hirn, welches fühlet, noch das Ganze aus der Seele und dem Gehirn zusammengesetzt, sondern die Seele oder das Jch ist es allein. Aber wir nehmen als- denn auch unter der Benennung von Fühlen nicht al- les zufammen, was selbst nach dieser Vorstellung wirk- lich vorhanden ist. Die Rückwirkung der Seele auf das Gehirn setzet nicht nur eine gewisse Modification in dem Gehirn, sondern auch eine Aktion des Gehirns auf die Seele voraus, welche so lange bestehen muß, als die Reaktion der Seele dauert, und eben so unentbehr- lich ist, als die letztere, wovon ein Gefühlsaktus ent- stehen soll. Folglich ist das Ganze, was alsdenn wirk- lich in uns vorgehet, etwas in der Seele und in dem Gehirn zugleich; und man muß wiederum sagen, es sey der Mensch oder das Seelenwesen, welches fühler, das ist, was in dem Aktus des Fühlens wirksam ist.
Aber was das unmittelbare Objekt des Gefühls be- trifft, das wir vor uns haben, wenn wir fühlen, so ist solches zwar eine Gehirnsbeschaffenheit, allein diese ist mit einer harmonischen Beschaffenheit der Seele verge- sellschafftet, ohne welche sie nicht bestehen würde. Es ist das beseelte Auge, nicht blos ein todes oder ein gemaltes, welches von sich selbst im Spiegel gesehen wird. Das ganze wirkliche Objekt, was gefühlet wird, ist also eine Seelenbeschaffenheit und Gehirnsbeschaffen- heit zugleich; oder es ist der Mensch, der von dem Menschen gefühlet wird.
Daraus aber, daß die Seele sich auf eine ähnliche Art fühlen soll, wie das Auge sich im Spiegel siehet, wird man keine nachtheilige Folge gegen die Zuverläs- sigkeit des Gefühls, oder eigentlich gegen die Zuverläs- sigkeit des aus dem Gefühl entstehenden Gedankens, "daß es das Jch sey, welches von sich selbst gefühlet "wird," herleiten. Es kann freylich ein solcher Gefühls- gedanke unrichtig seyn, und ist es vielleicht oftmals,
wenn
im Menſchen.
hirn, welches fuͤhlet, noch das Ganze aus der Seele und dem Gehirn zuſammengeſetzt, ſondern die Seele oder das Jch iſt es allein. Aber wir nehmen als- denn auch unter der Benennung von Fuͤhlen nicht al- les zufammen, was ſelbſt nach dieſer Vorſtellung wirk- lich vorhanden iſt. Die Ruͤckwirkung der Seele auf das Gehirn ſetzet nicht nur eine gewiſſe Modification in dem Gehirn, ſondern auch eine Aktion des Gehirns auf die Seele voraus, welche ſo lange beſtehen muß, als die Reaktion der Seele dauert, und eben ſo unentbehr- lich iſt, als die letztere, wovon ein Gefuͤhlsaktus ent- ſtehen ſoll. Folglich iſt das Ganze, was alsdenn wirk- lich in uns vorgehet, etwas in der Seele und in dem Gehirn zugleich; und man muß wiederum ſagen, es ſey der Menſch oder das Seelenweſen, welches fuͤhler, das iſt, was in dem Aktus des Fuͤhlens wirkſam iſt.
Aber was das unmittelbare Objekt des Gefuͤhls be- trifft, das wir vor uns haben, wenn wir fuͤhlen, ſo iſt ſolches zwar eine Gehirnsbeſchaffenheit, allein dieſe iſt mit einer harmoniſchen Beſchaffenheit der Seele verge- ſellſchafftet, ohne welche ſie nicht beſtehen wuͤrde. Es iſt das beſeelte Auge, nicht blos ein todes oder ein gemaltes, welches von ſich ſelbſt im Spiegel geſehen wird. Das ganze wirkliche Objekt, was gefuͤhlet wird, iſt alſo eine Seelenbeſchaffenheit und Gehirnsbeſchaffen- heit zugleich; oder es iſt der Menſch, der von dem Menſchen gefuͤhlet wird.
Daraus aber, daß die Seele ſich auf eine aͤhnliche Art fuͤhlen ſoll, wie das Auge ſich im Spiegel ſiehet, wird man keine nachtheilige Folge gegen die Zuverlaͤſ- ſigkeit des Gefuͤhls, oder eigentlich gegen die Zuverlaͤſ- ſigkeit des aus dem Gefuͤhl entſtehenden Gedankens, „daß es das Jch ſey, welches von ſich ſelbſt gefuͤhlet „wird,‟ herleiten. Es kann freylich ein ſolcher Gefuͤhls- gedanke unrichtig ſeyn, und iſt es vielleicht oftmals,
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im Menſchen.
hirn, welches fuͤhlet, noch das Ganze aus der Seele
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oder das Jch iſt es allein. Aber wir nehmen als-
denn auch unter der Benennung von Fuͤhlen nicht al-
les zufammen, was ſelbſt nach dieſer Vorſtellung wirk-
lich vorhanden iſt. Die Ruͤckwirkung der Seele auf
das Gehirn ſetzet nicht nur eine gewiſſe Modification in
dem Gehirn, ſondern auch eine Aktion des Gehirns auf
die Seele voraus, welche ſo lange beſtehen muß, als
die Reaktion der Seele dauert, und eben ſo unentbehr-
lich iſt, als die letztere, wovon ein Gefuͤhlsaktus ent-
ſtehen ſoll. Folglich iſt das Ganze, was alsdenn wirk-
lich in uns vorgehet, etwas in der Seele und in dem
Gehirn zugleich; und man muß wiederum ſagen, es
ſey der Menſch oder das Seelenweſen, welches fuͤhler,
das iſt, was in dem Aktus des Fuͤhlens wirkſam iſt.
Aber was das unmittelbare Objekt des Gefuͤhls be-
trifft, das wir vor uns haben, wenn wir fuͤhlen, ſo iſt
ſolches zwar eine Gehirnsbeſchaffenheit, allein dieſe iſt
mit einer harmoniſchen Beſchaffenheit der Seele verge-
ſellſchafftet, ohne welche ſie nicht beſtehen wuͤrde. Es
iſt das beſeelte Auge, nicht blos ein todes oder ein
gemaltes, welches von ſich ſelbſt im Spiegel geſehen
wird. Das ganze wirkliche Objekt, was gefuͤhlet wird,
iſt alſo eine Seelenbeſchaffenheit und Gehirnsbeſchaffen-
heit zugleich; oder es iſt der Menſch, der von dem
Menſchen gefuͤhlet wird.
Daraus aber, daß die Seele ſich auf eine aͤhnliche
Art fuͤhlen ſoll, wie das Auge ſich im Spiegel ſiehet,
wird man keine nachtheilige Folge gegen die Zuverlaͤſ-
ſigkeit des Gefuͤhls, oder eigentlich gegen die Zuverlaͤſ-
ſigkeit des aus dem Gefuͤhl entſtehenden Gedankens,
„daß es das Jch ſey, welches von ſich ſelbſt gefuͤhlet
„wird,‟ herleiten. Es kann freylich ein ſolcher Gefuͤhls-
gedanke unrichtig ſeyn, und iſt es vielleicht oftmals,
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/203>, abgerufen am 23.11.2024.
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