entschieden lassen, und die man vielleicht am Ende mit mehrern andern unentschieden lassen muß. Jede Un- tersuchung über wirkliche Gegenstände endiget sich in sol- che Fragen, die unsere Bekenntnisse sind, daß man in das unermeßliche Feld des Unbekannten zwar mit Be- dacht hineingesehen habe, aber nichts helle und deutlich genug bemerken könne.
Die ersten ursprünglichen Vorstellungen will ich Empfindungsvorstellungen nennen. Sie sind Bilder oder Vorstellungen, wie man sie aus der Em- pfindung der Sachen erlanget, und stellen die Sachen dar, wie sie empfunden werden. Wenn solche Vorstel- lungen nach einiger Zeit wieder hervorgezogen werden, ohne daß ihre Empfindungen vorhanden sind; so können sie noch ebendieselbigen Züge an sich haben, die sie vor- her an sich hatten, und also noch jetzo die Objekte so vor- stellen, wie diese empfunden worden sind. Die er- sten Empfindungsvorstellungen, die während| der Empfindung in uns entstehen, und erhalten werden, sind die Nachempfindungen; sie sind das, was von den Philosophen Empfindungen genennet wird, wenn man Empfindungen zu den Vorstellungen hinrechnet. Es ist in ihnen etwas eigenes, und unter diesem ein ei- gener Grad der Lebhaftigkeit, der alsdenn fehlet, wenn sie in der Abwesenheit ihrer Gegenstände wieder hervor- kommen.
13) Die Seele beweiset sich auf verschiedene Ar- ten wirksam bey den ursprünglichen Vorstellungen. Wenn diese einmal in uns so klar ausgedruckt vorhanden sind, daß sie bemerket werden können; so verlieren sie zuweilen diese objektivische Klarheit wieder, wickeln sich wieder ein, wie wir sagen, und entziehen sich dem Be- wußtseyn. Einige mögen sich gänzlich aus der Seele verlieren, oder doch so weit sich verlieren, daß sie durch ihre Eigenmacht aus ihr selbst nicht wieder erneuret wer-
den
B 4
der Vorſtellungen.
entſchieden laſſen, und die man vielleicht am Ende mit mehrern andern unentſchieden laſſen muß. Jede Un- terſuchung uͤber wirkliche Gegenſtaͤnde endiget ſich in ſol- che Fragen, die unſere Bekenntniſſe ſind, daß man in das unermeßliche Feld des Unbekannten zwar mit Be- dacht hineingeſehen habe, aber nichts helle und deutlich genug bemerken koͤnne.
Die erſten urſpruͤnglichen Vorſtellungen will ich Empfindungsvorſtellungen nennen. Sie ſind Bilder oder Vorſtellungen, wie man ſie aus der Em- pfindung der Sachen erlanget, und ſtellen die Sachen dar, wie ſie empfunden werden. Wenn ſolche Vorſtel- lungen nach einiger Zeit wieder hervorgezogen werden, ohne daß ihre Empfindungen vorhanden ſind; ſo koͤnnen ſie noch ebendieſelbigen Zuͤge an ſich haben, die ſie vor- her an ſich hatten, und alſo noch jetzo die Objekte ſo vor- ſtellen, wie dieſe empfunden worden ſind. Die er- ſten Empfindungsvorſtellungen, die waͤhrend| der Empfindung in uns entſtehen, und erhalten werden, ſind die Nachempfindungen; ſie ſind das, was von den Philoſophen Empfindungen genennet wird, wenn man Empfindungen zu den Vorſtellungen hinrechnet. Es iſt in ihnen etwas eigenes, und unter dieſem ein ei- gener Grad der Lebhaftigkeit, der alsdenn fehlet, wenn ſie in der Abweſenheit ihrer Gegenſtaͤnde wieder hervor- kommen.
