ver-
mögen und Kräfte hervorgehen. Welche Jdee kann und
soll man sich von dieser Grundkraft nun abziehen?

Diese
*) Erster Versuch. XVI. 4 - 7. Achter Versuch. VI. Neun-
ter Versuch. IV.

der menſchlichen Seele ⁊c.
tung nimmt, andere Gegenſtaͤnde vor ſich hat, und innre
Staͤrke genug beſitzt, um bis dahin ſich zu aͤußern, daß
dieſe beſondern Auslaſſungen von uns ſelbſt gewahrge-
nommen werden.

Eine naͤhere Aufloͤſung dieſer mannigfaltigen Aeuße-
rungen und Geſtalten, unter denen dieß Weſen ſich vor
ſich ſelbſt offenbaret, lehrt noch ferner ſo viel, daß es
ein gewiffer hoͤherer Grad von innerer Selbſtthaͤtig-
keit
ſey, womit ſie beywirket, wenn ſie leidend veraͤndert
wird, und ſich dann wieder aus ſich ſelbſt in Wirkſam-
keit ſetzet, wenn ſie in neue Thaͤtigkeiten hervorgehet,
wodurch ſie zu einem vorſtellenden, denkenden und wol-
lenden Weſen gemacht werde. *) Als ein in einem ho-
hen Grade modifikables Weſen iſt ſie nichts mehr als ein
fluͤßiger Koͤrper; als ein thaͤtig herauswirkendes, und
dadurch ſich auch ſelbſt veraͤnderndes Weſen, iſt ſie nichts
mehr, als eine elaſtiſche Feder oder eine geſpannte Kla-
vierſaite auch ſeyn koͤnnte; aber als ein mit der vor er-
waͤhnten Selbſtthaͤtigkeit verſehenes Weſen iſt ſie eine
fuͤhlende und vorſtellende Seele, und bey noch et-
was mehrerer Staͤrke und Feinheit in dieſem Vermoͤgen
iſt ſie eine denkende Seele.

Was iſt alſo nun die Grundkraft dieſes Weſens,
oder das urſpruͤngliche Vermoͤgen, deſſen Wirkungen
innerlich immer dieſelbigen einartigen Aeußerungen ſind,
die nur nach der Verſchiedenheit der aͤußern Umſtaͤnde
und der Objekte, auf die es ſich anwendet, in verſchie-
denen Richtungen erfolgen, und dadurch als unterſchie-
dene Wirkungen erſcheinen? Aus der Grundkraft in
ihren verſchiedenen Richtungen, mehr oder minder ver-
laͤngert, verfeinert, erhoben, ſollen alle uͤbrige Ver-
moͤgen und Kraͤfte hervorgehen. Welche Jdee kann und
ſoll man ſich von dieſer Grundkraft nun abziehen?

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*) Erſter Verſuch. XVI. 4 - 7. Achter Verſuch. VI. Neun-
ter Verſuch. IV.
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[731/0791] der menſchlichen Seele ⁊c. tung nimmt, andere Gegenſtaͤnde vor ſich hat, und innre Staͤrke genug beſitzt, um bis dahin ſich zu aͤußern, daß dieſe beſondern Auslaſſungen von uns ſelbſt gewahrge- nommen werden. Eine naͤhere Aufloͤſung dieſer mannigfaltigen Aeuße- rungen und Geſtalten, unter denen dieß Weſen ſich vor ſich ſelbſt offenbaret, lehrt noch ferner ſo viel, daß es ein gewiffer hoͤherer Grad von innerer Selbſtthaͤtig- keit ſey, womit ſie beywirket, wenn ſie leidend veraͤndert wird, und ſich dann wieder aus ſich ſelbſt in Wirkſam- keit ſetzet, wenn ſie in neue Thaͤtigkeiten hervorgehet, wodurch ſie zu einem vorſtellenden, denkenden und wol- lenden Weſen gemacht werde. *) Als ein in einem ho- hen Grade modifikables Weſen iſt ſie nichts mehr als ein fluͤßiger Koͤrper; als ein thaͤtig herauswirkendes, und dadurch ſich auch ſelbſt veraͤnderndes Weſen, iſt ſie nichts mehr, als eine elaſtiſche Feder oder eine geſpannte Kla- vierſaite auch ſeyn koͤnnte; aber als ein mit der vor er- waͤhnten Selbſtthaͤtigkeit verſehenes Weſen iſt ſie eine fuͤhlende und vorſtellende Seele, und bey noch et- was mehrerer Staͤrke und Feinheit in dieſem Vermoͤgen iſt ſie eine denkende Seele. Was iſt alſo nun die Grundkraft dieſes Weſens, oder das urſpruͤngliche Vermoͤgen, deſſen Wirkungen innerlich immer dieſelbigen einartigen Aeußerungen ſind, die nur nach der Verſchiedenheit der aͤußern Umſtaͤnde und der Objekte, auf die es ſich anwendet, in verſchie- denen Richtungen erfolgen, und dadurch als unterſchie- dene Wirkungen erſcheinen? Aus der Grundkraft in ihren verſchiedenen Richtungen, mehr oder minder ver- laͤngert, verfeinert, erhoben, ſollen alle uͤbrige Ver- moͤgen und Kraͤfte hervorgehen. Welche Jdee kann und ſoll man ſich von dieſer Grundkraft nun abziehen? Dieſe *) Erſter Verſuch. XVI. 4 - 7. Achter Verſuch. VI. Neun- ter Verſuch. IV.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 731. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/791>, abgerufen am 22.12.2024.