es wirklich geschieht. Denn dieß letztere heißt so viel, als wir können unsere Kraft auf ein anderes Objekt an- wenden, als dasjenige ist, wozu wir uns wirklich be- stimmen, und dieß erfodert, daß ein solches Objekt jetzo innerhalb der Sphäre unsrer Wirksamkeit ange- troffen werde. Sonsten ist es nichts, als ein Vermögen einen Menschen zu sehen, der aber jetzo viele Meilen von mir entfernt ist. Jch habe allerdings das Vermö- gen ihn zu sehen, wenn er nur vor mir wäre. Aber jetzo habe ich das Vermögen nicht, ihn zu sehen; und so soll es doch seyn. Jetzo da ich will, soll ich das Vermögen haben, es nicht zu wollen; jetzo, da ich dieß will, soll ich ein andres wollen können.
Es ist die Jdee vom Nichtwollen so gut in uns gegenwärtig, und bietet sich uns dar, als die Jdee vom Wollen; die Jdee von dem Verrichten so gut als die Jdee von dem Unterlassen. Und so muß es seyn. Wenn wir vorher deutlich überlegen, was für ein Entschluß zu nehmen sey, so vergleichen wir die Jdeen; wir haben sie also gegenwärtig, und bearbeiten sie, um die meist gefallende ausfündig zu machen. Jn jedem Fall, wo wir uns vorher besinnen, ehe wir wollen, schwebt uns beydes, das Wollen und das Nichtwollen in der Phan- tasie vor, so geschwind auch die Auswahl erfolgen mag. Also muß die Vorstellung von dem, was wir sollen wollen können, in uns dermalen gegenwärtig seyn.
4.
Jndessen giebt es doch viele Stufen der Klarheit und Stärke, womit eine Vorstellung in uns gegenwär- tig seyn kann. Daher entspringen die folgenden Ver- schiedenheiten, welche nach den Begriffen möglich sind, und nach unserm Selbstgefühl in uns wirklich vorkom- men. Zuweilen denken wir mit völliger Klarheit und mit Bewußtseyn an das Gegentheil von dem, was wir thun, und wir bestreben uns, das Gute und Gefallen-
de
und Freyheit.
es wirklich geſchieht. Denn dieß letztere heißt ſo viel, als wir koͤnnen unſere Kraft auf ein anderes Objekt an- wenden, als dasjenige iſt, wozu wir uns wirklich be- ſtimmen, und dieß erfodert, daß ein ſolches Objekt jetzo innerhalb der Sphaͤre unſrer Wirkſamkeit ange- troffen werde. Sonſten iſt es nichts, als ein Vermoͤgen einen Menſchen zu ſehen, der aber jetzo viele Meilen von mir entfernt iſt. Jch habe allerdings das Vermoͤ- gen ihn zu ſehen, wenn er nur vor mir waͤre. Aber jetzo habe ich das Vermoͤgen nicht, ihn zu ſehen; und ſo ſoll es doch ſeyn. Jetzo da ich will, ſoll ich das Vermoͤgen haben, es nicht zu wollen; jetzo, da ich dieß will, ſoll ich ein andres wollen koͤnnen.
Es iſt die Jdee vom Nichtwollen ſo gut in uns gegenwaͤrtig, und bietet ſich uns dar, als die Jdee vom Wollen; die Jdee von dem Verrichten ſo gut als die Jdee von dem Unterlaſſen. Und ſo muß es ſeyn. Wenn wir vorher deutlich uͤberlegen, was fuͤr ein Entſchluß zu nehmen ſey, ſo vergleichen wir die Jdeen; wir haben ſie alſo gegenwaͤrtig, und bearbeiten ſie, um die meiſt gefallende ausfuͤndig zu machen. Jn jedem Fall, wo wir uns vorher beſinnen, ehe wir wollen, ſchwebt uns beydes, das Wollen und das Nichtwollen in der Phan- taſie vor, ſo geſchwind auch die Auswahl erfolgen mag. Alſo muß die Vorſtellung von dem, was wir ſollen wollen koͤnnen, in uns dermalen gegenwaͤrtig ſeyn.
4.