13) Die Seele beweiſet ſich auf verſchiedene Ar- ten wirkſam bey den urſpruͤnglichen Vorſtellungen. Wenn dieſe einmal in uns ſo klar ausgedruckt vorhanden ſind, daß ſie bemerket werden koͤnnen; ſo verlieren ſie zuweilen dieſe objektiviſche Klarheit wieder, wickeln ſich wieder ein, wie wir ſagen, und entziehen ſich dem Be- wußtſeyn. Einige moͤgen ſich gaͤnzlich aus der Seele verlieren, oder doch ſo weit ſich verlieren, daß ſie durch ihre Eigenmacht aus ihr ſelbſt nicht wieder erneuret wer-
den
B 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0083"n="23"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der Vorſtellungen.</hi></fw><lb/>
entſchieden laſſen, und die man vielleicht am Ende mit<lb/>
mehrern andern unentſchieden laſſen muß. Jede Un-<lb/>
terſuchung uͤber wirkliche Gegenſtaͤnde endiget ſich in ſol-<lb/>
che Fragen, die unſere Bekenntniſſe ſind, daß man in<lb/>
das unermeßliche Feld des Unbekannten zwar mit Be-<lb/>
dacht hineingeſehen habe, aber nichts helle und deutlich<lb/>
genug bemerken koͤnne.</p><lb/><p>Die erſten urſpruͤnglichen Vorſtellungen will ich<lb/><hirendition="#fr">Empfindungsvorſtellungen</hi> nennen. Sie ſind<lb/>
Bilder oder Vorſtellungen, wie man ſie aus der <hirendition="#fr">Em-<lb/>
pfindung</hi> der Sachen erlanget, und ſtellen die Sachen<lb/>
dar, wie ſie empfunden werden. Wenn ſolche Vorſtel-<lb/>
lungen nach einiger Zeit wieder hervorgezogen werden,<lb/>
ohne daß ihre Empfindungen vorhanden ſind; ſo koͤnnen<lb/>ſie noch ebendieſelbigen Zuͤge an ſich haben, die ſie vor-<lb/>
her an ſich hatten, und alſo noch jetzo die Objekte ſo vor-<lb/>ſtellen, wie dieſe empfunden worden ſind. Die <hirendition="#fr">er-<lb/>ſten Empfindungsvorſtellungen,</hi> die waͤhrend| der<lb/>
Empfindung in uns entſtehen, und erhalten werden, ſind<lb/>
die <hirendition="#fr">Nachempfindungen;</hi>ſie ſind das, was von den<lb/>
Philoſophen <hirendition="#fr">Empfindungen</hi> genennet wird, wenn<lb/>
man Empfindungen zu den Vorſtellungen hinrechnet.<lb/>
Es iſt in ihnen etwas eigenes, und unter dieſem ein ei-<lb/>
gener Grad der Lebhaftigkeit, der alsdenn fehlet, wenn<lb/>ſie in der Abweſenheit ihrer Gegenſtaͤnde wieder hervor-<lb/>
kommen.</p><lb/><p>13) Die Seele beweiſet ſich auf verſchiedene Ar-<lb/>
ten wirkſam bey den <hirendition="#fr">urſpruͤnglichen</hi> Vorſtellungen.<lb/>
Wenn dieſe einmal in uns ſo klar ausgedruckt vorhanden<lb/>ſind, daß ſie bemerket werden koͤnnen; ſo verlieren ſie<lb/>
zuweilen dieſe objektiviſche Klarheit wieder, <hirendition="#fr">wickeln ſich<lb/>
wieder ein,</hi> wie wir ſagen, und entziehen ſich dem Be-<lb/>
wußtſeyn. Einige moͤgen ſich gaͤnzlich aus der Seele<lb/>
verlieren, oder doch ſo weit ſich verlieren, daß ſie durch<lb/>
ihre Eigenmacht aus ihr ſelbſt nicht wieder erneuret wer-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">den</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[23/0083]
der Vorſtellungen.
entſchieden laſſen, und die man vielleicht am Ende mit
mehrern andern unentſchieden laſſen muß. Jede Un-
terſuchung uͤber wirkliche Gegenſtaͤnde endiget ſich in ſol-
che Fragen, die unſere Bekenntniſſe ſind, daß man in
das unermeßliche Feld des Unbekannten zwar mit Be-
dacht hineingeſehen habe, aber nichts helle und deutlich
genug bemerken koͤnne.
Die erſten urſpruͤnglichen Vorſtellungen will ich
Empfindungsvorſtellungen nennen. Sie ſind
Bilder oder Vorſtellungen, wie man ſie aus der Em-
pfindung der Sachen erlanget, und ſtellen die Sachen
dar, wie ſie empfunden werden. Wenn ſolche Vorſtel-
lungen nach einiger Zeit wieder hervorgezogen werden,
ohne daß ihre Empfindungen vorhanden ſind; ſo koͤnnen
ſie noch ebendieſelbigen Zuͤge an ſich haben, die ſie vor-
her an ſich hatten, und alſo noch jetzo die Objekte ſo vor-
ſtellen, wie dieſe empfunden worden ſind. Die er-
ſten Empfindungsvorſtellungen, die waͤhrend| der
Empfindung in uns entſtehen, und erhalten werden, ſind
die Nachempfindungen; ſie ſind das, was von den
Philoſophen Empfindungen genennet wird, wenn
man Empfindungen zu den Vorſtellungen hinrechnet.
Es iſt in ihnen etwas eigenes, und unter dieſem ein ei-
gener Grad der Lebhaftigkeit, der alsdenn fehlet, wenn
ſie in der Abweſenheit ihrer Gegenſtaͤnde wieder hervor-
kommen.
13) Die Seele beweiſet ſich auf verſchiedene Ar-
ten wirkſam bey den urſpruͤnglichen Vorſtellungen.
Wenn dieſe einmal in uns ſo klar ausgedruckt vorhanden
ſind, daß ſie bemerket werden koͤnnen; ſo verlieren ſie
zuweilen dieſe objektiviſche Klarheit wieder, wickeln ſich
wieder ein, wie wir ſagen, und entziehen ſich dem Be-
wußtſeyn. Einige moͤgen ſich gaͤnzlich aus der Seele
verlieren, oder doch ſo weit ſich verlieren, daß ſie durch
ihre Eigenmacht aus ihr ſelbſt nicht wieder erneuret wer-
den
B 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/83>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.