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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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im Menschen.
körperliche Kraft vorbilden, die das Gehirn durchdrin-
get, oder wie ein Wesen, das seine eigene Stelle haben
muß, wo es von den körperlichen Werkzeugen umgeben
ist, und auf diese unmittelbar durch eine Art von Be-
rührung wirken kann. Jm Anfange der Untersuchung
ist hieran nichts gelegen, wenn nur das Daseyn eines
solchen immateriellen Wesens bestätiget ist. Jst aber
dieß nicht, so fällt die neuere mechanische Psycholo-
gie so gut dahin, als die alte intellektuelle, und wenn
alsdenn nichts mehr als die körperliche Organisation
des Materialisten übrig bliebe, so müßte man wenig
mit der Beschaffenheit unserer bisherigen Kenntnisse
von organisirten Wesen bekannt seyn, wenn man sichs
auch nur als möglich vorstellen wollte, daß die Philo-
sophen über die innere Beschaffenheit unsers organisirten
Seelenwesens etwas mehr als dichten und träumen
könnten. Man mag immerhin sagen, daß die Lehre
von der Jmmaterilaität der Seele wenig praktische
Folgen für unsere Hoffnung auf die Zukunft habe, die
mit dem entgegengesetzten Materialismus nicht auch ver-
bunden werden könnten. Jn einem gewissen Verstande,
nur nicht gänzlich, kann dieses eingestanden werden;
aber hier ist die Frage von einem theoretischen Grund-
satz, von dem wenigstens sehr vieles in der Erkenntniß
abhängt, und mit dem viele psychologische Raisonne-
ments wegfallen müssen. Mich deucht, allein in die-
ser Hinsicht sey die Jmmaterialität unsers Jchs der
scharfsinnigen Bemühungen werth, die darauf verwen-
det worden sind. Und wenn es auf der einen Seite ab-
schrecken kann, daß so viele von den Versuchen, sie zu
beweisen und ins Helle zu bringen, vergeblich gewesen
sind: so ist es auch auf der andern Seite ein besonderes
Phänomen, daß sowol die Beobachter als die freyesten
und stärksten Raisonneurs auf die Jdee eines einfachen
Jchs gekommen sind, und sich von seiner Wahrheit,

jene
II Theil. M

im Menſchen.
koͤrperliche Kraft vorbilden, die das Gehirn durchdrin-
get, oder wie ein Weſen, das ſeine eigene Stelle haben
muß, wo es von den koͤrperlichen Werkzeugen umgeben
iſt, und auf dieſe unmittelbar durch eine Art von Be-
ruͤhrung wirken kann. Jm Anfange der Unterſuchung
iſt hieran nichts gelegen, wenn nur das Daſeyn eines
ſolchen immateriellen Weſens beſtaͤtiget iſt. Jſt aber
dieß nicht, ſo faͤllt die neuere mechaniſche Pſycholo-
gie ſo gut dahin, als die alte intellektuelle, und wenn
alsdenn nichts mehr als die koͤrperliche Organiſation
des Materialiſten uͤbrig bliebe, ſo muͤßte man wenig
mit der Beſchaffenheit unſerer bisherigen Kenntniſſe
von organiſirten Weſen bekannt ſeyn, wenn man ſichs
auch nur als moͤglich vorſtellen wollte, daß die Philo-
ſophen uͤber die innere Beſchaffenheit unſers organiſirten
Seelenweſens etwas mehr als dichten und traͤumen
koͤnnten. Man mag immerhin ſagen, daß die Lehre
von der Jmmaterilaitaͤt der Seele wenig praktiſche
Folgen fuͤr unſere Hoffnung auf die Zukunft habe, die
mit dem entgegengeſetzten Materialiſmus nicht auch ver-
bunden werden koͤnnten. Jn einem gewiſſen Verſtande,
nur nicht gaͤnzlich, kann dieſes eingeſtanden werden;
aber hier iſt die Frage von einem theoretiſchen Grund-
ſatz, von dem wenigſtens ſehr vieles in der Erkenntniß
abhaͤngt, und mit dem viele pſychologiſche Raiſonne-
ments wegfallen muͤſſen. Mich deucht, allein in die-
ſer Hinſicht ſey die Jmmaterialitaͤt unſers Jchs der
ſcharfſinnigen Bemuͤhungen werth, die darauf verwen-
det worden ſind. Und wenn es auf der einen Seite ab-
ſchrecken kann, daß ſo viele von den Verſuchen, ſie zu
beweiſen und ins Helle zu bringen, vergeblich geweſen
ſind: ſo iſt es auch auf der andern Seite ein beſonderes
Phaͤnomen, daß ſowol die Beobachter als die freyeſten
und ſtaͤrkſten Raiſonneurs auf die Jdee eines einfachen
Jchs gekommen ſind, und ſich von ſeiner Wahrheit,

jene
II Theil. M
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[177/0207] im Menſchen. koͤrperliche Kraft vorbilden, die das Gehirn durchdrin- get, oder wie ein Weſen, das ſeine eigene Stelle haben muß, wo es von den koͤrperlichen Werkzeugen umgeben iſt, und auf dieſe unmittelbar durch eine Art von Be- ruͤhrung wirken kann. Jm Anfange der Unterſuchung iſt hieran nichts gelegen, wenn nur das Daſeyn eines ſolchen immateriellen Weſens beſtaͤtiget iſt. Jſt aber dieß nicht, ſo faͤllt die neuere mechaniſche Pſycholo- gie ſo gut dahin, als die alte intellektuelle, und wenn alsdenn nichts mehr als die koͤrperliche Organiſation des Materialiſten uͤbrig bliebe, ſo muͤßte man wenig mit der Beſchaffenheit unſerer bisherigen Kenntniſſe von organiſirten Weſen bekannt ſeyn, wenn man ſichs auch nur als moͤglich vorſtellen wollte, daß die Philo- ſophen uͤber die innere Beſchaffenheit unſers organiſirten Seelenweſens etwas mehr als dichten und traͤumen koͤnnten. Man mag immerhin ſagen, daß die Lehre von der Jmmaterilaitaͤt der Seele wenig praktiſche Folgen fuͤr unſere Hoffnung auf die Zukunft habe, die mit dem entgegengeſetzten Materialiſmus nicht auch ver- bunden werden koͤnnten. Jn einem gewiſſen Verſtande, nur nicht gaͤnzlich, kann dieſes eingeſtanden werden; aber hier iſt die Frage von einem theoretiſchen Grund- ſatz, von dem wenigſtens ſehr vieles in der Erkenntniß abhaͤngt, und mit dem viele pſychologiſche Raiſonne- ments wegfallen muͤſſen. Mich deucht, allein in die- ſer Hinſicht ſey die Jmmaterialitaͤt unſers Jchs der ſcharfſinnigen Bemuͤhungen werth, die darauf verwen- det worden ſind. Und wenn es auf der einen Seite ab- ſchrecken kann, daß ſo viele von den Verſuchen, ſie zu beweiſen und ins Helle zu bringen, vergeblich geweſen ſind: ſo iſt es auch auf der andern Seite ein beſonderes Phaͤnomen, daß ſowol die Beobachter als die freyeſten und ſtaͤrkſten Raiſonneurs auf die Jdee eines einfachen Jchs gekommen ſind, und ſich von ſeiner Wahrheit, jene II Theil. M

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/207>, abgerufen am 23.11.2024.