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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
Entstehungsart der Seelenäußerungen aus Bewegun-
gen, durch die Entstehung der Harmonie aus einzelnen
Schallarten, erklären wollen. Wenn das Ohr, das
die einzelnen harmonirenden Töne vereiniget, wegge-
nommen wird, wo bleibet denn die Harmonie, die nur
durch die Vereinigung derselben in Einem Dinge zur
Harmonie wird? Jede Kraft und jede Wirkung einer
Kraft in den zusammengesetzten Dingen kann nicht an-
ders Ein Ganzes seyn, als entweder in Hinsicht Ei-
nes andern,
das die Wirkungen von den einzelnen
Theilen des Zusammengesetzten in sich aufnimmt, wie
der Druck eines zehn Pfund schweren Körpers nur ein
ganzer Druck ist, in so ferne er in einem andern Körper
sich vereiniget; oder nur in Hinsicht eines vorstel-
lenden Wesens,
das sich alles Einzelne zusammen
auf einmal vorstellet. Jn dem festen schweren Körper
ist eine gewisse Verbindung der Theile mit einander,
welche, als die objektive Vereinigung der Partikeln, der
Grund davon ist, daß ihre einzelnen Druckungen sich mit
einander vereinigen. Aber ein zusammengesetzter Druck
aus allen einzelnen Pressionen der Partikeln erfodert ein
anderes Ding, in welchem jene sich in ihren Wirkun-
gen vereinigen. Die ganze Kollektion dieser Druckun-
gen ist nur etwas Subjektivisches in diesem leidenden
Wesen. Wenn ein Regiment manövrirt, so bestehet
die Bewegung des Ganzen aus den Bewegungen aller
Jndividuen, die zugleich und übereinstimmend erfol-
gen; aber für jeden einfachen Soldaten, der nur auf
sich sieht, ist keine ganze gleichzeitige Bewegung der Ar-
me und der Gewehre in allen vorhanden, so wenig als
es irgendwo ein ganzes körperliches Gefühl von diesen
Bewegungen giebt, das aus der Vereinigung aller einzel-
nen Gefühle bestünde. Dieß letztere ist nirgends. Ei-
ne kollektive Bewegung des Ganzen befindet sich nur
subjektive in dem Zuschauer.

Hier

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
Entſtehungsart der Seelenaͤußerungen aus Bewegun-
gen, durch die Entſtehung der Harmonie aus einzelnen
Schallarten, erklaͤren wollen. Wenn das Ohr, das
die einzelnen harmonirenden Toͤne vereiniget, wegge-
nommen wird, wo bleibet denn die Harmonie, die nur
durch die Vereinigung derſelben in Einem Dinge zur
Harmonie wird? Jede Kraft und jede Wirkung einer
Kraft in den zuſammengeſetzten Dingen kann nicht an-
ders Ein Ganzes ſeyn, als entweder in Hinſicht Ei-
nes andern,
das die Wirkungen von den einzelnen
Theilen des Zuſammengeſetzten in ſich aufnimmt, wie
der Druck eines zehn Pfund ſchweren Koͤrpers nur ein
ganzer Druck iſt, in ſo ferne er in einem andern Koͤrper
ſich vereiniget; oder nur in Hinſicht eines vorſtel-
lenden Weſens,
das ſich alles Einzelne zuſammen
auf einmal vorſtellet. Jn dem feſten ſchweren Koͤrper
iſt eine gewiſſe Verbindung der Theile mit einander,
welche, als die objektive Vereinigung der Partikeln, der
Grund davon iſt, daß ihre einzelnen Druckungen ſich mit
einander vereinigen. Aber ein zuſammengeſetzter Druck
aus allen einzelnen Preſſionen der Partikeln erfodert ein
anderes Ding, in welchem jene ſich in ihren Wirkun-
gen vereinigen. Die ganze Kollektion dieſer Druckun-
gen iſt nur etwas Subjektiviſches in dieſem leidenden
Weſen. Wenn ein Regiment manoͤvrirt, ſo beſtehet
die Bewegung des Ganzen aus den Bewegungen aller
Jndividuen, die zugleich und uͤbereinſtimmend erfol-
gen; aber fuͤr jeden einfachen Soldaten, der nur auf
ſich ſieht, iſt keine ganze gleichzeitige Bewegung der Ar-
me und der Gewehre in allen vorhanden, ſo wenig als
es irgendwo ein ganzes koͤrperliches Gefuͤhl von dieſen
Bewegungen giebt, das aus der Vereinigung aller einzel-
nen Gefuͤhle beſtuͤnde. Dieß letztere iſt nirgends. Ei-
ne kollektive Bewegung des Ganzen befindet ſich nur
ſubjektive in dem Zuſchauer.

Hier
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[198/0228] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen Entſtehungsart der Seelenaͤußerungen aus Bewegun- gen, durch die Entſtehung der Harmonie aus einzelnen Schallarten, erklaͤren wollen. Wenn das Ohr, das die einzelnen harmonirenden Toͤne vereiniget, wegge- nommen wird, wo bleibet denn die Harmonie, die nur durch die Vereinigung derſelben in Einem Dinge zur Harmonie wird? Jede Kraft und jede Wirkung einer Kraft in den zuſammengeſetzten Dingen kann nicht an- ders Ein Ganzes ſeyn, als entweder in Hinſicht Ei- nes andern, das die Wirkungen von den einzelnen Theilen des Zuſammengeſetzten in ſich aufnimmt, wie der Druck eines zehn Pfund ſchweren Koͤrpers nur ein ganzer Druck iſt, in ſo ferne er in einem andern Koͤrper ſich vereiniget; oder nur in Hinſicht eines vorſtel- lenden Weſens, das ſich alles Einzelne zuſammen auf einmal vorſtellet. Jn dem feſten ſchweren Koͤrper iſt eine gewiſſe Verbindung der Theile mit einander, welche, als die objektive Vereinigung der Partikeln, der Grund davon iſt, daß ihre einzelnen Druckungen ſich mit einander vereinigen. Aber ein zuſammengeſetzter Druck aus allen einzelnen Preſſionen der Partikeln erfodert ein anderes Ding, in welchem jene ſich in ihren Wirkun- gen vereinigen. Die ganze Kollektion dieſer Druckun- gen iſt nur etwas Subjektiviſches in dieſem leidenden Weſen. Wenn ein Regiment manoͤvrirt, ſo beſtehet die Bewegung des Ganzen aus den Bewegungen aller Jndividuen, die zugleich und uͤbereinſtimmend erfol- gen; aber fuͤr jeden einfachen Soldaten, der nur auf ſich ſieht, iſt keine ganze gleichzeitige Bewegung der Ar- me und der Gewehre in allen vorhanden, ſo wenig als es irgendwo ein ganzes koͤrperliches Gefuͤhl von dieſen Bewegungen giebt, das aus der Vereinigung aller einzel- nen Gefuͤhle beſtuͤnde. Dieß letztere iſt nirgends. Ei- ne kollektive Bewegung des Ganzen befindet ſich nur ſubjektive in dem Zuſchauer. Hier

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/228>, abgerufen am 23.11.2024.