bald eine wirkliche Thätigkeit, ein Bestreben, ein Trieb erscheinet, so ist es schon mehr als ein Vermögen, we- nigstens ist es nicht ein bloßes Vermögen, sondern wirksames thätiges Vermögen, das von den mehresten Kraft genennet wird. Das Vermögen zu einer Aktion machet sie möglich, aber das Wollen, das Bestreben machet sie schon, wenigstens in ihren ersten Anfängen, oder in ihren unmittelbar vorhergehenden Zubereitungen, zu einer wirklichen Thätigkeit.
Von den Vermögen besitzet die Seele so viele und so mancherley, als es Aeußerungen ihrer Kraft giebt. Und da sie sich selbst bestimmet, so besitzet sie auch das Vermögen dazu. Und dieß lihr Vermögen sich selbst zu bestimmen macht ihren Willen aus.
2.
Wenn wir mit Freyheit etwas wollen oder nicht wollen; etwas thun oder unterlassen; auf eine Art es thun und nicht auf die andere; so ist zugleich in uns ein Vermögen zu dem Gegentheil. Wir wollen, aber wir haben das Vermögen nicht zu wollen; wir han- deln, aber wir haben das Vermögen, es zu unterlas- sen; wir richten es so ein, und können es anders ein- richten. Aber diese Vermögen zu dem Gegentheil von dem, was wir wirklich wollen und vornehmen, die- se Vermögen, uns selbst anders zu bestimmen, bleiben nur bloße Vermögen. Es ist ein wesentliches Stück in unserm Begriff von der Freyheit, diese Vermögen zu untersuchen.
Um die Betrachtung im Anfang so einfach zu ma- chen, als es möglich ist, wollen wir diese Ver- mögen, uns selbst zu bestimmen, nur auf das Ver- mögen zu wollen oder nicht zu wollen, einschrän- ken. Weil doch oft unser Wille in unserer Ge- walt ist, wo das Vollbringen es nicht ist, so ist es für
sich
XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
bald eine wirkliche Thaͤtigkeit, ein Beſtreben, ein Trieb erſcheinet, ſo iſt es ſchon mehr als ein Vermoͤgen, we- nigſtens iſt es nicht ein bloßes Vermoͤgen, ſondern wirkſames thaͤtiges Vermoͤgen, das von den mehreſten Kraft genennet wird. Das Vermoͤgen zu einer Aktion machet ſie moͤglich, aber das Wollen, das Beſtreben machet ſie ſchon, wenigſtens in ihren erſten Anfaͤngen, oder in ihren unmittelbar vorhergehenden Zubereitungen, zu einer wirklichen Thaͤtigkeit.
Von den Vermoͤgen beſitzet die Seele ſo viele und ſo mancherley, als es Aeußerungen ihrer Kraft giebt. Und da ſie ſich ſelbſt beſtimmet, ſo beſitzet ſie auch das Vermoͤgen dazu. Und dieß lihr Vermoͤgen ſich ſelbſt zu beſtimmen macht ihren Willen aus.
2.
Wenn wir mit Freyheit etwas wollen oder nicht wollen; etwas thun oder unterlaſſen; auf eine Art es thun und nicht auf die andere; ſo iſt zugleich in uns ein Vermoͤgen zu dem Gegentheil. Wir wollen, aber wir haben das Vermoͤgen nicht zu wollen; wir han- deln, aber wir haben das Vermoͤgen, es zu unterlaſ- ſen; wir richten es ſo ein, und koͤnnen es anders ein- richten. Aber dieſe Vermoͤgen zu dem Gegentheil von dem, was wir wirklich wollen und vornehmen, die- ſe Vermoͤgen, uns ſelbſt anders zu beſtimmen, bleiben nur bloße Vermoͤgen. Es iſt ein weſentliches Stuͤck in unſerm Begriff von der Freyheit, dieſe Vermoͤgen zu unterſuchen.
Um die Betrachtung im Anfang ſo einfach zu ma- chen, als es moͤglich iſt, wollen wir dieſe Ver- moͤgen, uns ſelbſt zu beſtimmen, nur auf das Ver- moͤgen zu wollen oder nicht zu wollen, einſchraͤn- ken. Weil doch oft unſer Wille in unſerer Ge- walt iſt, wo das Vollbringen es nicht iſt, ſo iſt es fuͤr
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XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
bald eine wirkliche Thaͤtigkeit, ein Beſtreben, ein Trieb
erſcheinet, ſo iſt es ſchon mehr als ein Vermoͤgen, we-
nigſtens iſt es nicht ein bloßes Vermoͤgen, ſondern
wirkſames thaͤtiges Vermoͤgen, das von den mehreſten
Kraft genennet wird. Das Vermoͤgen zu einer Aktion
machet ſie moͤglich, aber das Wollen, das Beſtreben
machet ſie ſchon, wenigſtens in ihren erſten Anfaͤngen,
oder in ihren unmittelbar vorhergehenden Zubereitungen,
zu einer wirklichen Thaͤtigkeit.
Von den Vermoͤgen beſitzet die Seele ſo viele und
ſo mancherley, als es Aeußerungen ihrer Kraft giebt.
Und da ſie ſich ſelbſt beſtimmet, ſo beſitzet ſie auch das
Vermoͤgen dazu. Und dieß lihr Vermoͤgen ſich ſelbſt
zu beſtimmen macht ihren Willen aus.
2.
Wenn wir mit Freyheit etwas wollen oder nicht
wollen; etwas thun oder unterlaſſen; auf eine Art es
thun und nicht auf die andere; ſo iſt zugleich in uns ein
Vermoͤgen zu dem Gegentheil. Wir wollen, aber
wir haben das Vermoͤgen nicht zu wollen; wir han-
deln, aber wir haben das Vermoͤgen, es zu unterlaſ-
ſen; wir richten es ſo ein, und koͤnnen es anders ein-
richten. Aber dieſe Vermoͤgen zu dem Gegentheil
von dem, was wir wirklich wollen und vornehmen, die-
ſe Vermoͤgen, uns ſelbſt anders zu beſtimmen, bleiben
nur bloße Vermoͤgen. Es iſt ein weſentliches Stuͤck
in unſerm Begriff von der Freyheit, dieſe Vermoͤgen zu
unterſuchen.
Um die Betrachtung im Anfang ſo einfach zu ma-
chen, als es moͤglich iſt, wollen wir dieſe Ver-
moͤgen, uns ſelbſt zu beſtimmen, nur auf das Ver-
moͤgen zu wollen oder nicht zu wollen, einſchraͤn-
ken. Weil doch oft unſer Wille in unſerer Ge-
walt iſt, wo das Vollbringen es nicht iſt, ſo iſt es fuͤr
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/134>, abgerufen am 30.11.2024.
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