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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Freyheit.
sich klar, daß außer den Vermögen, diejenige anfäng-
liche Selbstbestimmung unserer Kraft zu ertheilen, in
der das Wollen und Nichtwollen bestehet, noch etwas
mehr vorhanden seyn muß, wenn wir auch ein solches
Vermögen zu der That selbst besitzen sollen. Dieß letz-
tere laß hier noch bey Seite gesetzet werden.

Ein anders ist ein mittelbares, ein anders ein
unmittelbares Vermögen zu etwas; ein anders ein
nahes und ein entferntes Vermögen; und noch ein
anders, wirksame Kraft, (potentia in actu primo
et secundo,
wie die Alten sagten). Diese Unterschiede
hat man gefühlt; hätte man sie aber deutlich erklärt, so
würde es nicht nur kürzer gesagt, sondern auch in der
That etwas leichter und besser beobachtet werden können,
wohin die Vermögen, uns selbst zu bestimmen, zu rech-
nen sind, und was in ihnen enthalten ist. Nun feh-
let aber dieß Hülfsmittel, und ich weiß kein anders,
um einen bestimmten Begrif von jenem Vermögen zu
erlangen, als dieses, daß man die volle Selbstbestim-
mung zur Richtschnur nehme, und dann aus den Be-
obachtungen aufsuche, was und wie viel an ihr und an
ihren Bestandtheilen fehlet, wenn nichts mehr als ein
bloßes Vermögen dazu vorhanden ist.

Die wirkliche Selbstbestimmung unserer Kraft er-
fodert:

Zuerst, daß eine rege Kraft vorhanden sey, die
innerlich zureichend zu der Aktion eingerichtet ist, wel-
che erfolget, indem wir wollen, das ist, uns selbst be-
stimmen.

Dann, daß ein ideeller Gegenstand, oder eine
Vorstellung in uns vorhanden sey, und in eine gewisse
Lage komme, in der das innere thätige Princip auf sie
angewendet wird. Hiezu ist der Grund entweder in
dem vorzüglichen Gefallen an dieser Vorstellung,
wenn das gewollt wird, was uns das beste zu seyn

scheint;
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und Freyheit.
ſich klar, daß außer den Vermoͤgen, diejenige anfaͤng-
liche Selbſtbeſtimmung unſerer Kraft zu ertheilen, in
der das Wollen und Nichtwollen beſtehet, noch etwas
mehr vorhanden ſeyn muß, wenn wir auch ein ſolches
Vermoͤgen zu der That ſelbſt beſitzen ſollen. Dieß letz-
tere laß hier noch bey Seite geſetzet werden.

Ein anders iſt ein mittelbares, ein anders ein
unmittelbares Vermoͤgen zu etwas; ein anders ein
nahes und ein entferntes Vermoͤgen; und noch ein
anders, wirkſame Kraft, (potentia in actu primo
et ſecundo,
wie die Alten ſagten). Dieſe Unterſchiede
hat man gefuͤhlt; haͤtte man ſie aber deutlich erklaͤrt, ſo
wuͤrde es nicht nur kuͤrzer geſagt, ſondern auch in der
That etwas leichter und beſſer beobachtet werden koͤnnen,
wohin die Vermoͤgen, uns ſelbſt zu beſtimmen, zu rech-
nen ſind, und was in ihnen enthalten iſt. Nun feh-
let aber dieß Huͤlfsmittel, und ich weiß kein anders,
um einen beſtimmten Begrif von jenem Vermoͤgen zu
erlangen, als dieſes, daß man die volle Selbſtbeſtim-
mung zur Richtſchnur nehme, und dann aus den Be-
obachtungen aufſuche, was und wie viel an ihr und an
ihren Beſtandtheilen fehlet, wenn nichts mehr als ein
bloßes Vermoͤgen dazu vorhanden iſt.

Die wirkliche Selbſtbeſtimmung unſerer Kraft er-
fodert:

Zuerſt, daß eine rege Kraft vorhanden ſey, die
innerlich zureichend zu der Aktion eingerichtet iſt, wel-
che erfolget, indem wir wollen, das iſt, uns ſelbſt be-
ſtimmen.

Dann, daß ein ideeller Gegenſtand, oder eine
Vorſtellung in uns vorhanden ſey, und in eine gewiſſe
Lage komme, in der das innere thaͤtige Princip auf ſie
angewendet wird. Hiezu iſt der Grund entweder in
dem vorzuͤglichen Gefallen an dieſer Vorſtellung,
wenn das gewollt wird, was uns das beſte zu ſeyn

ſcheint;
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[105/0135] und Freyheit. ſich klar, daß außer den Vermoͤgen, diejenige anfaͤng- liche Selbſtbeſtimmung unſerer Kraft zu ertheilen, in der das Wollen und Nichtwollen beſtehet, noch etwas mehr vorhanden ſeyn muß, wenn wir auch ein ſolches Vermoͤgen zu der That ſelbſt beſitzen ſollen. Dieß letz- tere laß hier noch bey Seite geſetzet werden. Ein anders iſt ein mittelbares, ein anders ein unmittelbares Vermoͤgen zu etwas; ein anders ein nahes und ein entferntes Vermoͤgen; und noch ein anders, wirkſame Kraft, (potentia in actu primo et ſecundo, wie die Alten ſagten). Dieſe Unterſchiede hat man gefuͤhlt; haͤtte man ſie aber deutlich erklaͤrt, ſo wuͤrde es nicht nur kuͤrzer geſagt, ſondern auch in der That etwas leichter und beſſer beobachtet werden koͤnnen, wohin die Vermoͤgen, uns ſelbſt zu beſtimmen, zu rech- nen ſind, und was in ihnen enthalten iſt. Nun feh- let aber dieß Huͤlfsmittel, und ich weiß kein anders, um einen beſtimmten Begrif von jenem Vermoͤgen zu erlangen, als dieſes, daß man die volle Selbſtbeſtim- mung zur Richtſchnur nehme, und dann aus den Be- obachtungen aufſuche, was und wie viel an ihr und an ihren Beſtandtheilen fehlet, wenn nichts mehr als ein bloßes Vermoͤgen dazu vorhanden iſt. Die wirkliche Selbſtbeſtimmung unſerer Kraft er- fodert: Zuerſt, daß eine rege Kraft vorhanden ſey, die innerlich zureichend zu der Aktion eingerichtet iſt, wel- che erfolget, indem wir wollen, das iſt, uns ſelbſt be- ſtimmen. Dann, daß ein ideeller Gegenſtand, oder eine Vorſtellung in uns vorhanden ſey, und in eine gewiſſe Lage komme, in der das innere thaͤtige Princip auf ſie angewendet wird. Hiezu iſt der Grund entweder in dem vorzuͤglichen Gefallen an dieſer Vorſtellung, wenn das gewollt wird, was uns das beſte zu ſeyn ſcheint; G 5

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/135>, abgerufen am 30.11.2024.