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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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im Menschen.
zween sich einander berührende Punkte, die ganz nahe
an einander liegen, die aber nicht in Einen Punkt zu-
sammenfließen. Zwo geometrische Kugeln dagegen
fließen in Einen Punkt zusammen, wenn sie sich berüh-
ren, so daß der Berührungspunkt sowohl ein Punkt in
der einen als auch in der andern zugleich ist, und beiden
zugehöret. Der Begriff von dem Kontinuum hebt also
die wirkliche Absonderung und die besondere Besteh-
barkeit der Theile ganz auf. Diese Theile bleiben nichts
mehr, als Theile, die unterscheidbar von einander sind,
und außer einander existiren, die partes extra partes,
nach dem alten Ausdruck, aber nicht von einander
abgesondert sind, nicht so, daß jeder für sich sein eige-
nes Bestehen haben könne.

Auf dieselbige Art verhält es sich mit den Be-
schaffenheiten,
die wir uns in den Substanzen vor-
stellen, und als in diesen vorhanden von einander unter-
scheiden. Man sehe auf den Ursprung der Begriffe
von Substanzen und Beschaffenheiten zurück, so wie
solcher oben angegeben worden ist.*) Die Jdee von
der Beschaffenheit ist eine Jdee von einem Theil oder
von einem Zuge eines unzertrennlichen Ganzen, der
aber für sich allein nicht ist. Wir können, wie schon
Leibnitz richtig gesagt hatte, die Beschaffenheit für
nichts anders ansehen, als für die so beschaffene Sub-
stanz
in der Abstraktion vorgestellet, indem wir die
Seite einer Sache als eine eigene Sache ansehen. Die
Bewegung, z. B. ist der bewegte Körper in diesem Zu-
stande der Bewegung vorgestellet, und dann diesen Zu-
stand besonders in einer eigenen Jdee gefaßt. Es war
eine ungemein leere Fiktion, womit sich die Scholasti-
ker quälten, und über die auch neuere Philosophen so
manche unverständliche Lehrsätze von Wesen und For-

men
*) Erster B. Fünfter Versuch. VI.

im Menſchen.
zween ſich einander beruͤhrende Punkte, die ganz nahe
an einander liegen, die aber nicht in Einen Punkt zu-
ſammenfließen. Zwo geometriſche Kugeln dagegen
fließen in Einen Punkt zuſammen, wenn ſie ſich beruͤh-
ren, ſo daß der Beruͤhrungspunkt ſowohl ein Punkt in
der einen als auch in der andern zugleich iſt, und beiden
zugehoͤret. Der Begriff von dem Kontinuum hebt alſo
die wirkliche Abſonderung und die beſondere Beſteh-
barkeit der Theile ganz auf. Dieſe Theile bleiben nichts
mehr, als Theile, die unterſcheidbar von einander ſind,
und außer einander exiſtiren, die partes extra partes,
nach dem alten Ausdruck, aber nicht von einander
abgeſondert ſind, nicht ſo, daß jeder fuͤr ſich ſein eige-
nes Beſtehen haben koͤnne.

Auf dieſelbige Art verhaͤlt es ſich mit den Be-
ſchaffenheiten,
die wir uns in den Subſtanzen vor-
ſtellen, und als in dieſen vorhanden von einander unter-
ſcheiden. Man ſehe auf den Urſprung der Begriffe
von Subſtanzen und Beſchaffenheiten zuruͤck, ſo wie
ſolcher oben angegeben worden iſt.*) Die Jdee von
der Beſchaffenheit iſt eine Jdee von einem Theil oder
von einem Zuge eines unzertrennlichen Ganzen, der
aber fuͤr ſich allein nicht iſt. Wir koͤnnen, wie ſchon
Leibnitz richtig geſagt hatte, die Beſchaffenheit fuͤr
nichts anders anſehen, als fuͤr die ſo beſchaffene Sub-
ſtanz
in der Abſtraktion vorgeſtellet, indem wir die
Seite einer Sache als eine eigene Sache anſehen. Die
Bewegung, z. B. iſt der bewegte Koͤrper in dieſem Zu-
ſtande der Bewegung vorgeſtellet, und dann dieſen Zu-
ſtand beſonders in einer eigenen Jdee gefaßt. Es war
eine ungemein leere Fiktion, womit ſich die Scholaſti-
ker quaͤlten, und uͤber die auch neuere Philoſophen ſo
manche unverſtaͤndliche Lehrſaͤtze von Weſen und For-

men
*) Erſter B. Fuͤnfter Verſuch. VI.
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[187/0217] im Menſchen. zween ſich einander beruͤhrende Punkte, die ganz nahe an einander liegen, die aber nicht in Einen Punkt zu- ſammenfließen. Zwo geometriſche Kugeln dagegen fließen in Einen Punkt zuſammen, wenn ſie ſich beruͤh- ren, ſo daß der Beruͤhrungspunkt ſowohl ein Punkt in der einen als auch in der andern zugleich iſt, und beiden zugehoͤret. Der Begriff von dem Kontinuum hebt alſo die wirkliche Abſonderung und die beſondere Beſteh- barkeit der Theile ganz auf. Dieſe Theile bleiben nichts mehr, als Theile, die unterſcheidbar von einander ſind, und außer einander exiſtiren, die partes extra partes, nach dem alten Ausdruck, aber nicht von einander abgeſondert ſind, nicht ſo, daß jeder fuͤr ſich ſein eige- nes Beſtehen haben koͤnne. Auf dieſelbige Art verhaͤlt es ſich mit den Be- ſchaffenheiten, die wir uns in den Subſtanzen vor- ſtellen, und als in dieſen vorhanden von einander unter- ſcheiden. Man ſehe auf den Urſprung der Begriffe von Subſtanzen und Beſchaffenheiten zuruͤck, ſo wie ſolcher oben angegeben worden iſt. *) Die Jdee von der Beſchaffenheit iſt eine Jdee von einem Theil oder von einem Zuge eines unzertrennlichen Ganzen, der aber fuͤr ſich allein nicht iſt. Wir koͤnnen, wie ſchon Leibnitz richtig geſagt hatte, die Beſchaffenheit fuͤr nichts anders anſehen, als fuͤr die ſo beſchaffene Sub- ſtanz in der Abſtraktion vorgeſtellet, indem wir die Seite einer Sache als eine eigene Sache anſehen. Die Bewegung, z. B. iſt der bewegte Koͤrper in dieſem Zu- ſtande der Bewegung vorgeſtellet, und dann dieſen Zu- ſtand beſonders in einer eigenen Jdee gefaßt. Es war eine ungemein leere Fiktion, womit ſich die Scholaſti- ker quaͤlten, und uͤber die auch neuere Philoſophen ſo manche unverſtaͤndliche Lehrſaͤtze von Weſen und For- men *) Erſter B. Fuͤnfter Verſuch. VI.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/217>, abgerufen am 23.11.2024.