Jndeſſen giebt es doch viele Stufen der Klarheit und Staͤrke, womit eine Vorſtellung in uns gegenwaͤr- tig ſeyn kann. Daher entſpringen die folgenden Ver- ſchiedenheiten, welche nach den Begriffen moͤglich ſind, und nach unſerm Selbſtgefuͤhl in uns wirklich vorkom- men. Zuweilen denken wir mit voͤlliger Klarheit und mit Bewußtſeyn an das Gegentheil von dem, was wir thun, und wir beſtreben uns, das Gute und Gefallen-
de
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0137"n="107"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und Freyheit.</hi></fw><lb/>
es wirklich geſchieht. Denn dieß letztere heißt ſo viel,<lb/>
als wir koͤnnen unſere Kraft auf ein anderes Objekt an-<lb/>
wenden, als dasjenige iſt, wozu wir uns wirklich be-<lb/>ſtimmen, und dieß erfodert, daß ein ſolches Objekt<lb/>
jetzo innerhalb der Sphaͤre unſrer Wirkſamkeit ange-<lb/>
troffen werde. Sonſten iſt es nichts, als ein Vermoͤgen<lb/>
einen Menſchen zu ſehen, der aber jetzo viele Meilen<lb/>
von mir entfernt iſt. Jch habe allerdings das Vermoͤ-<lb/>
gen ihn zu ſehen, wenn er nur vor mir waͤre. Aber<lb/>
jetzo habe ich das Vermoͤgen nicht, ihn zu ſehen; und<lb/>ſo ſoll es doch ſeyn. Jetzo da ich will, ſoll ich das<lb/>
Vermoͤgen haben, es nicht zu wollen; jetzo, da ich dieß<lb/>
will, ſoll ich ein andres wollen koͤnnen.</p><lb/><p>Es iſt die Jdee vom <hirendition="#fr">Nichtwollen</hi>ſo gut in uns<lb/>
gegenwaͤrtig, und bietet ſich uns dar, als die Jdee vom<lb/><hirendition="#fr">Wollen;</hi> die Jdee von dem Verrichten ſo gut als die<lb/>
Jdee von dem Unterlaſſen. Und ſo muß es ſeyn. Wenn<lb/>
wir vorher deutlich uͤberlegen, was fuͤr ein Entſchluß zu<lb/>
nehmen ſey, ſo vergleichen wir die Jdeen; wir haben<lb/>ſie alſo gegenwaͤrtig, und bearbeiten ſie, um die meiſt<lb/>
gefallende ausfuͤndig zu machen. Jn jedem Fall, wo<lb/>
wir uns vorher beſinnen, ehe wir wollen, ſchwebt uns<lb/>
beydes, das Wollen und das Nichtwollen in der Phan-<lb/>
taſie vor, ſo geſchwind auch die Auswahl erfolgen mag.<lb/>
Alſo muß die Vorſtellung von dem, was wir <hirendition="#fr">ſollen<lb/>
wollen koͤnnen,</hi> in uns dermalen gegenwaͤrtig ſeyn.</p></div><lb/><divn="3"><head>4.</head><lb/><p>Jndeſſen giebt es doch viele Stufen der Klarheit<lb/>
und Staͤrke, womit eine Vorſtellung in uns gegenwaͤr-<lb/>
tig ſeyn kann. Daher entſpringen die folgenden Ver-<lb/>ſchiedenheiten, welche nach den Begriffen moͤglich ſind,<lb/>
und nach unſerm Selbſtgefuͤhl in uns wirklich vorkom-<lb/>
men. Zuweilen denken wir mit voͤlliger Klarheit und<lb/>
mit Bewußtſeyn an das Gegentheil von dem, was wir<lb/>
thun, und wir beſtreben uns, das Gute und Gefallen-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">de</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[107/0137]
und Freyheit.
es wirklich geſchieht. Denn dieß letztere heißt ſo viel,
als wir koͤnnen unſere Kraft auf ein anderes Objekt an-
wenden, als dasjenige iſt, wozu wir uns wirklich be-
ſtimmen, und dieß erfodert, daß ein ſolches Objekt
jetzo innerhalb der Sphaͤre unſrer Wirkſamkeit ange-
troffen werde. Sonſten iſt es nichts, als ein Vermoͤgen
einen Menſchen zu ſehen, der aber jetzo viele Meilen
von mir entfernt iſt. Jch habe allerdings das Vermoͤ-
gen ihn zu ſehen, wenn er nur vor mir waͤre. Aber
jetzo habe ich das Vermoͤgen nicht, ihn zu ſehen; und
ſo ſoll es doch ſeyn. Jetzo da ich will, ſoll ich das
Vermoͤgen haben, es nicht zu wollen; jetzo, da ich dieß
will, ſoll ich ein andres wollen koͤnnen.
Es iſt die Jdee vom Nichtwollen ſo gut in uns
gegenwaͤrtig, und bietet ſich uns dar, als die Jdee vom
Wollen; die Jdee von dem Verrichten ſo gut als die
Jdee von dem Unterlaſſen. Und ſo muß es ſeyn. Wenn
wir vorher deutlich uͤberlegen, was fuͤr ein Entſchluß zu
nehmen ſey, ſo vergleichen wir die Jdeen; wir haben
ſie alſo gegenwaͤrtig, und bearbeiten ſie, um die meiſt
gefallende ausfuͤndig zu machen. Jn jedem Fall, wo
wir uns vorher beſinnen, ehe wir wollen, ſchwebt uns
beydes, das Wollen und das Nichtwollen in der Phan-
taſie vor, ſo geſchwind auch die Auswahl erfolgen mag.
Alſo muß die Vorſtellung von dem, was wir ſollen
wollen koͤnnen, in uns dermalen gegenwaͤrtig ſeyn.
4.
Jndeſſen giebt es doch viele Stufen der Klarheit
und Staͤrke, womit eine Vorſtellung in uns gegenwaͤr-
tig ſeyn kann. Daher entſpringen die folgenden Ver-
ſchiedenheiten, welche nach den Begriffen moͤglich ſind,
und nach unſerm Selbſtgefuͤhl in uns wirklich vorkom-
men. Zuweilen denken wir mit voͤlliger Klarheit und
mit Bewußtſeyn an das Gegentheil von dem, was wir
thun, und wir beſtreben uns, das Gute und Gefallen-
de
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/137>, abgerufen am 30.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.