jene durch ihr feines Gefühl, diese durch ihre entwickel- ten Demonstrationen, überzeugt gehalten haben. So lange der Materialist das Spiel der Bilder in der Phan- tasie aus dem Mechanismus der Gehirnfasern erklärt, scheint es, es lassen sich seine Erklärungen wol hören; aber sobald das Gefühl von unserm Jch, das klare Be- wußtseyn unser selbst, unsers innern Wohls und Wehs, unsers Denkens und Wollens und unserer Freyheit wie- der lebhaft wird, so dränget sich uns auch wiederum der Gedanke auf: dieß sey doch mehr als ein Spiel der Fasern, mehr als ein Zittern vom Aether und als Gehirnsbewe- gungen, was dahinter stecke. Mein Jch ist ein Eins, nicht ein Haufen von mehrern Dingen. Vielleicht giebt es hier einen richtigen Weg von dem Gefühl zu dem Schlußsatz, und vielleicht mehr als Einen, den der Verstand instinkt- mäßig findet, aber nicht so auf hellen kann, daß er selbst den ganzen Gang seiner Reflexionen in ihrer Verbin- dung deutlich und entwickelt sich darstellen könne.
Die erste Vorstellung, die wir aus dem Selbstge- fühl von einem Wesen uns machen, welches fühlen, denken, sich bewußt seyn und wollen kann, ist so ganz heterogen von dem Begriff, den wir uns von der Ma- terie und dem Körper aus unsern äußern Empfindun- gen abstrahiren, und beyde sind so unvergleichbar mit einander, daß wir nothwendig Anfangs diese beiden Ar- ten von Wesen als ganz verschiedene Wesen uns vorzu- stellen genöthigt sind. Der Körper leidet, nimmt auf, wird modificirt, bewegt und wirkt zurück; aber keine Spur vom Gefühl, von Apperception, Vergnügen und Verdruß, vom Wollen, vom Selbstbestimmen liegt in allen Eindrücken, die wir von ihm erhalten. Diese erste leichte Bemerkung führt zugleich zu einer Folge- rung, die nicht unerheblich ist. Gesetzt, daß es den Philosophen nicht gelingen sollte, es völlig evident zu machen, daß die Thätigkeiten der Seele durchaus kei-
ne
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
jene durch ihr feines Gefuͤhl, dieſe durch ihre entwickel- ten Demonſtrationen, uͤberzeugt gehalten haben. So lange der Materialiſt das Spiel der Bilder in der Phan- taſie aus dem Mechaniſmus der Gehirnfaſern erklaͤrt, ſcheint es, es laſſen ſich ſeine Erklaͤrungen wol hoͤren; aber ſobald das Gefuͤhl von unſerm Jch, das klare Be- wußtſeyn unſer ſelbſt, unſers innern Wohls und Wehs, unſers Denkens und Wollens und unſerer Freyheit wie- der lebhaft wird, ſo draͤnget ſich uns auch wiederum der Gedanke auf: dieß ſey doch mehr als ein Spiel der Faſern, mehr als ein Zittern vom Aether und als Gehirnsbewe- gungen, was dahinter ſtecke. Mein Jch iſt ein Eins, nicht ein Haufen von mehrern Dingen. Vielleicht giebt es hier einen richtigen Weg von dem Gefuͤhl zu dem Schlußſatz, und vielleicht mehr als Einen, den der Verſtand inſtinkt- maͤßig findet, aber nicht ſo auf hellen kann, daß er ſelbſt den ganzen Gang ſeiner Reflexionen in ihrer Verbin- dung deutlich und entwickelt ſich darſtellen koͤnne.
Die erſte Vorſtellung, die wir aus dem Selbſtge- fuͤhl von einem Weſen uns machen, welches fuͤhlen, denken, ſich bewußt ſeyn und wollen kann, iſt ſo ganz heterogen von dem Begriff, den wir uns von der Ma- terie und dem Koͤrper aus unſern aͤußern Empfindun- gen abſtrahiren, und beyde ſind ſo unvergleichbar mit einander, daß wir nothwendig Anfangs dieſe beiden Ar- ten von Weſen als ganz verſchiedene Weſen uns vorzu- ſtellen genoͤthigt ſind. Der Koͤrper leidet, nimmt auf, wird modificirt, bewegt und wirkt zuruͤck; aber keine Spur vom Gefuͤhl, von Apperception, Vergnuͤgen und Verdruß, vom Wollen, vom Selbſtbeſtimmen liegt in allen Eindruͤcken, die wir von ihm erhalten. Dieſe erſte leichte Bemerkung fuͤhrt zugleich zu einer Folge- rung, die nicht unerheblich iſt. Geſetzt, daß es den Philoſophen nicht gelingen ſollte, es voͤllig evident zu machen, daß die Thaͤtigkeiten der Seele durchaus kei-
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
jene durch ihr feines Gefuͤhl, dieſe durch ihre entwickel-
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lange der Materialiſt das Spiel der Bilder in der Phan-
taſie aus dem Mechaniſmus der Gehirnfaſern erklaͤrt,
ſcheint es, es laſſen ſich ſeine Erklaͤrungen wol hoͤren;
aber ſobald das Gefuͤhl von unſerm Jch, das klare Be-
wußtſeyn unſer ſelbſt, unſers innern Wohls und Wehs,
unſers Denkens und Wollens und unſerer Freyheit wie-
der lebhaft wird, ſo draͤnget ſich uns auch wiederum der
Gedanke auf: dieß ſey doch mehr als ein Spiel der Faſern,
mehr als ein Zittern vom Aether und als Gehirnsbewe-
gungen, was dahinter ſtecke. Mein Jch iſt ein Eins, nicht
ein Haufen von mehrern Dingen. Vielleicht giebt es hier
einen richtigen Weg von dem Gefuͤhl zu dem Schlußſatz,
und vielleicht mehr als Einen, den der Verſtand inſtinkt-
maͤßig findet, aber nicht ſo auf hellen kann, daß er ſelbſt
den ganzen Gang ſeiner Reflexionen in ihrer Verbin-
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Die erſte Vorſtellung, die wir aus dem Selbſtge-
fuͤhl von einem Weſen uns machen, welches fuͤhlen,
denken, ſich bewußt ſeyn und wollen kann, iſt ſo ganz
heterogen von dem Begriff, den wir uns von der Ma-
terie und dem Koͤrper aus unſern aͤußern Empfindun-
gen abſtrahiren, und beyde ſind ſo unvergleichbar mit
einander, daß wir nothwendig Anfangs dieſe beiden Ar-
ten von Weſen als ganz verſchiedene Weſen uns vorzu-
ſtellen genoͤthigt ſind. Der Koͤrper leidet, nimmt auf,
wird modificirt, bewegt und wirkt zuruͤck; aber keine
Spur vom Gefuͤhl, von Apperception, Vergnuͤgen und
Verdruß, vom Wollen, vom Selbſtbeſtimmen liegt in
allen Eindruͤcken, die wir von ihm erhalten. Dieſe
erſte leichte Bemerkung fuͤhrt zugleich zu einer Folge-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/208>, abgerufen am 23.11.2024.
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