Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen auch nicht berechtigt, den körperlichen Kräften, wiewir uns solche in unsern Bildern von ihnen vorstellen, eine objektivische Existenz beyzulegen; es sey denn, daß wir es aus andern Gründen einsehen, daß eine Kraft des Ganzen mit den einzelnen Kräften der einfachen Theile gleichartig und nur in der Größe davon unter- schieden sey. So ist z. B. das Gewicht einer ganzen Masse eine Summe von gleichartigen Druckungen jedes kleinsten Atoms der Materie; und wenn ein ganzer Körper mit einer Geschwindigkeit sich fortbeweget; so müssen wir diese letzte Beschaffenheit in dem Ganzen als eine solche ansehen, die auch jeder Partikel und je- dem Element des Körpers für sich einzeln genommen zu- kommt. Es verhält sich auch die Sache in die- sen und andern Beyspielen wirklich so, insofern wir bey der Auflösung des Körpers nicht weiter hinausge- hen, als es in der Naturlehre geschieht, das ist, nicht weiter als auf die kleinsten körperlichen Theile, die noch Körper sind. Aber man nehme einmal an, Leibni- tzens Hypothese, daß die Monaden, als die letzten Elemente der Körper, eine vorstellende Kraft besitzen, und daß aus den Veränderungen, welche durch diese Kräfte entstehen, wenn jene in einem Haufen von Mo- naden zusammengenommen, auf einmal sinnlich, ver- wirrt, und von einer Seite vorgestellet werden, unsere sinnliche Jdee von der Bewegung entspringe, sey eine richtige Muthmaßung: was wird alsdenn die Bewe- gung, die Geschwindigkeit und der Druck anders seyn, als die Farben und andere Körperbeschaffenheiten sind? nämlich blos kollektive Beschaffenheiten, die von den absoluten, objektivischen Kräften so weit unterschie- den sind, als unsere Jdeen von einer Vorstellung und von einer Bewegung es sind. Aber das Eigene Leib- nitzische in dieser Vermuthung bey Seite gesetzet, so ist doch das Allgemeine außer Zweifel, daß die körperli- chen
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen auch nicht berechtigt, den koͤrperlichen Kraͤften, wiewir uns ſolche in unſern Bildern von ihnen vorſtellen, eine objektiviſche Exiſtenz beyzulegen; es ſey denn, daß wir es aus andern Gruͤnden einſehen, daß eine Kraft des Ganzen mit den einzelnen Kraͤften der einfachen Theile gleichartig und nur in der Groͤße davon unter- ſchieden ſey. So iſt z. B. das Gewicht einer ganzen Maſſe eine Summe von gleichartigen Druckungen jedes kleinſten Atoms der Materie; und wenn ein ganzer Koͤrper mit einer Geſchwindigkeit ſich fortbeweget; ſo muͤſſen wir dieſe letzte Beſchaffenheit in dem Ganzen als eine ſolche anſehen, die auch jeder Partikel und je- dem Element des Koͤrpers fuͤr ſich einzeln genommen zu- kommt. Es verhaͤlt ſich auch die Sache in die- ſen und andern Beyſpielen wirklich ſo, inſofern wir bey der Aufloͤſung des Koͤrpers nicht weiter hinausge- hen, als es in der Naturlehre geſchieht, das iſt, nicht weiter als auf die kleinſten koͤrperlichen Theile, die noch Koͤrper ſind. Aber man nehme einmal an, Leibni- tzens Hypotheſe, daß die Monaden, als die letzten Elemente der Koͤrper, eine vorſtellende Kraft beſitzen, und daß aus den Veraͤnderungen, welche durch dieſe Kraͤfte entſtehen, wenn jene in einem Haufen von Mo- naden zuſammengenommen, auf einmal ſinnlich, ver- wirrt, und von einer Seite vorgeſtellet werden, unſere ſinnliche Jdee von der Bewegung entſpringe, ſey eine richtige Muthmaßung: was wird alsdenn die Bewe- gung, die Geſchwindigkeit und der Druck anders ſeyn, als die Farben und andere Koͤrperbeſchaffenheiten ſind? naͤmlich blos kollektive Beſchaffenheiten, die von den abſoluten, objektiviſchen Kraͤften ſo weit unterſchie- den ſind, als unſere Jdeen von einer Vorſtellung und von einer Bewegung es ſind. Aber das Eigene Leib- nitziſche in dieſer Vermuthung bey Seite geſetzet, ſo iſt doch das Allgemeine außer Zweifel, daß die koͤrperli- chen
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XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
auch nicht berechtigt, den koͤrperlichen Kraͤften, wie
wir uns ſolche in unſern Bildern von ihnen vorſtellen,
eine objektiviſche Exiſtenz beyzulegen; es ſey denn, daß
wir es aus andern Gruͤnden einſehen, daß eine Kraft
des Ganzen mit den einzelnen Kraͤften der einfachen
Theile gleichartig und nur in der Groͤße davon unter-
ſchieden ſey. So iſt z. B. das Gewicht einer ganzen
Maſſe eine Summe von gleichartigen Druckungen jedes
kleinſten Atoms der Materie; und wenn ein ganzer
Koͤrper mit einer Geſchwindigkeit ſich fortbeweget; ſo
muͤſſen wir dieſe letzte Beſchaffenheit in dem Ganzen
als eine ſolche anſehen, die auch jeder Partikel und je-
dem Element des Koͤrpers fuͤr ſich einzeln genommen zu-
kommt. Es verhaͤlt ſich auch die Sache in die-
ſen und andern Beyſpielen wirklich ſo, inſofern wir
bey der Aufloͤſung des Koͤrpers nicht weiter hinausge-
hen, als es in der Naturlehre geſchieht, das iſt, nicht
weiter als auf die kleinſten koͤrperlichen Theile, die noch
Koͤrper ſind. Aber man nehme einmal an, Leibni-
tzens Hypotheſe, daß die Monaden, als die letzten
Elemente der Koͤrper, eine vorſtellende Kraft beſitzen,
und daß aus den Veraͤnderungen, welche durch dieſe
Kraͤfte entſtehen, wenn jene in einem Haufen von Mo-
naden zuſammengenommen, auf einmal ſinnlich, ver-
wirrt, und von einer Seite vorgeſtellet werden, unſere
ſinnliche Jdee von der Bewegung entſpringe, ſey eine
richtige Muthmaßung: was wird alsdenn die Bewe-
gung, die Geſchwindigkeit und der Druck anders ſeyn,
als die Farben und andere Koͤrperbeſchaffenheiten ſind?
naͤmlich blos kollektive Beſchaffenheiten, die von den
abſoluten, objektiviſchen Kraͤften ſo weit unterſchie-
den ſind, als unſere Jdeen von einer Vorſtellung und
von einer Bewegung es ſind. Aber das Eigene Leib-
nitziſche in dieſer Vermuthung bey Seite geſetzet, ſo iſt
doch das Allgemeine außer Zweifel, daß die koͤrperli-
chen
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