hat. Aus der Mischung der gelben und der blauen Lichtstrahlen in dem Prismatischen Sonnenbild entstehet ein grünes Licht, welches von dem einfachen Grünen dar- inn unterschieden ist, daß es in blaue und gelbe Strah- len wieder zertheilet werden kann; die ursprünglich grü- nen Strahlen sind dagegen unauflöslich. Aber den- noch ist es für unsere Empfindung ein einfaches Grün. Etwas ähnliches läßt sich in unsern Vorstellungen an- treffen.
Alle diese Aeußerungen und Thätigkeiten in Hinsicht der Vorstellungen begreifet man unter den vorstellen- den Thätigkeiten, und schreibet sie der vorstellenden Kraft zu. Die Vorstellungskraft ist also ein Haupt- ast, der in die schon erwähnte verschiedene Vermögen, Vorstellungen anzunehmen, sie wiederhervorzuziehen, und sie umzubilden, das ist, in das Perceptionsvermö- gen, in die Einbildungskraft, und in das bildende Dichtungsvermögen, als in so viele Zweige ausschies- set. Jch habe es nicht unbequem gefundeu, die unter- schiedenen Ausbrüche der vorstellenden Kraft in diese drey Klassen zu zertheilen. Jede künstliche Abtheilung von der Mannigfaltigkeit der Natur, hat sonsten ihre Lücken und muß sie haben, woferne nicht etwa die Klas- sen durch nothwendig sich ausschließende Merkmale ge- zeichnet sind, in welchem Fall aber eine oder die andere umbestimmter charakterisirt wird, als man sie haben will.
15) Aus den Vorstellungen werden Jdeen und Gedanken. Für sich sind sie dieß nicht. Das Bild von dem Mond ist nur die Materie zu der Jdee von dem Mond. Es fehlet ihm noch die Form: die Jdee ent- hält außer der Vorstellung ein Bewußtseyn, ein Gewahrnehmen und Unterscheiden, und setzet Verglei- chungen voraus, und Urtheile, sobald wir sie als eine Jdee von einem gewissen Gegenstande ansehen. Diese
letztern
I. Verſuch. Ueber die Natur
hat. Aus der Miſchung der gelben und der blauen Lichtſtrahlen in dem Prismatiſchen Sonnenbild entſtehet ein gruͤnes Licht, welches von dem einfachen Gruͤnen dar- inn unterſchieden iſt, daß es in blaue und gelbe Strah- len wieder zertheilet werden kann; die urſpruͤnglich gruͤ- nen Strahlen ſind dagegen unaufloͤslich. Aber den- noch iſt es fuͤr unſere Empfindung ein einfaches Gruͤn. Etwas aͤhnliches laͤßt ſich in unſern Vorſtellungen an- treffen.
Alle dieſe Aeußerungen und Thaͤtigkeiten in Hinſicht der Vorſtellungen begreifet man unter den vorſtellen- den Thaͤtigkeiten, und ſchreibet ſie der vorſtellenden Kraft zu. Die Vorſtellungskraft iſt alſo ein Haupt- aſt, der in die ſchon erwaͤhnte verſchiedene Vermoͤgen, Vorſtellungen anzunehmen, ſie wiederhervorzuziehen, und ſie umzubilden, das iſt, in das Perceptionsvermoͤ- gen, in die Einbildungskraft, und in das bildende Dichtungsvermoͤgen, als in ſo viele Zweige ausſchieſ- ſet. Jch habe es nicht unbequem gefundeu, die unter- ſchiedenen Ausbruͤche der vorſtellenden Kraft in dieſe drey Klaſſen zu zertheilen. Jede kuͤnſtliche Abtheilung von der Mannigfaltigkeit der Natur, hat ſonſten ihre Luͤcken und muß ſie haben, woferne nicht etwa die Klaſ- ſen durch nothwendig ſich ausſchließende Merkmale ge- zeichnet ſind, in welchem Fall aber eine oder die andere umbeſtimmter charakteriſirt wird, als man ſie haben will.
15) Aus den Vorſtellungen werden Jdeen und Gedanken. Fuͤr ſich ſind ſie dieß nicht. Das Bild von dem Mond iſt nur die Materie zu der Jdee von dem Mond. Es fehlet ihm noch die Form: die Jdee ent- haͤlt außer der Vorſtellung ein Bewußtſeyn, ein Gewahrnehmen und Unterſcheiden, und ſetzet Verglei- chungen voraus, und Urtheile, ſobald wir ſie als eine Jdee von einem gewiſſen Gegenſtande anſehen. Dieſe
letztern
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I. Verſuch. Ueber die Natur
hat. Aus der Miſchung der gelben und der blauen
Lichtſtrahlen in dem Prismatiſchen Sonnenbild entſtehet
ein gruͤnes Licht, welches von dem einfachen Gruͤnen dar-
inn unterſchieden iſt, daß es in blaue und gelbe Strah-
len wieder zertheilet werden kann; die urſpruͤnglich gruͤ-
nen Strahlen ſind dagegen unaufloͤslich. Aber den-
noch iſt es fuͤr unſere Empfindung ein einfaches Gruͤn.
Etwas aͤhnliches laͤßt ſich in unſern Vorſtellungen an-
treffen.
Alle dieſe Aeußerungen und Thaͤtigkeiten in Hinſicht
der Vorſtellungen begreifet man unter den vorſtellen-
den Thaͤtigkeiten, und ſchreibet ſie der vorſtellenden
Kraft zu. Die Vorſtellungskraft iſt alſo ein Haupt-
aſt, der in die ſchon erwaͤhnte verſchiedene Vermoͤgen,
Vorſtellungen anzunehmen, ſie wiederhervorzuziehen, und
ſie umzubilden, das iſt, in das Perceptionsvermoͤ-
gen, in die Einbildungskraft, und in das bildende
Dichtungsvermoͤgen, als in ſo viele Zweige ausſchieſ-
ſet. Jch habe es nicht unbequem gefundeu, die unter-
ſchiedenen Ausbruͤche der vorſtellenden Kraft in dieſe
drey Klaſſen zu zertheilen. Jede kuͤnſtliche Abtheilung
von der Mannigfaltigkeit der Natur, hat ſonſten ihre
Luͤcken und muß ſie haben, woferne nicht etwa die Klaſ-
ſen durch nothwendig ſich ausſchließende Merkmale ge-
zeichnet ſind, in welchem Fall aber eine oder die andere
umbeſtimmter charakteriſirt wird, als man ſie haben
will.
15) Aus den Vorſtellungen werden Jdeen und
Gedanken. Fuͤr ſich ſind ſie dieß nicht. Das Bild
von dem Mond iſt nur die Materie zu der Jdee von dem
Mond. Es fehlet ihm noch die Form: die Jdee ent-
haͤlt außer der Vorſtellung ein Bewußtſeyn, ein
Gewahrnehmen und Unterſcheiden, und ſetzet Verglei-
chungen voraus, und Urtheile, ſobald wir ſie als eine
Jdee von einem gewiſſen Gegenſtande anſehen. Dieſe
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/86>, abgerufen am 22.12.2024.
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